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Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist in seiner Stadt sehr beliebt, seine Partei liegt in Umfragen gegenwärtig bei 48 Prozent.

© dpa

Hamburgs Bürgermeister: Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat der Reserve

Er galt einst als langweilig und umständlich. Inzwischen präsentiert sich der populäre Hamburger Bürgermeister leutselig und selbstbewusst - und könnte überraschend SPD-Kanzlerkandidat werden.

Olaf Scholz bekommt ein kleines Kind für ein Foto in die Arme gedrückt – und strahlt. Olaf Scholz macht Akkord verdächtigen Small Talk – und strahlt. Olaf Scholz trägt beim traditionellen Neujahrsempfang der SPD-Fraktion im überfüllten Hamburger Rathaus am Sonntagmittag keine Krawatte, sondern ein offenes weißes Hemd. Der Erste Bürgermeister lässt geduldig Selfies mit sich machen, die Leute rufen „Olaf, bitte noch ein Foto mit uns“.

Schaut man ihm dabei zu, fällt auf, was vor einigen Jahren noch unmöglich gewesen wäre: Er kann offenbar diese Aufmerksamkeit genießen. Früher, zum bei noch bei einem Empfang der Hamburger Handwerkskammer 2014, hat er, selbst wenn sehr viele Menschen um ihn herum standen, oft verloren gewirkt. Und merkwürdig verkrampft.

Olaf Scholz ist 58 Jahre alt, seit seinem 17. Lebensjahr ist er in der SPD, aber er hat in den Jahren als SPD-Generalsekretär von 2002 bis 2005 einen Ruf bekommen, den er in der bundesweiten, öffentlichen Wahrnehmung nie richtig losgeworden ist. Er galt als langweilig, umständlich, man taufte ihn den „Scholzomaten“, weil er lange, komplizierte Sätze ohne Botschaft sprechen konnte. Vor allem galt er als jemand, der die Menschen nicht für sich gewinnen kann, weil er zu kühl, ja zu arrogant wirkte.

Man hat Olaf Scholz auch innerhalb der Sozialdemokratie immer alles zugetraut, nur nicht, dass er für Zwischenmenschliches geeignet sei. Deshalb, hieß es, könnte so einer auch ganz bestimmt nie Kanzler werden. Zum Ersten Bürgermeister in einer stolzen Stadt hat es dann schon mal gereicht.

In Hamburg hat der immer schon sehr fleißige Olaf Scholz, der früher Hunderte Arbeitnehmer bei Kündigungsschutzklagen als Rechtsanwalt vertrat, eine erstaunliche Wandlung vollzogen; es ist übrigens eine, die er selbst nicht für möglich gehalten hätte. Zurzeit liegt die SPD mit ihm bei 48 Prozent. ,Weil die Menschen ihn offensichtlich mögen, nicht nur als Sachverwalter, auch als Typen, ist er selbst zu mehr Emotionalität fähig. Diese Wandlung mache ihn innerlich freier und politisch gelassener, sagen enge Weggefährten.

Als er 2011 gewählt wurde, war das noch nicht absehbar. Aber als er mitten in der Krise um die „Rote Flora“ mit Straßenschlachten, Demonstrationen, Ausweitung der Gefahrengebiete, in denen die Polizei ohne Anlass kontrollieren durfte, und der Warnung der US-Botschaft vor Hamburg-Reisen trotzdem in Umfragen auf knapp 70 Prozent Zustimmung kam, sagte er überrascht: „Diese Zustimmung berührt mich.“ Es ist noch nicht so lange her, dass Scholz begann, seine wachsende Beliebtheit mögen zu lernen. Eines Tages kam er von einem Termin zurück ins Rathaus und sagte strahlend zu einem Mitarbeiter: „Die Leute duzen mich jetzt.“

Seriös kann Olaf Scholz ja sowieso

Das Zwischenmenschliche, also die Fähigkeit, einen Bezug herzustellen zum Volk, ist ja, neben dem Handwerkszeug eines Politikers, der Sachkompetenz und der Glaubwürdigkeit, die wichtigste Eigenschaft, um auch auf Bundesebene erfolgreich zu sein. Seriös kann Scholz ja sowieso. Am kommenden Wochenende wird SPD-Parteichef Sigmar Gabriel seinen Vorschlag für einen Kanzlerkandidaten verkünden. Lange Zeit schien es ausgemacht, dass entweder Gabriel selbst oder der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den direkten Kampf mit Angela Merkel um die Kanzlerschaft aufnehmen wird. Aber eine Überraschung ist nicht mehr ausgeschlossen. Das wäre Olaf Scholz.

Im Hamburger Rathaus hält Scholz am Sonntagmittag eine leidenschaftliche Rede, wie immer ohne Manuskript und mit häufig geballter Faust. Da ist nichts Monotones. Thematisch reicht die Rede weit über den Anlass und die Stadt hinaus. Er redet über Europa, über die Globalisierung, über die Sorgen der Menschen, um dann sozialdemokratische Politik abzuleiten. Die Antwort auf die Ängste sei: „Ein stabiler, resistenter Sozialstaat.“

Scholz, der zwar nicht in Hamburg geboren wurde, dort aber aufwuchs, ist vor allem ein Verfechter einer sozialen Arbeitspolitik, die den Wert, den Ethos von Arbeit neu betont. Seit Jahren wiederholt er bei Reden einen Satz, auch diesmal in Hamburg, wenn auch abgewandelt: „Wir bekennen uns dazu, dass man arbeiten soll. Aber wir bekennen uns auch dazu, dass die, die arbeiten, dies auch zu ordentlichen Bedingungen tun können.“ Scholz sagt auch gern: „Wir sind die Partei der fleißigen Leute, die Partei der Arbeit.“

Dahinter steht die Überzeugung, dass eine gute Arbeitsmoral oder der Stolz auf das eigene Tun auch zu einer guten gesellschaftlichen Moral führen könne und dies wiederum den Zusammenhalt der Gesellschaft stärke. Scholz will, dass die einfachen Arbeiter wieder respektiert werden, weil jeder, der etwas tut, diesen Respekt verdiene.

Natürlich kommt die Kanzlerin in seiner Rede nicht gut weg

Scholz hält am Sonntag quasi eine Welt-, Europa- und Deutschland-Rede auf einmal. Und natürlich kommt die Kanzlerin nicht gut weg. Merkel habe als tragende Begründung, warum sie wieder antrete, gesagt: Sie kenne sich aus. Olaf Scholz kann sich jetzt schlecht selbst nennen, aber er sagt: „Auskennen tun sich auch andere.“ Aber vor allem müsse man einen Plan haben für das Land, in diesen unsicheren, von Terror und Krieg geprägten Zeiten.

Seinem engsten Umfeld hat Scholz nach seiner Wahl 2011 eine Art Schwur abgenommen: „Wir sind nie beleidigt und werden nie hysterisch.“ Das beschreibt die Methode Scholz ganz gut. Denn die kühle, distanzierte Art ist auch ein Machtinstrument, um Stärke zu zeigen, um sich abzugrenzen. Kürzlich bei „Anne Will“ in der ARD konnte man studieren, wie gut sich Scholz im Griff hat. Er verhält sich dabei nur folgerichtig. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, sagt er – und muss das nun auch glaubhaft ausstrahlen.

Dass Scholz aber auch ganz gezielt auf diese Wirkung aus ist, machte er mit einem kleinen, für seine Verhältnisse fast unvorsichtigen Nebensatz deutlich. Als Anne Will davon sprach, dass im Land aufgrund der Terrorangst viele sehr aufgeregt seien, sagte er: „Ich bin cool.“ Das wirkte zwar sympathisch, ließ aber auch den Blick zu auf den sehr beachtlichen Ehrgeiz und das sehr große Selbstbewusstsein des Olaf Scholz.

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