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Für alle Beschäftigten, die 1964 oder später geboren wurden, gilt ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren.

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„Hohe Arbeitsbelastung und Stress“: Fast zwei Drittel der Deutschen wollen mit 63 oder noch früher in Ruhestand

Einer Studie zufolge plant die große Mehrheit, vor dem gesetzlichen Rentenalter aufzuhören. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Der Arbeitskräftemangel dürfte noch größer werden.

In Deutschland ist eine heftige Debatte entbrannt, wann Berufstätige in den Ruhestand gehen. Aus Politik und Wirtschaft kommen immer wieder Forderungen, Männer und Frauen bis zum Renteneintrittsalter im Job zu halten oder die Altergrenze sogar anzuheben – vor allem, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Besonders in der Kritik steht dabei die sogenannte Rente mit 63.

Eine neue Studie des gemeinnützigen Demografienetzwerks ddn zeigt nun, dass fast zwei Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem gesetzlichen Rentenalter aus dem Job ausscheiden wollen, auch wenn sie dafür Abschläge in Kauf nehmen müssen. Dies berichtet der „Spiegel“. Für alle Beschäftigten, die 1964 oder später geboren wurden, gilt ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren.

Eine große Mehrheit (63,4 Prozent) wünscht sich demnach, spätestens mit 63 Jahren in Rente gehen zu können. Mehr als ein Drittel will sich sogar schon mit 61 oder früher aus dem Arbeitsleben verabschieden. Weniger als 15 Prozent der Berufstätigen unter 30 Jahren kann sich vorstellen, bis zum Alter von 67 Jahren zu arbeiten.

Grundsätzlich müssen wir feststellen, dass es bei der Mehrheit der Erwerbstätigen nach wie vor keine Bereitschaft gibt, auch nur bis zum derzeit gültigen Renteneintrittsalter zu arbeiten. Für Unternehmen ist das keine gute Nachricht.

Niels Reith, Vorstand beim dnn

Das Marktforschungsunternehmen Civey hatte im Auftrag von ddn rund 2500 Erwerbstätige befragt. Als wichtigsten Ansatz für eine längere Lebensarbeitszeit nannten die Befragten die freie Wahl der Arbeitszeit, mehr Gehalt und weniger körperliche Belastung oder Stress (jeweils um die 40 Prozent).

Eine freie Wahl des Arbeitspensums nannte ein gutes Drittel, die Wertschätzung durch Vorgesetzte ein knappes Drittel als Voraussetzung, um weiterarbeiten zu wollen.

Niels Reith vom ddn-Vorstand sagte dem Blatt: „Grundsätzlich müssen wir feststellen, dass es bei der Mehrheit der Erwerbstätigen nach wie vor keine Bereitschaft gibt, auch nur bis zum derzeit gültigen Renteneintrittsalter zu arbeiten. Für Unternehmen ist das keine gute Nachricht. Angesichts einer Renteneintrittswelle der Baby-Boomer wird sich der Fachkräftemangel also nochmals verschärfen.“

Auch käme durch den Trend zur vorgezogenen Rente das umlagefinanzierte System noch stärker unter Druck. Beschäftigte seien leistungsbereit, jedoch „zu veränderten Bedingungen“.

Was sind die Grüne, die Menschen dazu bewegen, früher auszusteigen, auch wenn dies mit finanziellen Einbußen einhergeht? „Hohe Arbeitsbelastung und Stress“ seien für viele Menschen ein Riesenthema, sagt die Wirtschafts- und Organisationspsychologin Ulrike Fasbender, Professorin an der Universität Hohenheim, die die Studie fachlich begleitet hat.

„Wenn die Arbeitsbelastung auf Dauer zu hoch ist, dann halten dem, über die Jahre gesehen, nicht viele stand. Dies geht möglicherweise auch mit dem Wunsch einher, früher als gesetzlich vorgesehen in den Ruhestand gehen zu wollen.“ Arbeitsbedingungen sollten daher so gestaltet werden, dass sie „ein langes Berufsleben überhaupt möglich machen.“

Wer wie zu motivieren ist, hängt der Studie zufolge von der jeweiligen Lebenslage und Arbeitssituation ab. Arbeiterinnen und Arbeiter wären vor allem mit mehr Gehalt zu motivieren, leitende Angestellte durch freie Wahl der Arbeitszeiten.

Boomer und Generation Z kommen gut miteinander aus

In der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen werden Arbeitszeit und Arbeitsbelastung als entscheidende Faktoren genannt, ebenso bei Eltern. Erwerbstätige ohne Berufsabschluss haben einen anderen Fokus: Sie nannten am häufigsten eine „positive Einstellung gegenüber Älteren“ als Voraussetzung für längeres Arbeiten im Alter.

Für die Wirtschaft deutet sich ein weiteres Problem an: „Der bekannte Trend, dass Menschen im Laufe des Arbeitslebens ihr gewünschtes Austrittsalter nach oben korrigieren, könnte ins Wanken geraten sein“, bilanziert die Arbeitswissenschaftlerin Melanie Ebener von der Bergischen Universität Wuppertal.

„Die unterschiedlichen Altersgruppen schwanken stärker in ihrer Einschätzung. Die Ergebnisse scheinen also sehr direkt eine persönliche Arbeitserfahrung widerzuspiegeln, von der aus man sich die Frage stellt, ob man das bis zur Rente so ›durchziehen‹ will.“

Die Studie untersuchte auch das Verhältnis verschiedener Altersgruppen in der Arbeitswelt. Entgegen mancher Vorurteile kommen Boomer und die Generation Z im Großen und Ganzen prima miteinander aus: Das Verhältnis sei „weitgehend harmonisch, konfliktfrei und solidarisch“, bilanzieren die Autoren. Durch alle Altersgruppen hinweg ist das Bild älterer Kolleginnen und Kollegen positiv – das sagen mehr als 80 Prozent der Befragten. Lediglich 2,5 Prozent äußern sich negativ.

Mehr als drei Viertel aller Befragten geben an, einen positiven oder sehr positiven Kontakt zu Jüngeren zu haben, nur knapp fünf Prozent berichten von negativen Erfahrungen. Die Hälfte der Erwerbstätigen berichtet davon, von der jeweils anderen Altersgruppe gegenseitige Unterstützung zu erfahren, Wissen zu teilen und voneinander zu lernen.

Knapp 15 Prozent berichten von Freundschaften zwischen älteren und jüngeren Kolleginnen und Kollegen. (lem)

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