zum Hauptinhalt
Geehrt. Das tunesische Quartett für den nationalen Dialog – Houcine Abassi, Mohamed Fadhel Mahfoudh, Abdessattar Ben Moussa, Wided Bouchamaoui (von links) hat am Donnerstag in Oslo den Friedensnobelpreis entgegengenommen. Der Verbund aus Gewerkschaftsverband, Arbeitgeberverband, Menschenrechtsliga und Anwaltskammer war im Sommer 2013 gegründet worden. Foto:

© Cornelius Poppe/dpa

Interview mit dem tunesischen Entwicklungsminister Yassine Brahim: „Wir brauchen Investoren“

Der tunesische Entwicklungsminister Yassine Brahim hofft, dass der Nobelpreis sein Land für Geschäftspartner aus dem Ausland attraktiver macht.

Herr Minister, Tunesien erlebte in jüngster Zeit eine Welle von Anschlägen. Zuletzt wurde Ende November die Präsidentengarde angegriffen, es gab zwölf Tote. Wie hat die Attacke Tunesien getroffen?
Das waren ein harter Schlag und eine verlorene Schlacht im Kampf gegen den Terrorismus. Alle Schlachten, die von unseren Sicherheitskräften im ganzen Land gewonnen wurden und die uns erlaubten, Attentate zu verhindern, und die Erfolge unserer Kräfte in den Bergen und an der libyschen Grenze sind leider nichts angesichts des Verlustes unschuldiger Menschenleben. Dieser Anschlag war die Folge einer Reihe isolierter Attacken gegen arme junge Hirten in den Bergen von Kasserine und Sidi Bouzid. Nach den Attentaten von Ankara, Beirut und Paris ist klar, dass dieser Krieg gegen den Terror eine internationale Herausforderung ist, wegen der wir unsere Anstrengungen verstärken und koordinieren müssen. Wir arbeiten seit zwei Jahren mit unseren algerischen Nachbarn zu diesem Thema zusammen, und unsere amerikanischen, europäischen Partner und die Länder der G-7-Gruppe helfen uns materiell bei diesem Thema.

Gab es Reaktionen potenzieller Investoren auf diesen Angriff? 

Natürlich gab es Reaktionen seitens der Investoren. Die Umgebung ist nicht gerade beruhigend und ihr Zögern ist schon von Bedeutung. Das betrifft vor allem potenzielle neue Investoren aus dem Ausland. Tunesische und ausländische Investoren, die hier schon etabliert sind, sind weniger zögerlich. Ihre Kenntnis des wirklichen Risikoniveaus und ihre Antizipation der Möglichkeiten erlaubt heute einen Anfang wachsender Investitionen im Land zu sehen.

Yassine Brahim ist seit 2015 Minister für Entwicklung, Investitionen und internationale Zusammenarbeit in Tunesien. Der Ingenieur ist Generalsekretär der liberalen Partei Afek Tounes.
Yassine Brahim ist seit 2015 Minister für Entwicklung, Investitionen und internationale Zusammenarbeit in Tunesien. Der Ingenieur ist Generalsekretär der liberalen Partei Afek Tounes.

© Rolf Brockschmidt

Haben die Angriffe auf das Bardo-Museum und am Strand von Sousse das Investitionsklima beeinflusst?
Natürlich haben die Angriffe unsere Pläne berührt. Die politische Stabilität nach den Wahlen hatte uns einen Schub gegeben, die Leute waren zu Beginn des Jahres startklar. Bardo hat uns geschockt, Sousse hat uns zurückgeworfen. Jetzt kommen die Leute so langsam zurück, man spürt eine Lust zu investieren. Auf dem lokalen Gebiet sehen wir eine Erholung, 50 Prozent unserer Investoren sind Tunesier.

Wie ist die aktuelle Lage der Wirtschaft?

Wir befinden uns in einem schwierigen Jahr. Wir rechnen für den Rest des Jahres mit 0,5 Prozent Wachstum. Der Tourismussektor mit seinem Umfeld wurde schwer getroffen und wir hatten soziale Probleme in unseren Gruben beim Phosphatabbau, wo in der ersten Jahreshälfte kaum produziert wurde. Seit dem Sommer wird dort wieder gearbeitet, wir erwarten ein besseres Ergebnis zum Jahresende. Der Tourismus, ist um 40 Prozent eingebrochen, aber unsere algerischen Freunde haben uns geholfen. 2016 stehen wir vor einem kompletten Neuanfang auf lange Sicht. Der Tourismussektor wird sich so schnell nicht erholen, aber wir rechnen bei den Investitionen mit einem Wachstum von zehn Prozent.

Was bedeutet der Friedensnobelpreis für das tunesische Quartett für Ihr Land?
Die internationale Gemeinschaft hat sehr genau den Prozess der Konstruktion eines neuen demokratischen Staates verfolgt. Darüber hinaus heißt es, dass der Wert der Arbeit des Quartetts für den nationalen Dialog erkannt wurde, denn das Land stand an einem Punkt, der uns sonst ins Chaos hätte führen können. Nach den politischen Morden 2013 hat die Zivilgesellschaft gezeigt, dass sie in der Lage ist, im Dialog die Fragen der Verfassung und der politischen Organisation des Landes bis hin zu den Wahlen zu diskutieren. Wir sind sehr stolz, denn intern hat man das Gefühl, es geht nicht voran, aber die internationale Gemeinschaft hat sehr wohl unsere Fortschritte zur Kenntnis genommen.

Hat der Nobelpreis Einfluss auf die Entscheidungen potenzieller Investoren?
Das ist noch nicht erkennbar, dazu ist das alles noch zu neu. Das wird sich auch jetzt nach der offiziellen Verleihung zeigen. Aber durch den Preis wird weltweit über dieses Land der elf Millionen Einwohner geredet, das dabei ist, eine neue demokratische Gesellschaft aufzubauen. Das beeinflusst Investoren, denn die suchen einen Rechtsstaat und Stabilität. Wir sind ein Land, in dem die Risiken abnehmen, und irgendwann muss auch der Investor ein Risiko eingehen und zum rechten Zeitpunkt präsent sein.

"Die Deutschen können Tunesien als Hub für Afrika nutzen"

Deutsche Firmen haben Tunesien die Treue gehalten. Bundespräsident Joachim Gauck (M) besuchte am 28. April 2015 während seines dreitägigen Aufenthaltes in Tunesien in Siliana (Tunesien) das Werk des deutschen Autozulieferers Dräxlmaier.
Deutsche Firmen haben Tunesien die Treue gehalten. Bundespräsident Joachim Gauck (M) besuchte am 28. April 2015 während seines dreitägigen Aufenthaltes in Tunesien in Siliana (Tunesien) das Werk des deutschen Autozulieferers Dräxlmaier.

© picture alliance / dpa

Wie steht es um die regionale Entwicklung?
Bisher sind die Gebiete im Innern des Landes, im Westen und im Süden, noch nicht gut entwickelt. Die Küstenregion mit sechs Millionen Einwohnern ist gut entwickelt, die drei Millionen im Westen und zwei Millionen im Süden brauchen noch Unterstützung. Die Entwicklung dieser Gebiete gehört zu unseren politischen Schwerpunkten. Dort hat man es bisher versäumt, für eine gute Infrastruktur und damit eine Anbindung an die Küstenregionen zu sorgen. An der Küste ist der Konsum am höchsten, also muss ich meine Produkte dort verkaufen. Dort sind auch die Häfen für den Export. Wir müssen daher den Handel mit Algerien forcieren und hoffen auch auf eine Stabilisierung der Situation in Libyen, bei der uns unsere deutschen Freunde helfen. Wir denken dabei an Freihandelszonen, die diese Regionen miteinander verbinden.

Wie beurteilen Sie die Lage in Libyen?
Der libysche Botschafter hat mir hier bei meinem Besuch erzählt, dass man kurz vor einer Einigung stehe, um eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Im Mai haben wir noch libyschen Flugzeugen die Landung verweigert, heute landen pro Tag sieben Maschinen in Tunis.

Welche Punkte haben Sie bei Ihrem Besuch in Deutschland diskutiert?

Der Premierminister hat zunächst Deutschland für seine Unterstützung gedankt. Wir bekommen von Deutschland eine große Unterstützung, bilateral, aber auch über die EU und die G7.  Man könnte mehr auf dem Gebiet der technischen Zusammenarbeit leisten. Deutschland könnte noch mehr tun, es mangelt nicht an Projekten, aber der Prozess der Prüfung und Evaluierung bei der Finanzierung von Projekten dauert. Die Bundeskanzlerin hat versprochen, das zu überprüfen, denn das tunesische Volk muss heute einen Wandel sehen, eine Beschleunigung der Prozesse. Diese Beschleunigung gelingt aber nur mit einer dauerhaften Finanzierung. Wir sind eben ein Entwicklungsland. Es ist nicht nur eine Frage der Programme und der Menschen, sondern auch des Geldes. Auf dem Privatsektor gibt es viele Möglichkeiten bei den erneuerbaren Energien, bei der Informationstechnik und beim Maschinenbau, um nur ein paar zu nennen. Deutsche Unternehmen investieren 50 Millionen Euro pro Jahr in Tunesien. Die Deutschen können Tunesien als Hub für Algerien, Libyen, ja Afrika nutzen. Wir sprechen ja auch über eine deutsch-tunesische Technische Universität. Ich würde es gerne sehen, dass sich ein größeres deutsches Engagement auch in Zahlen niederschlägt.

Gibt es auch Pläne für gemeinsame Projekte für Dritte?

Die geplante Technische Universität ist für bis 3000 Studenten ausgelegt, die würde auch afrikanischen Studenten offenstehen. Bosch engagiert sich mit einem Ausbildungszentrum, Knauf wird sich ebenfalls mit einem Ausbildungszentrum engagieren. Es wird schwerer für Afrikaner, ein Visum für Europa zu bekommen, also verlagern wir die Ausbildungsangebote nach Tunesien.

Was geschieht auf dem Gebiet der modernen Industriezweige?

Tunesien ist mittlerweile ein großer Player in der Zulieferung für die Automobil- und Luftfahrtindustrie. Wir haben eine wachsende pharmazeutische Industrie und auch der Gesundheitstourismus mit unseren Nachbarn nimmt wieder zu. Tunesien positioniert sich zunehmend als Industriestandort.

Wo sehen Sie Tunesien in fünf Jahren?
Wir sind ambitioniert, aber auch realistisch. Unser Hauptziel ist es, den jungen Menschen wieder Hoffnung zu machen. Wir haben heute leider viele enttäuschte junge Menschen, 90 Prozent träumen davon auszuwandern. Wenn wir diese Zahl in den nächsten Jahren senken können, ihnen zeigen können, dass es sich lohnt, in diesem Land zu bleiben, haben wir etwas erreicht. Damit das gelingt, brauchen wir vor allem eines – Investoren.

Yassine Brahim ist seit 2015 Minister für Entwicklung, Investitionen und internationale Zusammenarbeit in Tunesien. Der Ingenieur ist Generalsekretär der liberalen Partei Afek Tounes.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false