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Mitregieren ja, Tolerieren nein: Linken-Politiker Gregor Gysi

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Update

Koalition nach der Bundestagswahl: Alle nerven die SPD mit der Linksbündnis-Debatte

Rot-Rot-Grün hat am 22. September eine Chance - rechnerisch. Politisch ist ein Bündnis nicht vorbereitet. Der ernsthafte Teil der Diskussion über diese Option richtet sich erst auf die übernächste Bundestagswahl.

Von Matthias Meisner

Wenn es um politische Konstellationen geht, hat sich Gregor Gysi seit jeher phantasievoll gezeigt. Im Januar 1998 – damals war noch nicht klar, ob die SPD mit Oskar Lafontaine oder Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl in den Bundestagswahlkampf geht – war der damalige PDS-Bundestagsgruppenchef noch grundsätzlich aufgeschlossen für die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung. Mit Lafontaine – erst sieben Jahre später sollte der sich der Linken anschließen – stellte Gysi sich das ziemlich einfach vor. Definitiv aber wollte er nicht entscheiden, ob es nicht auch mit Schröder geht. Damals sagte der PDS-Politiker nur, er habe Sorge, „dass mit Schröder kein Reformprojekt kommt“. Andererseits, wenn eine andere Politik entstehen soll, „dann geht das nicht ohne die Sozialdemokratie“.

Inzwischen hält Gysi nichts mehr von der Tolerierung SPD-geführter Regierungen. Das „Magdeburger Modell“ von Reinhard Höppner 1994 – die PDS-tolerierte rot-grüne Landesregierung – empfand er noch als „Dammbruch“ und damit „einmal gut“, schon dessen Neuauflage 1998 ist aus seiner Sicht ein Fehler gewesen. Was Gysi freilich nicht bremst, die Diskussion über Rot-Rot-Grün fröhlich zu führen. Mal stellt er dafür die Forderung seiner Partei nach Auflösung der Nato zur Disposition, dann wieder spekuliert er über seine Berufung als Außenminister. Vor allem mit letzterer Idee habe Gysi wohl etwas übertrieben, rügten ihn Genossen in der Linken-Parteivorstandssitzung am Samstag. Wenn die Debatte schade, so die mehrheitliche Einschätzung dort, dann jedenfalls der SPD mehr als der Linken.

Tatsächlich lässt auch das schwarz-gelbe Lager keine Chance aus, die SPD an dieser Stelle vorzuführen. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Interview eine Koalition mit der SPD nach der Wahl am 22. September nicht völlig ausgeschlossen hatte, kritisierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring forderte die CDU-Vorsitzende in der „Bild am Sonntag“ auf, zu bedenken, dass nicht sie, sondern SPD-Chef Sigmar Gabriel alle Trümpfe in der Hand halte, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reiche. Döring: „Gabriel kann den Preis für eine große Koalition hochtreiben, denn er hat immer auch die Option Rot-Rot-Grün. Und das ist die erste Wahl der SPD.“ Gabriel selbst gerät in die Defensive. Am Rande des Deutschlandfestes seiner Partei in Berlin äußerte er sich zu Spekulationen, die SPD habe die Wahl schon aufgegeben und ein kurz nach der Wahl geplanter Konvent solle die Haltung zu einer großen Koalition klären. „Das ist alles albern, was da in der Zeitung steht“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

In der Linken hat sich die Einschätzung durchgesetzt, dass die Partei mit purer Konfrontation gegenüber der SPD in eine strategische Sackgasse gerät. Der ernsthafte Aspekt der Linksbündnis-Debatte aber richtet sich nicht auf den Herbst, sondern auf die übernächste Wahl 2017, vielleicht auch – sollte es für Schwarz-Gelb am 22. September nicht reichen – auf einen Kursschwenk der SPD während der Wahlperiode. Der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer sagte dem Tagesspiegel: „Die SPD steuert derzeit gnadenlos auf eine schwarz-rote Koalition zu. Der schwarz-grüne Lack ist ab.“ Rot-Rot-Grün 2013 hält er, weil inhaltlich nicht vorbereitet, für eine „Scheindiskussion".

In einem Gastbeitrag für den "Spiegel" fordern der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit und der Politikwissenschaftler Claus Leggewie dennoch, dass die Grünen über Alternativen nachdenken müssten - weil Rot-Grün die Wahl nur noch durch ein Wunder gewinnen kann. Neben der Option Schwarz-Grün nennen sie dabei auch eine "Linksunion, die nach Lafontaines faktischem Abgang nicht mehr ganz so tabu sein dürfte". Cohn-Bendit und Leggewie schreiben: "Ihre Existenzberechtigung wäre ein neuer Sozialpakt, um die in den letzten Jahrzehnten weit geöffnete Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Oben und Unten zu schließen.". Kehrseite eines solches Linksbündnisses wären "womöglich phantasie- und wirkungslose Wachstums- und Umverteilungsprogramme". Und: "In der Europapolitik könnte die Versuchung bestehen, sich in eine euroskeptische Linksfront einzureihen."

Von der Linkspartei wird das Thema in vielerlei Varianten gespielt. Bereits im Frühjahr schloss Ex-Parteichefin Gesine Lötzsch zwar aus, den SPD-Kandidaten Peer Steinbrück zum Kanzler zu wählen. Doch erst kürzlich betonte Rüdiger Sagel, Parteivorsitzender in NRW, es gebe nach der Wahl „eine Option für Rot-Rot-Grün mit einem anderen Kanzlerkandidaten wie zum Beispiel Sigmar Gabriel.“ Sagel versicherte: „Die Linke ist regierungsfähig – auch im Westen.“ Und der frühere Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf machte sogar die bei seiner Parteiführung ungeliebte Tolerierungsdebatte neu auf. „Wechselnde Mehrheiten würden einen Zugewinn an Demokratie bedeuten“, schrieb er in der Wochenendeausgabe des„Neuen Deutschlands“, seine Partei täte gut daran, die Option „nicht voreilig zu tabuisieren“.

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