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Wird der Osten abgehängt?

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Koalitionsverhandlungen: Wird der Osten abgehängt?

Fast 25 Jahre nach der Wende gibt es zwischen Ost- und Westdeutschland noch große Unterschiede. Das wird auch eine große Koalition nicht ganz ändern können - vor allem bei der Rentenangleichung sind keine Wunder zu erwarten.

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Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall sind die Lebensverhältnisse in Ost und West immer noch nicht angeglichen. Auch eine große Koalition wird die Unterschiede bei den Löhnen und Renten nicht vollständig beseitigen.

Wird es einen einheitlichen Mindestlohn für ganz Deutschland geben?

8,50 Euro pro Stunde für jeden und überall: „Flächendeckend“ soll er sein, der Mindestlohn, den die SPD beansprucht, bevor sie den Koalitionsvertrag unterschreiben will. So jedenfalls steht es im Programm, so beteuern es die Verhandler der SPD seit Wochen. Sie sagen das auch in der Verhandlungsrunde Arbeit, die an diesem Samstag erneut zusammenkommt und der auf der SPD-Seite der Mecklenburger Regierungschef Erwin Sellering vorsitzt. In Wahrheit aber bröckelt die Front längst. Dass Auszubildende keine 8,50 Euro bekommen sollen, ist schon so gut wie vereinbart. Und auch über ein Nachgeben im Bezug auf Ostdeutschland wird längst halblaut in der SPD gesprochen. Mindestlohn-Hardliner finden kein Gehör mehr, wenn sie die Warnungen vor massenhafter Arbeitsplatzvernichtung als frühkapitalistischen Unsinn abtun. „Es wird eine zeitliche Öffnung geben“, prophezeit ein Unions-Unterhändler, und pragmatische Sozialdemokraten nicken zu dieser Frage.

Einziges Problem für sie: Wie bringt man das den Genossen an der Basis in Schwerin und Erfurt bei? Weshalb man nun über Strukturen brütet, die es möglich machen, die 8,50 Euro im Osten zu vermeiden und trotzdem behaupten zu können, den flächendeckenden Mindestlohn errungen zu haben. Denkbare Variante: Die geplante Kommission, die jährlich den Mindestlohn in der Höhe festlegen soll, könnte den Auftrag bekommen, dafür zu sorgen, dass der Osten zwar zunächst einen geringeren Mindestlohn erhält, am Ende der Legislaturperiode aber bei 8,50 Euro angekommen ist. Für die Wirtschaft im Osten würde das noch ein paar Jahre Luft bedeuten und die SPD könnte sich rühmen, den Mindestlohn „flächendeckend“ eingeführt zu haben. Ab 2017.

Wie würde sich ein Mindestlohn auf den Osten auswirken?

Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde würde sich dort besonders bemerkbar machen. Das zeigen aktuelle Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): Während in Westdeutschland bei jedem siebten Arbeitsplatz die Löhne angehoben werden müssten, wäre das im Osten bei jeder vierten Stelle der Fall. Betroffen wären vor allem Kleinstbetriebe mit bis zu vier Beschäftigten. Zu den schlecht bezahlten Berufen gehören unter anderem Friseure, Arzthelfer, Köche oder Pflegekräfte. Besonders gering entlohnt werden ungelernte Kräfte. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ist nach Ansicht der DIW-Wissenschaftler aber ein „Feldexperiment“, das sorgfältig überwacht werden sollte: Beim Einstieg dürfe das Niveau nicht zu hoch angesetzt werden. Wenn sich erweise, dass durch den Mindestlohn keine Jobs vernichtet würden, könne man sein Niveau „zügig“ anheben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wirbt dafür, mit unterschiedlichen Mindestlöhnen in Ost und West einzusteigen: IAB-Chef Joachim Möller hält 8,50 Euro im Westen für „gerade noch vertretbar“. Im Osten sieht er aber „ein hohes Risiko“, dass dadurch Arbeitsplätze verloren gehen. Für den Einstieg sei ein Stundenlohn von 7,50 Euro akzeptabel. Das ist der Mindestlohn, der aktuell auch in der Zeitarbeit im Osten gezahlt wird.

Werden die Ostrenten in dieser Legislatur auf das Westniveau angehoben?

Eine komplette Angleichung ist auch bis 2017 nicht zu erwarten. Selbst die SPD, die gerne vor einer „Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag“ warnt, will sich damit bis zum Jahr 2020 Zeit lassen. Das Ziel könne nur „in Stufen“ erreicht werden, argumentiert die Partei. EineVoraussetzung seien Fortschritte bei der Angleichung der Löhne. Und auch dann gehe es nur nach und nach. Anfangen sollte man aus SPD-Sicht mit einer einheitlichen Berechnung für pauschal bewertete Versicherungszeiten, also etwa für Kindererziehung oder Wehrdienst. Und die Union will gar nicht eingreifen, sondern es bei der ganz allmählichen Annäherung belassen. Das heißt: Gleiche Renten zwischen West und Ost gibt es erst, wenn sich auch die Wirtschaft auf einheitlichem Level befindet.

Warum gibt es überhaupt einen Unterschied bei der Rentenberechnung – und wie groß ist er?

Derzeit befindet sich das Rentenniveau Ost bei 91,5 Prozent des Westniveaus. Pro erworbenem Renten-Entgeltpunkt gibt es im  Westen 28,14 Euro, im Osten 25,74 Euro. Das liegt daran, dass die Löhne im Osten immer noch niedriger sind als im Westen – und dass nach dem Mauerfall ein Mechanismus erfunden wurde, mit dem auch in Ostdeutschland ein angemessener Abstand der Renten zu den Löhnen der Beschäftigten gewahrt bleiben sollte. Allerdings bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Bezüge der Ost-Rentner niedriger sind. Kompensiert wird der geringere Rentenwert Ost nämlich durch einen Umrechnungsfaktor, der die niedrigeren Ost-Löhne ausgleichen soll. Er wertet die Rentenanwartschaften, bezogen auf die gezahlten Beiträge, derzeit um 18 Prozent auf. Wer im Osten tausend Euro verdient, bekommt für seine Rente momentan 1177 Euro gutgeschrieben – 177 Euro mehr als im Westen. Entsprechend niedriger verläuft die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der Rentenbeiträge entrichtet werden müssen – sie liegt im Osten bei 58 800 Euro, während sie für westdeutsche Arbeitnehmer 69 600 Euro beträgt.

Warum lässt sich die Politik mit der Rentenangleichung so viel Zeit?

Versprochen worden war die Angleichung von Schwarz-Gelb schon für die vergangene Legislatur. Doch dann sprach sich herum, dass es bei dem vermeintlichen Akt der Gerechtigkeit auch viele Verlierer geben würde. Auf den Punkt gebracht: Profitieren würden die jetzigen Ost-Rentner, bestraft würden die künftigen. Denn bei einer Angleichung des Rentenwertes müsste die bisherige Höherwertung der Ost-Löhne für die Renten wegfallen. Beides geht nicht – auch aus SPD-Sicht. Das Ergebnis wäre dann für den Ost-Experten der Unionsfraktion im Bundestag, Arnold Vaatz (CDU), eine „unhaltbare Situation“. Denn den derzeitigen Rentnern im Osten gehe es trotz des niedrigeren Rentenwertes finanziell „vergleichsweise gut“. Die Ost-Arbeitnehmer jedoch hätten wegen ihrer vielfach lückenhaften Erwerbsbiografie und dem sinkenden Rentenniveau schon jetzt deutlich geringere Alterseinkünfte zu erwarten. Wenn man ihnen zudem noch die Höherwertung der Löhne streiche, verschärfe sich ihre Situation weiter. Aus Gerechtigkeitsgründen sollte man den Status quo belassen, sagte Vaatz dem Tagesspiegel. Mit einer vorschnellen Rentenangleichung erweise man den ostdeutschen Arbeitnehmern einen Bärendienst.

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