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Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hält nichts von einer Reform des Regelwerks für Medizintests.

© promo

Medizintests an Demenzkranken: „Ein Dammbruch, den ich nicht möchte“

Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) kritisiert im Interview die Pläne ihres Amtsnachfolgers Hermann Gröhe, Medizintests an Demenzkranken zu erleichtern.

Frau Schmidt, demnächst entscheidet der Bundestag über das Vorhaben von Gesundheitsminister Gröhe, mehr Arzneiversuche an nichteinwilligungsfähigen Menschen zu ermöglichen. Sie sind dagegen. Warum?

Es geht darum, die Würde des Menschen weitestgehend zu schützen. Nichteinwilligungsfähige Personen gehören zu einem besonders vulnerablen Personenkreis, weil sie sich aufgrund ihrer eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten nicht selbst gegen Eingriffe auf ihre Person wehren können. Es gibt keinen Grund, an der bisherigen Regelung etwas zu ändern. Die derzeitige Rechtslage wurde 2004 im Bundestag so entschieden, und sie wurde 2013 von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen einstimmig bestätigt.

Gröhe sagt, zur Würde des Menschen gehört auch sein Selbstbestimmungsrecht. Warum wollen Sie Menschen die freie Entscheidung für spätere Studien verbieten, die nicht ihnen selber, aber im Falle einer vererbbaren Krankheit vielleicht ihren Kindern nützen?

Das Problem ist, dass die Probanden zu einem Zeitpunkt in die gruppennützige Forschung einwilligen, in dem der Forschungs- und Wissensstand ein anderer ist als der, zu dem die potenzielle Forschung stattfindet. Daher wissen sie zum Zeitpunkt der Einwilligung nicht, in welche konkrete Behandlung sie einwilligen, die unter Umständen über einen langen Zeitraum andauern kann und auch Risiken oder Nachteile mit sich bringen kann. Es entspricht gerade der Würde des Menschen, selbst zu wissen, was genau mit dem eigenen Körper geschehen soll. Forschung am eigenen Körper ist ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines jeden und bedarf eines besonders hohen Schutzes. Deshalb sind auch für einwilligungsfähige Menschen hohe Hürden an Aufklärung, Information und Beratung gesetzlich festgeschrieben. Darüber hinaus ist nicht erwiesen, dass Forschung an ausschließlich nichteinwilligungsfähigen Personen erforderlich ist. Bis heute konnte kein Beispiel rein gruppennütziger Forschung genannt werden.

Anders als in anderen Ländern sollen solche Studien hierzulande nur mit vorheriger Einverständniserklärung des Probanden in geistig klarem Zustand möglich sein. Reicht diese Schutzvorkehrung denn nicht?

Im „klaren geistigen Zustand“ ist der Forschungs- und Wissenstand ein anderer als zum Zeitpunkt der potenziellen Forschung. Zudem können Ärzte keine adäquate vorherige Aufklärung durchführen, weil auch ihnen zum Zeitpunkt der Aufklärung der erforderliche Wissensstand fehlt. Dies gilt im Übrigen auch für gesetzliche Betreuer, die zum Zeitpunkt der Forschung für den Probanden eine Entscheidung treffen, die dem „mutmaßlichen Willen“ des Betroffenen entspricht.

Für das Einverständnis soll nun sogar noch ärztliche Beratung verpflichtend gemacht werden. Das ist weit mehr als bei Patientenverfügungen ...

Informationen über klinische Prüfungen von Arzneimitteln, den Unterschied zwischen fremd- und eigennütziger Forschungsteilnahme, sowie Begrifflichkeiten wie minimalem Risiko beziehungsweise Belastung sind aktuell nicht verfügbar. Es besteht die Gefahr der Kommerzialisierung der gruppennützigen Forschung und des „Werbens“ um die Abgabe von Patientenverfügungen zum Zwecke der Forschung. Hintergrund der Gesetzesänderung ist gerade, den Personenkreis der Probanden zu erweitern. Dies ist ein Dammbruch, den ich nicht möchte.

Ist es nicht ethisch geboten, die Entwicklung von Arzneimitteln gegen Demenz voranzubringen?

Forschung zu Demenz ist selbstverständlich geboten. Sie wird auch bereits durchgeführt. Regelungen dazu finden sich im Gesetz. Es ist jedoch in keiner Weise erwiesen, dass die fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen zwingend notwendig ist, um die Forschung voranzubringen. Bereits in der Debatte 2004 gab es breite Diskussionen, in denen auch die ethischen Fragen diskutiert wurden. Forschung an Kindern wird seitdem unter sehr strengen Voraussetzungen zugelassen. Auch Forschung an Nichteinwilligungsfähigen ist erlaubt, wenn sie für den Einzelnen einen individuellen Nutzen hat. Ein Forschungsergebnis, das einem Patienten individuell nutzt, nutzt gleichzeitig auch weiteren Menschen. Daher bedarf es keiner Änderung.

Für den Fall, dass Sie mit Ihrer Verbotsforderung Erfolg haben: Müsste deutschen Patienten dann nicht auch Arznei vorenthalten bleiben, die aufgrund solcher Forschung in freizügigeren Ländern entwickelt wird?

Der Maßstab darf nicht sein, was in anderen freizügigeren Ländern erlaubt ist. Als deutscher Gesetzgeber setzen wir unsere eigenen ethischen Maßstäbe; diese haben wir bereits gesetzt. 2013 haben die Rednerinnen und Redner aller Fraktionen unser hohes Schutzniveau gelobt und dabei betont, dass die Forschung dadurch nicht behindert wird.

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