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Merkel und der Brexit: Das Klein-Klein der Kanzlerin ist zu wenig

Die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel war die Abdankung der Politik. Ihr Kurs ist die permanente Rückversicherung. Das reicht nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn doch stimmt, dass wir uns mit dem Brexit in revolutionären Zeiten befinden, die den ganzen Kontinent erfassen können – dann war die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin die Abdankung der Politik. Das soll eine Antwort gewesen sein auf das, was geschehen ist und noch geschehen soll, nämlich EU-Europa zu retten? Darum geht es aber!

Da, wo Angela Merkel – immerhin fünf Tage nach dem Einschnitt, wie sie selbst sagt – nicht banal war, war sie irrelevant. Ihre Politik in, sagen wir, Handeln übersetzt bedeutet: strikte Einhaltung des einmal Vereinbarten. Abgesehen davon, dass das wie weiland bei Breschnew klingt, dem ehemaligen sowjetischen KP-Generalsekretär – das ist keine Politik.

Europa, so lautet wohl ihr Theorem, soll sich in Zeiten der Krise als Hort der Rechtsstaatlichkeit verstehen und präsentieren. Nun wollen wir annehmen, dass die Bundeskanzlerin damit die Hoffnung verbindet, die Briten und alle anderen, die sich an Regeln der Europäischen Union nicht weiter halten mögen, ins Unrecht zu setzen. Bloß, was ist mit den Franzosen, die das seit Jahren in Etatfragen tun? Ungestraft! Gerecht ist das nicht. Und was ist mit denen, für die Regelverletzung gerade der Vorsatz ist? Gleich wie der Paragraph heißt, auf den sich Merkel bezieht – Revolutionen verlaufen nicht nach Paragraphen.

Wie viel Zeit braucht Merkel noch?

Wenn die Kanzlerin schon von Fliehkräften spricht, die nicht gestärkt werden dürften, dann darf sie das auch nicht tun. Ruhe, Besonnenheit, Analyse, ihre Kernbegriffe: alles gut, alles richtig. Nur stellt sich die Frage, wie viele Tage Zeit sie noch braucht, um die Lage zu analysieren? Eine Lage, die das Kanzleramt, die alle sogenannten Experten um sie herum Wochen, Monate hätten vorhersehen können, antizipieren müssen. „Worst- Case- Szenarien“, davon reden sie doch immer so gern gescheit. Die übrigens zur Analyse und zur strategischen Vorausschau gehören.

Aber nein, nichts davon. Klein, klein, klein ist die Rede im Bundestag, die sie der Kanzlerin für diesen Tag, einen weiteren historischen, aufgeschrieben haben. Mit Erasmus plus als dem Besten, das sie zu bieten haben? Ja, schon recht, die Briten müssen sich, solange sie noch in der EU sind, auch an alle Pflichten aus den Verträgen halten. Wie alle anderen, die nicht zu vergessen.

Merkels Kurs ist permanente Rückversicherung

Bloß braucht es dafür keine Regierungserklärung, zumal die auch keinen Aufschluss darüber gegeben hat, wie zu verfahren wäre, wenn sich London einfach nicht daran halten wollte. Nein, dazu gab es nichts – und zur Zukunft konkret auch nichts. Nichts Konkretes außer dem Hinweis auf den Vertrag (!) von Lissabon, in dem 2000 versprochen wurde, Wachstum, Arbeitsplätze und mehr sozialen Zusammenhalt zu schaffen. Dass Versprechen gehalten, Verträge und Regeln geachtet werden müssen.

Das ist so wahr wie banal. Nur wie? Mit welchen Ideen? Welchen konkreten Maßnahmen? Die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, der allein schon ökonomisch stärksten Macht in Europa, nannte nicht eine einzige. Dabei hängt von den Maßnahmen der Fortbestand Europas ab. Politik ist das nicht. Merkels Kurs ist permanente Rückversicherung. Ist Tasten und Warten und Hoffen und Schauen. Und am Ende die Vermutung, dass sich alles fügen wird. In Revolutionen ist das nicht so sicher.

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