zum Hauptinhalt

Politik: Mit Bulldozern im Wald verscharrt

GLOGOVAC . Das Haus ist abgebrannt, doch die Mauer steht noch.

GLOGOVAC . Das Haus ist abgebrannt, doch die Mauer steht noch. Die Einschußlöcher ziehen sich über mehrere Meter hinweg auf etwa Hüfthöhe. Arbenor Morina, 17 Jahre alt und Flüchtling in einem mazedonischen Auffanglager, hatte die Szene vom frühen Morgen des 17. April gegenüber dieser Zeitung sehr präzise beschrieben. Er schilderte, wie seine Familie von serbischen Polizisten sowie Paramilitärs aus dem Haus geholt worden war. Danach waren die Männer von den Frauen getrennt und hinter das Haus geführt worden. Acht Männer der Morina-Familie mußten sich hinknien. Die Arme hatten die Männer hinter den Köpfen verschränkt, als der Kugelhagel sie niedermähte. Arbenor Morina konnte damals nur ahnen, daß den Bewohnern der umliegenden Häusern ein ähnliches Schicksal widerfahren war. Aus allen Richtungen hörte er Gewehrfeuer und die rauhen Stimmen von Soldaten. Die serbischen Einheiten haben im Dorf Cikatovo wenige Kilometer außerhalb von Glogovac, einem Städtchen im Herzen des Kosovo, 26 Männer hingerichtet.

Das Haus, hinter dem acht von ihnen den Tod fanden, gehörte dem 36jährigen Sejdi Morina. Er, der Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK), hat sich immer nur in der Nacht in den Weiler hinunter getraut, um nach seinen Angehörigen zu schauen. Das mußte so sein, weil die Paramilitärs fast jeden Tag in den Ort kamen, an die Türen schlugen und Geld oder Wertsachen verlangten. Und sie suchten auch nach "Terroristen", nach Mitgliedern der UCK. Am Morgen des 17. Aprils war Sejdi Morina schon im nahen Wald, als die serbischen Einheiten das Dorf umstellten und alle Zugänge abriegelten. Vom Wald aus, gleich hinter dem Dorf, hörte Sejdi Morina die Schreie und die Schüsse. Doch gegen die Übermacht der Serben, sagt er heute, konnten er und seine Mitkämpfer nichts machen.

Sejdi Morina, einst Lehrer in der Schule von Glogovac, ist zurück in seinem Heimatdorf. Dort stehen nur noch Ruinen. Auf den verwachsenen Feldern liegen tote Kühe, die Beine in die Höhe gespreizt und die Bäuche von der Hitze aufgebläht. Zwischen den ausgebrannten Häusern schauen ein paar Rückkehrer aus den Wäldern, ob sie noch etwas Brauchbares finden. Bei jedem Schritt ist die Angst vor Minenfallen mit dabei. "Wovon sollen wir jetzt leben?", zeigt sich Sejdi Morina ratlos. Alles, was er einst hatte, ist zerstört, und was aus seiner Frau geworden ist, weiß er nicht. In der Tasche trägt er ein Foto seines Bruders, eines der Opfer der Hinrichtung. Auf einem kleinen Stück Papier hat er fein säuberlich alle Namen der Männer aufgelistet, die seit dem Morgen des 17. Aprils fehlen. Ein paar Tage seien die Leichen der Männer unter freiem Himmel zu sehen gewesen, weiß Sejdi Morina zu berichten. Dann seien sie von den Serben mit einem Bulldozer oben im Wald in einem Massengrab verscharrt worden. Dort blieben sie auch einige Zeit liegen. Bis vor ein paar Tagen die serbischen Paramilitärs die Leichen wieder ausgruben. Vor der Ankunft der Nato-Soldaten sollten die Spuren verwischt werden. Die Toten seien dann auf dem Friedhof von Cikatovo in einem neuen Massengrab "versteckt" worden.

"Wir kriegen laufend neue Hinweise auf Massengräber", sagt der Kommandant einer britischen KFOR-Einheit, die in Glogovac ihr Lager aufgeschlagen hat. Möglicherweise seien 10 000 Albaner nach rund 100 Massakern verscharrt worden, erklärte jetzt das britische Außenministerium.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false