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Gute Laune bei der SPD: Sigmar Gabriel, Thomas Oppermann und Martin Schulz

© dpa/Soeren Stache

Nach dem Koalitionsausschuss: Die SPD hat das Wettverlieren gewonnen

SPD und CDU wollen im Wahlkampf zurück zu ihren Wurzeln. Im Koalitionsausschuss ging es darum, geschickt zu verlieren, um das alte Selbst reparieren zu können. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Der Koalitionsgipfel der vergangenen Nacht hat im beginnenden Wahlkampf eine zentrale Bedeutung – und ist für beide Regierungsparteien so heikel wie chancenreich zugleich. Es gilt einerseits, sich handlungsfähig zu zeigen und in den viel beschworenen aufgewühlten weltpolitischen Zeiten nicht die staatsverantwortende Aura mit Wahlkampf-Rumgezicke zu beschädigen. Und es gilt gleichzeitig, den politischen Noch-Ehepartner möglichst mies aussehen zu lassen. Vorerst kann man sagen: Die SPD hat es besser gemacht. Ihren Wahlkampf-Toolkit hat sie mit ein paar praktischen Multifunktionsgeräten ausgestattet, die sowohl das eigene Profil reparieren, als auch dem politischen Gegner richtig was kaputt machen können.

Ein weiterer Baustein im Image-Reparaturwahlkampf von Union und SPD

Es wird ein Reparaturwahlkampf – vor allem mit Reparaturen am Selbst. Unter dem Druck der Wählerabwanderung nach Neu-ganz-Rechts und nach langen GroKo-Jahren des Profilverlusts besinnen sich Union und SPD auf ihre politische Herkunft – das hat sich auch in der vergangenen Nacht wieder gezeigt. Die Union wird antreten als staatstragende Sicherheitspartei, fest verankert im traditionell transatlantischen Weltgefüge (inklusive höherer Verteidigungsausgaben). Die SPD besinnt sich auf das Gute am 19. Jahrhundert, auf Bebel, auf ihre Identität als Gerechtigkeits- und Friedenspartei. An Morgen denkt so recht keine der beiden, aber bleiben wir hier wenigstens beim heute: Um ihre Selbstbilder zu reparieren, haben sich beide Seiten im Koalitionsausschuss in der vergangenen Nacht mit dem nötigen Werkzeug munitioniert.

Wichtig ist als Werkzeug heute eher, was nicht beschlossen, denn was beschlossen wurden: Die offenen Punkte des Koalitionsgipfels der vergangenen Nacht sind die politischen Versprechen des Wahlkampfs und die SPD hat das Wettverlieren gewonnen

Ringen um die Interpretation der Nacht

Gescheitert ist gestern Abend 1. Andrea Nahles mit ihrem Vorhaben, ein Recht auf die Rückkehr von Teilzeit- auf Vollzeitarbeit zu garantieren. Die Union wird zwar heute und in den kommenden Monaten argumentieren, das liege nur daran, dass die SPD sich nicht darauf eingelassen hat, kleinere Unternehmen von der Reglung auszunehmen. Die SPD kann sich mit diesem Thema aber sowohl als modern als auch als sozial darstellen. Auch, dass es keine Einigung über die Solidarrente gab, die Rentner vor der Altersarmut bewahren soll, dürfte die SPD-Wahlkampfstrategen heimlich freuen, ebenso wie der Dissens bei der Begrenzung von Managergehältern.

Die Union hat zwar grundsätzlich gar nichts dagegen und auch einen praktikablen Vorschlag gemacht: Die Hauptversammlungen sollen die Gehälter entscheiden. Die SPD will hingegen eine klare Begrenzung der Absetzbarkeit von Gehältern als Betriebsausgabe ab 500.000 Euro im Jahr – und die Hauptversammlung nur ja/nein sagen lassen. Letztlich liegt der Dissens also nur beim „Wie“ – doch die SPD wird es leichter haben, sich bei diesem Symbolprojekt als gerechter und die Union als Gerechtigkeitsverhinderer darzustellen.

Auch die Ehe für Alle, die die Union nicht wollte, ist ein Gerechtigkeitsthema, mit der die SPD auch viele Wähler Mitte gewinnen können wird. Der Union hingegen bleibt für die Reparaturarbeiten am Profil als strenge Sicherheitspartei aus der vergangenen Nacht eigentlich nur ein ziemlich mickriger Schraubenschlüssel: Sie wollte leichtere Abschiebungen für Menschen erreichen, die sich Sozialleistungen erschlichen haben.

Heute ist der entscheidende Tag im Ringen um die Interpretation der vergangenen Nacht. Heute wird der Ton gesetzt, um das Gewonnene (beziehungsweise: Verlorene) für die nächsten Monate nutzbar zu machen. Ihr politische Kommunikationskunststück führen SPD und Union auf getrennten Bühnen auf, bei getrennte Pressekonferenzen. Generell dürfte zu erwarten sein: Die staatstragende Mine in die Kameras und Mikrofone, die Schuldzuweisungen und Nickeligkeiten in den Hintergrundgesprächen mit Journalisten „unter Zwei“ oder „unter Drei“, zu denen beide Seiten heute im Laufe des Tages eingeladen haben.

SPD entdeckt nach vier Jahren unüberbrückbare "ideologische Grenzen"

Unionsfraktionschef Volker Kauder hat heute im Morgenmagazin den Anfang gemacht: Die Atmosphäre sei „sachlich und zielorientiert“ gewesen. Und natürlich habe sich die CDU durchgesetzt bei den Dingen, die ihr besonders wichtig waren. Kanzleramtschef Peter Altmaier bekräftigte im Deutschlandfunk, die GroKo sei weiterhin „handlungsfähig“. Um zehn Uhr trat SPD-Kollege Thomas Oppermann vor die Kameras, ebenfalls sehr „zufrieden“. Und weiter: „Bei allen Fragen, die mehr Gerechtigkeit betreffen, stoßen wir allerdings jetzt an die ideologischen Grenzen der Union.“

Das „jetzt“ ist lustig nach vier Jahren, aber schlau: Schafft es die SPD heute und in den kommenden Tagen den Ergebnissen der vergangenen Nacht den richtigen „Spin“ zu geben, ihre eigenen Interpretation gut zu verkaufen, hat sie nach dem Schulz-Coup einen weiteren wichtigen Schritt Richtung Wahlerfolg gemacht. Denn so retro man die Reparaturarbeiten am Bild von der Gerechtigkeits- und Friedenspartei SPD finden mag – die Wähler scheinen es zu mögen.

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