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Jeremy Corbyn nach seiner Wahl zum neuen Chef der britischen Labour Party.

© AFP

Neuer Chef der Labour Party: Corbyns Sieg steht nicht für ein altlinkes Comeback

Die Wahl von Jeremy Corbyn zum neuen Labour-Chef hat mit Ideologie wenig zu tun. Es geht eher um den Abschied von allumfassenden Weisheiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Leber

Eine so verrückte Geschichte wie die von Jeremy Corbyn kann es wohl nur in Großbritannien geben. Dass er einmal Labour-Vorsitzender und damit Chef von „Her Majesty’s Most Loyal Opposition“ werden würde, damit hatte der Monarchiegegner selbst nie gerechnet. Überhaupt durfte er nur kandidieren, weil ein anderer Labour-Abgeordneter ihm am 15. Juni um 11:59 Uhr, eine Minute vor Fristablauf, die entscheidende 35. Unterstützungsunterschrift gab. Sonst wäre Corbyn hinten in der letzten Bank geblieben.

Es waren vor allem junge Leute, die Corbyn gewählt haben

Nun kann man den kometenhaften Aufstieg des Vegetariers und Antialkoholikers, der seine morgendlichen Zeitungen in kurzen Hosen, Socken und Sandalen aus dem Briefkasten zieht, als typisch britische Skurrilität abtun. Tatsächlich ist kaum ein Szenario vorstellbar, in dem dieser Mann einmal Premierminister wird – Regierungserfahrung hat er keine und bei der nächsten Wahl in fünf Jahren wäre er 71 Jahre alt.

Wer in Corbyn allein einen aus der Zeit gefallenen Altsozialisten sieht, der verkennt allerdings das Phänomen, das hinter ihm steht: Es waren in erster Linie junge Leute, die Corbyn zu seinem Erdrutschsieg von knapp 60 Prozent in der halboffenen Labour-Urwahl verholfen haben. Mit Rezepten aus den 70er Jahren hat diese jüngere Generation wenig am Hut. Sie möchte der angeblich allumfassenden Weisheit des Marktes nicht vertrauen – sie glaubt aber auch nicht an die seligmachende Wirkung eines durch und durch regulierenden Staates. Sie setzt eher auf kleinteilige Lösungen, als von einem geschlossenen System her zu denken.

So gesehen lässt Corbyns Sieg sich gerade nicht als Signal für ein Comeback ideologisch aufgeladener Gewerkschaftspolitik verstehen, auch wenn er dies vielleicht so möchte. Eher ist es das leicht Anarchische in seiner Biografie, das ihn attraktiv erscheinen lässt. Er, der so oft wie kaum ein anderer Labour-Abgeordneter gegen Entscheidungen Tony Blairs stimmte, wird anderen nun kaum den Mund verbieten können.

Mit interessanten Debatten aber haben sozialdemokratische Parteien – in Großbritannien wie anderswo – schon lange nicht mehr auf sich aufmerksam gemacht. Diese sind unabdingbar, wenn die Antworten auf die Globalisierung nicht aus der Mottenkiste stammen sollen. Die Entscheidung für Corbyn ist ein Misstrauensvotum gegen pathetische Versprechen – wie Blairs „Dritter Weg“ eines war. Wenn es gut läuft, ist der 66-jährige Corbyn nur der Moderator, der dabei hilft, einen neuen Weg zu finden.

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