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ORTSTERMIN: Allein unter Freunden

Gesine Schwan wirbt bei den Jusos für ihre Präsidentschaftskandidatur – von vielen in der SPD fühlt sie sich im Stich gelassen

Sie hat Glück. Gesine Schwan betritt das Audimax der Humboldt-Universität in Berlin durch einen Nebeneingang an der Bühne, als Franziska Drohsel, Chefin der Jusos, ihr zwanzigminütiges Grußwort gerade beendet hat. Es ist nicht nur ein Pamphlet für mehr Staat, sondern gleich für mehr Sozialismus: Die Bahn verstaatlichen und das gesamte Energienetz gleich mit. Applaus gibt es dafür viel, schließlich eröffnet sie den Juso-Kongress, der unter dem Motto „Linkswende 09“ steht. Die Präsidentschaftskandidatin der SPD hat all das höchstens hinter der Bühne gehört, da muss sie nicht klatschen. Auch von der Parteispitze ist auch niemand bei ihr, nur sie und ihr Referent. Sie kämpft allein um das Präsidentschaftsamt. Wenigstens ein Teil der Partei unterstützt sie uneingeschränkt: die linke SPD-Jugend. Wohl auch deshalb, weil Schwan im Mai nur Erfolg haben könnte, wenn sie sich von den Stimmen der Linkspartei wählen lässt. Und mit denen würden die Kleinen in der SPD auch gerne mal anbändeln. Doch Schwan bekommt die Bühne nicht für sich allein. Sie muss sich die Aufmerksamkeit auf einem Podium teilen – mit Wissenschaftlern und Franziska Drohsel.

Gehüllt in eine dicke Felljacke sitzt Schwan neben Drohsel in einem roten Sessel auf der Bühne. Sie lächelt. Mütterlich blickt sie zur Juso-Chefin, als wolle sie sagen, in deinem Alter wollte ich den Kapitalismus auch noch abschaffen. Genau das fordert Drohsel im Lauf der Diskussion immer wieder. Dabei rückt sie aufgeregt auf ihrem Sessel hin und her. Schwan sitzt ruhig. Sie lässt sich nicht verleiten. Den Kapitalismus wolle sie nicht abschaffen, ihm allenfalls schärfere Regeln geben. Und ob ein Unternehmen in Staatshand mehr für das Gemeinwohl tue als ein Privatmann, sei auch sehr zweifelhaft. Ein Juso im Audimax applaudiert.

Versteckte Spitzen in Richtung Willy-Brandt-Haus

Es bleibt der einzige Pfeil, der die Jusos trifft. Die restlichen sind für die große Mutterpartei, die SPD bestimmt. Ihre Partei, für die sie als Präsidentschaftskandidatin im Mai antritt. Es sind nur winzige, versteckte Spitzen, die sie Richtung Willy-Brandt-Haus schickt. Anwesend ist von der Parteispitze an diesem Abend sowieso keiner. Sie redet von der Ungerechtigkeit, die Politikern manchmal widerfahre. Von wem, lässt sie offen. Sie fragt schelmisch: „Warum kommt in dieser Bundesregierung niemand auf die Idee, beim Konjunkturpaket in puncto Bildung nicht nur in totes Material zu investieren, also Beton, sondern auch in Personal?“ Außerdem beklagt sie sich, dass Bildung zu stark vom ökonomischen Wettbewerbsgedanken geprägt sei. „Da haben ja wohl auch ihre Genossen gnadenlos versagt?“, fragt die Moderatorin. Die Jusos klatschen lautstark, so wie sie immer laut klatschen, wenn die eigene Partei kritisiert wird. Antwort Schwan: „Als bekennende Christin lehne ich den Begriff der Gnadenlosigkeit ab“. Nichts klingt nach großer Liebe an diesem Abend.

„Die Unterstützung ist schon da“, sagt Frederik Digulla, Juso aus Segeberg bei Hamburg, „aber es könnte schon etwas mehr sein.“ Schwan sei eine Linke und er ist wie viele Jusos von ihr überzeugt. Ob das beim Rest der Partei auch so gesehen werde, weiß Digulla nicht. „Sie ist eben noch eine Kandidatin von Kurt Beck“. Und den fanden die Jusos ja auch mal gut.

Schwan will sich nichts anmerken lassen. Ihre Hand hält sie ans Kinn. Es soll Nachdenklichkeit demonstrieren, wenn sie über Vor- und Nachteile skandinavischer Bildungs- und Wirtschaftspolitik debattiert. Und doch wirkt es eher wie eine Stütze. Je länger die Diskussion dauert, desto mehr weicht dem Lächeln ein ausdrucksloser Blick ins Nichts. Müde wirkt sie. Am Ende soll sie sogar etwas über integrierte Gesamtschulen sagen. „Aber ich bin doch keine Schulexpertin“, erklärt Schwan, um dann doch etwas von Experimenten zu sagen, die man wagen müsse – in der Bildung.

Christian Tretbar

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