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Der SPD-Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende Martin Schulz am Ende des Parteitags.

© dpa/Jonas Güttler

Update

Parteitag in Dortmund: SPD beschließt Wahlprogramm - harte Attacken von Schulz gegen Merkel

Bei ihrem Sonderparteitag versucht die SPD die Trendwende. Kandidat Schulz geht die Kanzlerin und die Union hart an. Das Wahlprogramm wird ohne Gegenstimmen beschlossen.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Dortmund einmütig ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl im September beschlossen. In dem Text mit dem Titel "Zeit für mehr Gerechtigkeit" setzen sich die Sozialdemokraten unter anderem für eine faire Lastenverteilung bei der Steuer und für eine Stabilisierung des Rentenniveaus ein. Es gab keine Gegenstimmen, die Nachrichtenagentur dpa berichtet von einer Enthaltung.

Kanzlerkandidat Martin Schulz sagte, er könne sich nicht erinnern, dass die Partei je ein Regierungsprogramm einstimmig verabschiedet habe. Das Programm sei die Grundlage dafür, dass die SPD "gut aufgestellt ist", um Gerechtigkeit heute und in der Zukunft für Deutschland in einem starken Europa zu verwirklichen. Der Union warf Schulz vor, kein Programm und damit auch keinen "Fahrplan für die Zukunft" zu haben. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zeigte sich "verdammt glücklich" über den Ausgang der Abstimmung. "Wir haben heute bewiesen: Wir sind kampfbereit. Wir glauben nicht an Umfragen", sagte er.

Schulz' Vorgänger als Parteivorsitzender Sigmar Gabriel zeigte sich auf Twitter ebenfalls hocherfreut:

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Zu den wichtigsten Punkten des Wahlprogramms zählt die Forderung nach Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen und höheren Steuern für Spitzenverdiener. Kitas sollen gebührenfrei und die Ehe für Schwule und Lesben geöffnet werden. Überraschend sprach sich die SPD für einen vorübergehenden kompletten Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan aus.

Folgende Passage wurde laut dpa ins Wahlprogramm aufgenommen: „Da die Sicherheitslage in Afghanistan kein sicheres Leben zulässt, werden wir bis auf Weiteres keine Abschiebungen nach Afghanistan durchführen.“ Die Antragskommission hatte eine allgemeinere Formulierung vorgeschlagen - ein Nein zu Abschiebungen in Kriegsgebiete, aber ohne ausdrückliche Nennung Afghanistans. Diese Linie setzte sich jedoch nicht durch.

In den Projektionen zur Bundestagswahl liegt die Partei deutlich hinter der Union, die Euphorie über den Kanzlerkandidaten Martin Schulz ist verflogen. In Dortmund haben die Sozialdemokraten nun die Aufholjagd eingeläutet. Wegen strenger Sicherheitsvorkehrungen startete der Parteitag mit mehr als 6000 Besuchern am Sonntagvormittag rund eine Stunde später als geplant.

Kanzlerkandidat Schulz warf in seiner Rede Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, "systematisch die Debatte um die Zukunft des Landes zu verweigern". Die Union fördere bewusst und mit Vorsatz, dass weniger Menschen wählen gingen. Denn eine geringere Wahlbeteiligung gehe erfahrungsgemäß zulasten der anderen Parteien. "Dann nennt man das in Berliner Kreisen vielleicht asymmetrische Demobilisierung. Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie", sagte Schulz. In vergangenen Jahren sei Merkel mit dieser Taktik, sich nicht zu äußern und nicht festzulegen, durchgekommen. Die CDU sei nach dem Motto verfahren: "Es gibt ja Angela Merkel – das reicht ja."

"Ehe für alle" nun endgültig Koalitionsbedingung

"Das ging 2009 und 2013, aber nicht mehr im Jahre 2017", rief Schulz den Delegierten zu. Er sehe es als seine Herausforderung, "den Wandel zu gestalten und zugleich für Gerechtigkeit zu sorgen", sagte Schulz weiter. Es sei "die Mission" der SPD, "die Würde des Menschen in Zeiten gewaltiger Umbrüche zu sichern, Fortschritt zu gestalten, aber den Menschen immer in seinen Mittelpunkt zu stellen".

Als Zeichen der Abgrenzung von der Union machte Schulz die Ehe für alle - auch für Homosexuelle - zur Bedingung für eine Regierungskoalition. Die Union ist der einzige potenzielle Koalitionspartner, der dagegen ist. "Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem die Ehe für alle nicht verankert ist", sagte Schulz.

Neben der Union attackierte Schulz nur die rechtskonservative AfD, die er als "NPD light" bezeichnete. Die potenziellen Koalitionspartner Linke, Grüne und FDP verschonte der Kanzlerkandidat dagegen. Mit knapp zehn Minuten Applaus und "Martin, Martin"-Rufen feierten die Teilnehmer des Parteitags ihren Kanzlerkandidaten nach dessen Rede. "Liebe Genossinnen und Genossen: Wir müssen aber noch das Wahlprogramm verabschieden", sagte Schulz, als er unter dem Jubel erneut ans Rednerpult trat. "Aber herzlichen Dank für die große Unterstützung."

Das SPD-Wahlprogramm steht unter dem Titel "Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit: Zukunft sichern, Europa stärken". Die Reaktionen anderer Parteien auf den SPD-Parteitag finden Sie hier.

Altkanzler Schröder als Mutmacher

"Wir geben heute den Startschuss für die Aufholjagd", hatte die künftige Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, zur Eröffnung des Bundesparteitags gesagt. "Wir wollen stärkste Kraft werden." Martin Schulz solle der nächste sozialdemokratische Kanzler werden. Die SPD habe die richtigen Antworten für ein modernes, gerechtes Deutschland und ein friedliches Europa. Der CDU warf sie vor, kein Programm zu haben: "Die CDU macht keine Politik."

Altbundeskanzler Gerhard Schröder machte den Genossen Mut. "Nichts ist entschieden", sagte Schröder. "Es ist noch viel Zeit, um die Stimmung zu drehen." Nötig seien Disziplin, Geschlossenheit, aber auch Selbstbewusstsein. "Nicht Journalisten, nicht Umfragemenschen entscheiden die Wahl", sagte Schröder. Ausschlaggebend seien die Wähler, und viele träfen ihre Entscheidung erst am Wahltag. "Dies ist unsere Chance."

Die SPD müsse das Kanzleramt aber auch wollen. "Auf dem Weg in dieses Amt darf es eben keine Selbstzweifel geben", sagte Schröder. Martin Schulz habe deutlich gemacht, dass er Kanzler werden wolle. Andere müssten das auch verinnerlichen.

Schröder erinnerte an den Bundestagswahlkampf 2005, in dem die SPD gekämpft und aufgeholt habe, auch wenn es am Ende nicht ganz reichte. "Was damals ging, das geht heute auch", sagte Schröder. "Auf in den Kampf! Venceremos!" Der spanische Begriff heißt übersetzt: "Wir werden siegen."

Laut einer aktuellen Emnid-Umfrage liegt die Union in der Wählergunst 15 Punkte vor der SPD. Während CDU und CSU zusammen stabil bei 39 Prozent blieben, büßte die SPD um einen Punkt auf 24 Prozent ein.

10 Minuten Applaus für die Rede: SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz
10 Minuten Applaus für die Rede: SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz

© Reuters/Wolfgang Rattay

Nicht mehr Juniorpartner der Union sein

Fraktionschef Thomas Oppermann zeigte sich in einem Interview mit "Spiegel Online" vor dem Start des Parteitags zuversichtlich, dass die SPD die Trendwende noch hinbekommt. "Wir liegen derzeit noch hinten, punkten nun aber stetig, jetzt gerade mit unserem Steuerkonzept. Schulz leistet saubere Arbeit", sagte er.

"Wir haben einen hervorragenden Kandidaten. Programmatisch sind wir bestens aufgestellt", sagt Oppermann weiter. Die SPD sei auch dank mehr als 20.000 neuer Mitglieder hoch motiviert. In den 91 Tagen bis zur Bundestagwahl könne die Partei noch kräftig zulegen. "Wenn nur jedes zweite SPD-Mitglied jeden zweiten Tag einen Wähler überzeugt, landet die SPD am 24. September auf dem ersten Platz", sagte Oppermann.

Martin Schulz sei von der plötzlichen Euphorie nach seiner Kür zum Kandidaten und den steil ansteigenden Umfragewerten irritiert gewesen, weil Vertrauen bekanntlich langsam wachse. "Inzwischen haben die Bürger erlebt, dass er auch schwierige Situationen meistern kann", sagte Oppermann. "Ich bin mir deshalb sicher, dass seine Werte und die der SPD wieder nach oben gehen werden."

SPD will nicht mehr Juniorpartner der Union sein

Wenn die SPD bei der Wahl 30 Prozent erreiche, könne niemand gegen sie regieren. Juniorpartner der Union werde die SPD aber nicht mehr werden. "Eine große Koalition unter Führung von Merkel hat keine Zukunft. Sie darf keine Dauereinrichtung in diesem Land werden", sagte Oppermann. "Wir wollen stärkste Fraktion werden, dann regeln wir die Frage der Partner."

Der Auftritt von Altkanzler Gerhard Schröder beim Parteitag sei viel wert. "Schröder hat durch seine Reformen dafür gesorgt, dass Deutschland heute wirtschaftlich stark ist", sagte Oppermann. "Für den Wahlkampf nehmen wir seinen Kampfeswillen mit." An die Macht komme man nur durch harte politische Auseinandersetzung. "So hat Gerhard Schröder gegen Kohl und Stoiber gewonnen - und beinahe auch gegen Merkel. Das wird jetzt Martin Schulz schaffen", sagte Oppermann. (mit dpa, AFP)

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