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Sehnsuchtsort: Französische Juden kommen in Israel an.

© dpa/ABIR SULTAN

Politische Literatur: Israel: Kleines Land mit großer Anziehungskraft

Michael Brenner über Israel als Staat und Traum.

Israel. Allein das Wort reicht aus, um die Gefühlswelt vieler Menschen durcheinanderzubringen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – das kleine Land am Mittelmeer polarisiert auch fast 70 Jahre nach seiner Gründung. Für die einen ist der Judenstaat ein Hort der Demokratie inmitten autoritärer Regime, eine Art zivilisierter Vorposten des Westens im wilden Nahen Osten. Und nicht zuletzt ein hochgradig spiritueller Ort, mit dem religiöse Heilserwartungen jeder Couleur verbunden werden.

Für die anderen ist Israel ein Apartheidsregime, das die Palästinenser mit aller Gewalt unterdrückt. Ein kolonialistischer Aggressor, den es zu bekämpfen gilt. Nicht wenige stellen das „zionistische Gebilde“ sogar offen und grundsätzlich infrage. Und auch das spiegelt Israels Sonderrolle: Die Aufmerksamkeit für das Mini-Land steht in keinem Verhältnis zu seiner geografischen Größe und seinem politischen Einfluss.

„Schlägt man die Zeitung auf oder hört die Nachrichten, könnte man meinen, dass Israel neben China, Russland und den USA zu den wichtigsten Staaten der Erde gehört.“ Mit diesem Satz beschreibt Michael Brenner treffend die Obsession, sich an Israel abzuarbeiten.

Juden werden oft als „das Andere“ wahrgenommen

Da tut es gut, dass der Historiker ein nüchtern analytisches, unaufgeregtes Buch geschrieben hat. Zumal eines, das nicht den x-ten Versuch unternimmt, den Nahostkonflikt zu lösen. Es geht zwar auch um Autonomiewünsche, Ein- und Zwei-Staaten-Gedankenspiele. Den Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte an der Universität München interessieren jedoch vor allem die Gründe für die Andersartigkeit Israels. Brenner zufolge prägte gerade der Grundwiderspruch zwischen ersehnter Normalität und erwünschter Einzigartigkeit das Projekt „Jüdischer Staat“ von Anfang an.

Dieser Grundwiderspruch – von Brenner mit Theodor Herzl beginnend als eine ideengeschichtliche Zeitreise anregend beschrieben – findet seine Entsprechung in einer für Juden zentralen Frage: Sind wir ein Volk wie jedes andere? Fest steht: Juden wurden und werden oft als „das Andere“ wahrgenommen. Daraus resultierten Vorurteile und Verfolgung. Bis hin zum Völkermord.

Diese Sonderrolle findet in der Geschichte Israels ihren Niederschlag. Denn die Gründung des Judenstaats entspringt laut Brenner nicht nur dem Wunsch, so zu sein wie die anderen, „sondern ist gleichzeitig aus der Idee heraus geboren, anders zu sein und ein Vorbild für den Rest der Welt darzustellen“. Dieses Spannungsverhältnis hat nicht nur den Zionismus geprägt, sondern auch die Debatten über Israels Charakter als Staat.

Und heute? Israel wirkt, wie Brenner schreibt, „in religiös-orthodoxe und radikal-säkulare Territorien“ zerteilt. Dieser Graben werde tiefer, der gemeinsame Boden zwischen den Blöcken gehe verloren. Was nichts daran ändert, dass Israel für viele Menschen etwas Besonderes bleibt: eine Projektionsfläche für Ängste, Hoffnungen und Wünsche.

– Michael Brenner:

Israel. C.H.Beck, München 2016. 288 Seiten, 24,95 Euro.

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