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Politik: Puten dürfen hoffen

Umstrittene Landwirtschaftsministerin in Niedersachsen wird ausgewechselt

Als Gert Lindemann vor elf Monaten gehen musste, verstand das in Niedersachsen keiner. Ausgerechnet Staatssekretär Lindemann, ein exzellenter Kenner der Agrarpolitik, soll wegen einer schlichten „Umstrukturierung“ in der Bundesregierung gehen? Es war die bayerische Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die den Niedersachsen Lindemann vor die Tür setzte. Jetzt kehrt er auf die politische Bühne zurück – als Landwirtschaftsminister in Hannover. Und Aigner wird an die alte Weisheit erinnert: Man sieht sich immer zweimal im Leben.

Dass Lindemann seinerzeit gehen musste, lag vermutlich an seiner Stärke. Der 63 Jahre alte Jurist kennt sich in der Agrarpolitik aus wie kein Zweiter. Und er hat die Gabe, in einer Mischung aus Fachkompetenz und Strahlkraft seine Zuhörer zu überzeugen. Diese Gründe haben den niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister bewogen, den Pensionär an die Spitze des Ministeriums zu setzen, nachdem Amtsinhaberin Astrid Grotelüschen in einem Schreiben an den Regierungschef ihren Rücktritt erklärt hatte.

Lindemanns besondere Aufgabe wird sein, eine agrarpolitische Wende einzuleiten. In Niedersachsen, einem der stärksten Länder der Ernährungswirtschaft in Deutschland, herrscht längst eine Debatte über Ausmaße und Formen der Massentierhaltung. Soll es immer neue Großställe geben – und sollen die Bedingungen, unter denen etwa Puten und Hühner gehalten werden, so bleiben, wie sie sind? Hinweise auf unhaltbare Zustände in den Ställen häufen sich.

Diese Diskussion hatte McAllister veranlasst, für eine vorsichtige Wende hin zu mehr Tierschutz einzutreten. Doch seine Ministerin Astrid Grotelüschen wollte diesen Weg offenbar nicht mitgehen. Als ihr Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke die Wende in einer nichtöffentlichen Sitzung ankündigte und dies bekannt wurde, pfiff Grotelüschen ihn zurück. In die öffentliche Kritik war die Ministerin geraten, als Vorwürfe gegen ihren Mann wegen angeblicher Verstöße gegen den Tierschutz bekannt wurden. Garlich Grotelüschen ist Besitzer einer der größten Putenmastbetriebe in Deutschland; seine Frau arbeitete dort als Prokuristin. Später kamen Vorwürfe hinzu, in Geflügelschlachtbetrieben würden Mitarbeiter mit Billiglöhnen ausgebeutet. Die Ministerin reagierte jeweils nicht oder nur mit barschen Zurückweisungen und geriet so zunehmend in die Defensive. Sogar Interessensverbände aus der Landwirtschaft wurden allmählich unruhig und sorgten sich aufgrund der ständigen Diskussionen um den Ruf der Branche.

Die Verabschiedung der Ministerin ist nicht frei von Tragik: Grotelüschen gab ihr erst 2009 überraschend gewonnenes Bundestagsmandat auf, um Landesministerin in Hannover zu werden. In den Bundestag zurückkehren kann sie nun nicht mehr.

Für David McAllister stellt der Personalwechsel die erste große Bewährungsprobe dar, denn er hat in der machtpolitischen Arithmetik zwei Nachteile: Seinem Kabinett gehört jetzt eine Frau weniger an. Wichtiger noch ist, dass der mächtige CDU-Landesverband Oldenburg künftig keinen Minister mehr stellt. Zwar wird das damit gerechtfertigt, dass beide Führungsspitzen der CDU-Landtagsfraktion, Vorsitzender und Parlamentarischer Geschäftsführer, aus dem Raum Oldenburg stammen. Aber ein Verlust ist das für die selbstbewussten Oldenburger trotzdem. Ein kleiner Trost bleibt: Lindemann, der neue Minister, hatte einst als persönlicher Referent des legendären Agrarministers Gerhard Glup begonnen – und der war der waschechte Oldenburger schlechthin.

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