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Bundesparteitag der Grünen: Rot-Grün übt Schulterschluss - „Wir wuppen das!“

Noch fünf Monate bis zur Bundestagswahl. Danach wollen SPD und Grüne die Regierung stellen. Beim Bundesparteitag der Ökopartei haben sich SPD-Chef Gabriel und die Grünen-Führung nun gegenseitig Mut zugesprochen. Doch manch Delegierter ist nicht so optimistisch.

Gleich zum Anfang gibt es ein paar Streicheleinheiten vom SPD-Chef: „Ihr habt die Gefahren der Atomkraft schon erkannt, als viele sie noch für Fortschritt hielten“, lobt Sigmar Gabriel, als er auf dem Parteitag der Grünen im Berliner Velodrom ans Rednerpult tritt. Die Grünen seien eine „besondere Partei“, schmeichelt Gabriel, sie hätten die deutsche Politik in den letzten drei Jahrzehnten „entscheidend verbessert“. Und: Sie seien nicht „Fleisch vom Fleisch“ der SPD, sondern eine Partei mit eigenen Wurzeln. Das klang bei den Sozialdemokraten schon einmal anders.

Noch nie zuvor hat ein SPD-Vorsitzender auf einem Parteitag der Grünen eine Rede gehalten. So wie es auch ein Novum war, dass die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth vor zwei Wochen in Augsburg bei der SPD sprechen durfte. Für Gabriel ist es kein Routinebesuch, sondern einer unter strenger Beobachtung. Er kommt zu einer Zeit, in der es in den Umfragen für Rot-Grün in den Umfragen nicht gut aussieht, auch wegen der anhaltenden Schwäche der Sozialdemokraten.

Doch wenn Gabriel eines kann, dann Wahlkampf. Deutschland habe es „bitter nötig“, dass die schwarz-gelbe Koalition abgelöst werde, die Merkel-Regierung betreibe eine „Politik ohne Morgen“, schimpft der SPD-Vorsitzende. SPD und Grüne könnten hingegen einen „zweiten neuen Aufbruch“ schaffen. Es gehe bei einer neuen rot-grünen Koalition „um mehr als um eine Liste von Einzelthemen“. Es klingt ein wenig, als wolle er das alte rot-grünen Projekt wieder aufleben lassen.

Das kommt gut an, ebenso wie der Auftritt von Grünen-Chefin Roth zuvor. Ihr gelingt es am Samstagmittag zum ersten Mal, den bis dahin vor sich dahin plätschernden Parteitag aufzumischen: mit einem Mix aus scharfer Attacke und einem leidenschaftlichem Appell an die eigenen Reihen, die Bundestagswahl im Herbst noch nicht verloren zu geben. „Wir wuppen das“, schwört Roth die Basis auf den Regierungswechsel ein. Sie fordert einen „kämpferischen Wahlkampf“, statt über das „Was wäre wenn“ nachzudenken. Es sind diese selbstbewussten Töne, die den Parteitag zum Johlen bringen. „Du kannst dem Joschka Fischer ausrichten, dass er nicht der letzte Rock’n-Roller der deutschen Politik war“, sagt Gabriel.

Gabriel und Roth bieten Abwechslung zu den mühsamen Beratungen über das Wahlprogramm. Mehr als 2600 Änderungsanträge, das ist eine Menge Papier, die abgearbeitet werden muss. Meistens ohne große Auseinandersetzungen. Nur einmal wird es knapp, am späten Samstagabend: Die Brandenburger Grünen fordern, dass der Verfassungsschutz künftig auf das Führen von V-Leuten komplett verzichten solle. Es könne nicht sein, dass mit öffentlichen Geldern angeworbene überzeugte Rechtsextremisten unter dem Schutz der Verfassungsschutzämter aktiv seien, argumentieren sie. Es ist das eine Ventil gegen die Parteitagsregie: Mit knapper Mehrheit von 52 Prozent setzen sich die Brandenburger durch.

In der Steuerpolitik hingegen werden die Konflikte nicht auf offener Bühne ausgetragen. Mit seiner Mahnung, die Wirtschaft nicht zu stark zu belasten, hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Schlagzeilen vor dem Parteitag bestimmt und damit einen Teil der Delegierten verärgert. Doch als auf dem Podium darüber diskutiert wird, ist der Konflikt längst abgeräumt. Um Kretschmann und seinen Mitstreitern entgegen zu kommen, wird im Programm noch einmal klargestellt, dass Unternehmen bei der Wiedereinführung einer Vermögensteuer nicht in ihrer Substanz besteuert werden sollen - wobei diese frühestens 2023 kommen soll. „Großartig: Keine Gegenstimmen für die grüne Finanzpolitik. Einstimmig für Solidität und Solidarität“, twittert Spitzenkandidat Jürgen Trittin nach der Abstimmung.

Nur einer sucht den offenen Streit über den Wirtschaftskurs – und erhält dafür kaum Unterstützung. „Ich bin stolz auf die Hartz-Gesetze“, ruft Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, als der Parteitag über eine stärkere Regulierung der Leiharbeit berät. Er bittet die Delegierten, „endlich einmal einen Beschluss zu fassen, der wirtschaftsfreundlich ist“. Eine Forderung, für die er viele Buhrufe erntet.

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