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Ein Parteitag als Bewährungsprobe in Krisenzeiten: Sigmar Gabriel benötigt bei seiner Wiederwahl als Parteichef mehr als die knapp 84 Prozent von vor zwei Jahren.

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Bundesparteitag der SPD in Berlin: Roter Krisengipfel

Das Megathema Flucht und Integration wird das dreitätige Treffen der SPD prägen. Parteichef Sigmar Gabriel hofft auf Einigkeit - und ein gutes Wahlergebnis.

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Die Realität wartet gleich um die Ecke: Mehr als 2000 Flüchtlinge sind in der Messehalle 26 untergebracht, in Laufnähe zum Tagungsort der deutschen Sozialdemokratie. 600 SPD-Delegierte kommen vom heutigen Donnerstag an im Kongresscenter "CityCube" in Berlin zusammen. Auf der Agenda des Parteitags steht die Wiederwahl des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und der Parteispitze, die Kursbestimmung vor der Bundestagswahl 2017 – und das Megathema Flüchtlinge und Syrien-Krieg. Wegen des dichten Terminplans werden viele Delegierte kaum Zeit haben, mit den Asylbewerbern zu reden. Doch ihren Gästen will die SPD die Möglichkeit geben, den Flüchtlingen in Absprache mit deren Betreuern Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken.

Der Leitantrag zur Flüchtlingspolitik wird gleich am ersten Tag aufgerufen. Parteichef Sigmar Gabriel steht vor einer heiklen Aufgabe, denn er muss eine Partei zusammenhalten, die bei diesem Thema nicht weniger zerrissen ist als der Rest der Gesellschaft. Auf der einen Seite konzentrieren sich viele Funktionäre und etliche Parteitagsanträge auf die Verteidigung der Flüchtlingsrechte. Auf der anderen drängen vor allem Kommunalpolitiker auf eine Begrenzung des Zuzugs. Wie schwer sich Teile der Parteilinken mit einem restriktiveren Kurs gegenüber den Schutzsuchenden tun, zeigen Anträge gegen das Instrument der sicheren Herkunftsländer oder für eine Ausweitung des Familiennachzugs.

Gabriel, der eine Begrenzung des Zuzugs auf Dauer für unverzichtbar hält, will beide Pole in der Partei auf eine Kontingentlösung für Flüchtlinge verpflichten, bei der das Recht auf Asyl nicht angetastet wird. Doch auch das ist intern bis in die Führung hinein umstritten. Wenn die scheidende Generalsekretärin Yasmin Fahimi nun betont, das Land könne „erstmal“ ebenso viel Zuzug verkraften wie in den vergangenen Monaten, so stellt sie sich damit gegen Gabriels Bemühen, das Tempo des Zuzugs zu verringern. Auch zum erst vergangene Woche beschlossenen deutschen Militäreinsatz gegen die Terrormiliz IS werden kritische Wortmeldungen erwartet, wenn am gleichen Tag der Antrag zur Außenpolitik der SPD aufgerufen wird.

Kein Thema, mit dem sich die Sozialdemokraten an den drei Tagen beschäftigten, bleibt unberührt von der Flüchtlingsfrage. Sie überlagert alle strategischen Überlegungen und Konzepte zur Bundestagswahl 2017, die nach dem Willen der SPD-Führung den Parteitag prägen sollen. Das gilt auch für die Familienpolitik, die ebenfalls schon an diesem Donnerstag aufgerufen wird. Die Pläne zur Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting, die Ministerin Manuela Schwesig vorstellen will, passen zu Gabriels Strategie, weit stärker als im Wahlkampf 2013 die Mitte der Gesellschaft anzusprechen. Darunter versteht der Parteichef hart arbeitende Menschen von der Verkäuferin bis zum Ingenieur, die oft auch noch für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige sorgen.

Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat seinen Auftritt

Während die Parteilinke gegen die Profilierung der SPD als Familienpartei nichts einzuwenden hat, sind viele Vertreter dieses Parteiflügels mit dem Kurs Gabriels gegenüber dem Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und dem schon fertig ausgehandelten Abkommen mit Kanada (CETA) nicht einverstanden. Dem Antrag der Parteispitze werfen Kritiker vor, er weiche bisherige Beschlüsse auf, was Noch-Generalsekretärin Fahimi bestreitet. Einzelne Anträge fordern, die Verhandlungen einzustellen.

Den Unmut dämpfen dürfte der Umstand, dass mit Parteivize Ralf Stegner am Samstag ausgerechnet der profilierteste Vertreter der Linken in der Führung den Antrag einbringt – auf Wunsch Gabriels. Der Aufforderung konnte sich Stegner nicht verweigern. Allerdings könnte sich grundsätzlicher Unmut über die stagnierenden Umfragewerte der Partei nach zwei Jahren großer Koalition hier ein Ventil suchen. Für Wirtschaftsminister Gabriel wäre eine Abstimmungsniederlage bei diesem Thema verheerend.

An Gabriels Wiederwahl als Parteichef gibt es in der SPD keinen Zweifel. Seine Unterstützer hoffen, dass er das mittelmäßige Ergebnis von vor zwei Jahren (knapp 84 Prozent) überbieten kann. Das würde ihn auch in seiner Rolle als künftigen Kanzlerkandidaten stärken und seine Verhandlungsposition in der großen Koalition gegenüber der Union verbessern. Diese Überlegung dürfte selbst bei jenen Delegierten eine Rolle spielen, die mit Gabriels Führungsstil hadern und seinen Kurs der Mitte ablehnen.

Sie alle wissen: Bei einem Ergebnis von weniger als 80 Prozent wäre der Parteichef schwer beschädigt. Gabriel selbst bleibt auf der Hut. Den Agenda-Kanzler Gerhard Schröder lässt er zwar auf dem Parteitag auftreten, aber nur als Gedenkredner für Egon Bahr, Günter Grass und Helmut Schmidt. Alles andere wäre zu riskant.

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