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Ist Parteichef, will Parteichef bleiben: Sigmar Gabriel.

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Update

Parteitag in Leipzig: Sigmar Gabriel - der SPD-Flüsterer

Die Sozialdemokraten arbeiten ihre Niederlage bei der Bundestagswahl auf. Sigmar Gabriel wird als SPD-Chef bestätigt. Und die Parteispitze versucht, die Delegierten für eine große Koalition mit der Union zu gewinnen. Es gibt aber auch Gegenwind.

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SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hat die Verantwortung für die Schlappe bei der Bundestagswahl übernommen, seine Partei aber zu selbstbewussten Verhandlungen mit der Union aufgefordert. Die SPD werde sich "nicht aus Angst vor den Mühen der Arbeit in einer ungeliebten Koalition" drücken, sagte Gabriel auf dem Bundesparteitag in Leipzig. "Wir werden keine faulen Kompromisse schließen, sondern nur gute." Die Parteiführung werde es nicht auf eine Zerreißprobe ankommen lassen: "Die SPD zusammenzuhalten ist am Ende wichtiger als regieren."

Gabriel wurde als Parteichef bestätigt. Er bekam am frühen Abend 487 von 572 gültigen Stimmen. Das entspricht 83,6 Prozent. Der 54-jährige Gabriel ist seit vier Jahren Parteivorsitzender, 2009 bekam er rund 94 Prozent der Stimmen, 2011 waren es knapp 92 Prozent. Das sei "ein ehrliches Ergebnis", kommentierte der alte und neue SPD-Chef die Abstimmung.

Gabriel versicherte vor den rund 600 Delegierten: "Wir werden kein zweites Mal eine Politik betreiben, bei der die SPD wieder gegen ihr eigenes Selbstverständnis verstößt." Er dämpfte zugleich die Erwartungen an die designierte Koalition: "Wer 100 Prozent des SPD-Wahlprogramms von uns erwartet, erwartet zu viel", sagte der Parteichef. Kanzlerin Angela Merkel sei "nicht über Nacht zur Sozialdemokratin" geworden. "Nicht nur in der Steuerpolitik wird es mit der CDU/CSU vermutlich keinen Konsens geben."

Gabriel bekräftigte, dass es mit der SPD ohne einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro keine Koalition geben werde. Das gelte auch für die Leiharbeit: "Ohne das Prinzip ,gleicher Lohn für gleiche Arbeit' wird es keinen Koalitionsvertrag mit der SPD geben." Gabriel verteidigte das Vorhaben von Union und SPD, auf eine Senkung des Rentenbeitragssatzes 2014 zu verzichten. "Altersarmut kann man nicht mit sinkenden Rentenbeiträgen bekämpfen", sagte Gabriel.

"Ich hätte mir etwas mehr Applaus gewünscht"

Der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit sagte nach Gabriels Rede: "Er war gut, es war eine umfassende Analyse." Klaus Barthel, Chef der Arbeitsgruppe für Arbeitnehmerfragen nannte die Rede "nachdenklich und ruhig". Gabriel habe die Partei zum Nachdenken anregen wollen. "Das ist ihm gelungen." Axel Schäfer, Vorsitzender der NRW-Landesgruppe im Bundestag sagte: "Eine ruhige, reflexive Rede, die nicht auf Applaus zielte, sondern aufs Zuhören. Zum Mut gehörte auch eine gewisse Zumutung. Er hat die Köpfe erreicht, aber nicht die Herzen bewegt. Zum Schluss bin ich aufgestanden und musste feststellen: Niemand folgt mir." Eine ältere Genossin kommentierte: "Ich hätte mir etwas mehr Applaus gewünscht, das braucht ein Parteivorsitzender."

Abschied als Spitzenkandidat: Peer Steinbrück nach seiner Rede in Leipzig.

© dpa

Der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, forderte ebenfalls harte Verhandlungen mit CDU und CSU über eine mögliche Zusammenarbeit: "Für die Koalitionsverhandlungen gilt: Wir haben die Wahl verloren, aber nicht unseren Verstand", sagte er beim SPD-Bundesparteitag in Leipzig. Es gebe nach der Niederlage bei der Bundestagswahl keinen Grund für ein Scherbengericht. Er als Spitzenkandidat trage die Verantwortung für die Wahlschlappe. Das Ergebnis der Wahlen sei "enttäuschend" gewesen, sagte der 66-Jährige. Wenn aber im Regierungsprogramm sozialdemokratische Kernforderungen umgesetzt würden, müsse die SPD die Koalition mit der Union eingehen. Er lasse den Einwand nicht gelten, dass die SPD in einer großen Koalition verliere: "Niemand kann uns klein machen", sagte Steinbrück. Das schaffe nur die SPD selbst.

"Weder eine politische Liebesheirat noch eine Zwangspartnerschaft"

Parteichef Gabriel wiederum gab sich demütig-kämpferisch: "Ich gehöre nicht zu denen, die sich für gewonnene Landtagswahlen mit feiern lassen, bei verlorenen Wahlen aber nichts damit zu tun haben wollen", sagte er. Es gebe nichts zu beschönigen. Der Weg zur Mehrheitsfähigkeit im Bund sei offenbar weiter als gedacht. Trotz eines Zugewinns von 2,7 Prozentpunkten habe die SPD das zweitschlechteste Wahlergebnis bei einer Bundestagswahl eingefahren. Dafür trage er die Hauptverantwortung, erklärte Gabriel.

Die Partei versucht gerade den Spagat. Da verhandelt sie einerseits nach einem miesen Abschneiden bei der Bundestagswahl seit rund drei Wochen mit der Union über eine ungewollte Neuauflage von Schwarz-Rot. Mitten in den von Teilen der Basis nicht geschätzten Gesprächen halten die Sozialdemokraten jetzt andererseits in Leipzig ihren Parteitag ab. Und da will nicht nur die Parteiführung gerne mit einem guten Ergebnis wiedergewählt werden. Es soll auch ein Leitantrag verabschiedet werden, der künftige Koalitionen mit der Linken auf Bundesebene nicht mehr ausschließt.

Entsprechend haben in den vergangenen Tagen mehrere SPD-Politiker publikumswirksam kritisch auf die Koalitionsverhandlungen geblickt. Anfang der Woche sah Vizeparteichefin Manuela Schwesig die Gespräche schon vor dem Scheitern, Vorstandsmitglied Florian Pronold verließ mit seinen Parteikollegen nach einem Streit über die Lkw-Maut demonstrativ die Arbeitsgruppe Verkehr.

Gabriel sagte in Richtung CDU und CSU: "Mit uns wird es weder eine politische Liebesheirat noch eine Zwangspartnerschaft geben. Und deshalb ist diese Koalition, sollte sie zustande kommen und von unseren Mitgliedern gebilligt werden, eine befristete Koalition der nüchternen Vernunft."

Generalsekretärin Andrea Nahles warb auf dem Parteitag für den geplanten Mitgliederentscheid über einen Koalitionsvertrag mit der Union. "Wer bei uns Mitglied ist, klebt nicht nur Plakate und steht nicht nur am Infotisch", sagte sie. Gabriel bezeichnete die Abstimmung der 473 000 SPD-Mitglieder über den Eintritt in eine große Koalition als vorbildhaft. "Der Satz von Willy Brandt ,Mehr Demokratie wagen' ist auch eine Aufforderung an unsere innerparteiliche Demokratie", sagte er. "Lasst uns deshalb dieses Mitgliedervotum als Zeichen der Stärke der SPD nutzen." Die SPD traue ihren Mitgliedern mehr zu als andere Parteien. Es sei doch interessant, dass inzwischen auch Mitglieder von CDU und CSU fragen würden, warum die SPD-Mitglieder abstimmen könnten und sie nicht.

Die Angst, die viele Sozialdemokraten umtreibt, auf längere Zeit zum Steigbügelhalter der Union, respektive von Angela Merkel (CDU), degradiert zu werden, soll jedenfalls der Leitantrag "Perspektiven. Zukunft. SPD!" zerstreuen. Darin definiert sich die SPD nicht nur als "die linke Reformpartei Deutschlands". Sondern dort steht auch der entscheidende Satz: "Für die Zukunft schließen wir keine Koalition (mit Ausnahme von rechtspopulistischen oder -extremen Parteien) grundsätzlich aus."

Allerdings geht es dabei um die Zeit nach 2017. Trotz allen Geschimpfes geht die SPD-Spitze derzeit schon noch davon aus, dass die Koalitionsverhandlungen mit der Union zu einem Ergebnis führen werden. Und dass dann auch die Basis dem Koalitionsvertrag zustimmen wird.

Prominente warnen SPD vor großer Koalition

Etwas unsicher wird deswegen allerdings nach Nordrhein-Westfalen geblickt. Dort, im größten Landesverband der Sozialdemokraten, ist die Ablehnung von Schwarz-Rot überwältigend groß. Ministerpräsidenten Hannelore Kraft war auch deshalb direkt nach der Bundestagswahl als stärkste Gegnerin der großen Koalition in der SPD angesehen worden. Jetzt gibt sich Kraft als konstruktive Staatsfrau und sieht "klare Einigungskorridore" mit der Union. Die SPD könne mehr Menschen im Land helfen, wenn sie in einer großen Koalition mitregiere.

Genau davor warnen zahlreiche Schriftsteller, Schauspieler, Musiker und Wissenschaftler nun die SPD. Es gehe um die Frage, ob sich die SPD in einer Regierung mit CDU und CSU weiter marginalisieren und für ein "Weiter so" einspannen lasse, oder ob sie für eine echte politische Alternative einstehe, In dem Aufruf "Wider die große Koalition" heißt es, es gehe darum, ob sich die SPD in einer Regierung mit CDU und CSU weiter marginalisieren und für ein "Weiter so" einspannen lasse, oder ob sie für eine echte politische Alternative einstehe. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, gehören zu den Erstunterzeichnern der Liedermacher Konstantin Wecker, der Autor Roger Willemsen, der Schriftsteller Ingo Schulze, die Schauspielerinnen Hanna Schygulla und Maren Kroymann, der Philosoph Oskar Negt und der Theologe Friedrich Schorlemmer.

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