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Im Gespräch mit Bürgern. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück am Samstag beim Bürgerkonvent seiner Partei in Berlin. Foto: dpa

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SPD-Wahlprogramm: Die Basis grüßt

Nach dem Bürgerkonvent muss die SPD-Spitze ihr Wahlprogramm nun um überraschende Forderungen ergänzen. Etwa in der Bildungspolitik.

Am Ende steht er auf der Bühne und macht sich ganz klein. „Beflügelnd“ sei dieser Tag für ihn gewesen, sagt Peer Steinbrück. Dankt, verbeugt sich, und bescheinigt allen Beteiligten einen Ideen- und Kenntnisreichtum, der dem von Politikern um nichts nachstehe. Das Ergebnis des Achtstundentages im Neuköllner Estrel-Hotel ist auch zu besichtigen, die Sprecher der Arbeitsgruppen halten es auf handbeschriebenen Plakaten in die Kameras: elf politische Forderungen, die das Kondensat aus rund 40 000 Zuschriften darstellen. Und die, wie der Kanzlerkandidat versichert, nun auch „garantiert ins Regierungsprogramm eingehen“.

Die SPD hat sich an einer neuen Form von Bürgerbeteiligung versucht, und die Premiere sei „geglückt“, bilanzierte Steinbrück am Samstag. Erstmals durften Nicht-Funktionäre an dem mitwirken, was laut dem Vorsitzenden Sigmar Gabriel zum „Heiligsten“ der Partei gehört: das Programm für die Bundestagswahl. Den Abschluss in Berlin bestritten rund 300 Interessierte, die Hälfte davon ohne Parteibuch. Doch die eigentliche Herausforderung steht den Initiatoren noch bevor. Denn nicht alle der zu Papier gebrachten Forderungen passen so perfekt ins SPD-Konzept wie die alleroberste. „Einführung eines gesetzlich geregelten Mindestlohnes“, lautet sie. Und Steinbrück betonte, dass dies den Beteiligten „mit weitem Abstand“ am wichtigsten gewesen sei und man sich darin auch deutlich von der politischen Konkurrenz unterscheide.

Bei Punkt sechs auf der Liste dagegen entrutschte dem Kandidaten ein verlegenes Prusten. Per Grundgesetzänderung müsse der Bund die Gesetzgebungskompetenz für Bildung erhalten, heißt es dort. Es entspreche zwar auch seinem eigenen Eindruck, dass der bildungspolitische „Flickenteppich“ für die Betroffenen zunehmend zum Problem werde, ruderte Steinbrück. Gleichwohl sei die Forderung politischer „Sprengstoff“. Sie werde eine „ziemlich lustige und heftige Debatte“ mit den Ländern entfachen.

Von einer weiteren Forderung zeigte sich der Politiker zumindest überrascht. Die Wasserversorgung müsse in staatlicher Hand bleiben, heißt es in dem Papier. Offenbar gebe es diesbezüglich weit verbreitete Befürchtungen, mutmaßte der Kandidat. Den Rest der Liste dagegen hätten auch SPD-Vorstände formulieren können: Ein Kanzler Steinbrück müsse „das Einnahmevolumen erhöhen“, mithilfe einer Reichen- oder Spitzensteuer etwa oder mit Sozialabgaben „für alle Einkommensbereiche“. Der soziale Wohnungsbau müsse forciert werden, es müssten auch mehr altersgerechte Wohnungen entstehen. Banken und Energieversorger dürften nicht selbst Gewinne einfahren und Verluste gleichzeitig sozialisieren können. Alle Bürger müssten gesetzlich krankenversichert sein, eine Zwei- oder gar Dreiklassenmedizin gelte es zu verhindern. Beschäftigte in sozialen Berufen müssten „mehr Wertschätzung durch bessere Entlohnung“ erfahren. Wie Bergbauunternehmen sollten auch Energiekonzerne für Folgeschäden haftbar gemacht und zu Rückstellungen verpflichtet werden. Für Ganztagsangebote in Kindergärten und Schulen müsse der Bund ein Förderprogramm auflegen, das Ziel sei ein Rechtsanspruch darauf. Und die Kommunen müssten finanziell deutlich besser ausgestattet werden als bisher.

Bis all diese Forderungen im Papier standen, eilte Steinbrück von Tisch zu Tisch, um Fragen zu beantworten. Es war ihm anzumerken, dass ihm die Beschränkung aufs Inhaltliche gut tat – nach dem jüngsten Ärger um seine Äußerungen zur Italien-Wahl. Was von den Forderungen wie ins SPD-Programm einfließt, entscheidet Mitte April ein Parteitag. Für die Bürgerwünsche wurden eigens Leerstellen gelassen. Doch manche Sympathisanten sind sich nicht sicher, ob sie der Partei noch einmal trauen sollen. „Schröder lässt grüßen“, schreibt ein User auf der offiziellen SPD-Internetseite zum Bürgerkonvent. Am Ende gebe es unter Steinbrück dann womöglich eine „Agenda 2020 mit Zehn-Cent-Jobs und Mitarbeitern als Firmeneigentum“. Immerhin: Die Parteiführung ließ es stehen.

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