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Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles wollen die Parteistrukturen reformieren. Aber nicht alle Vorschläge finden in der SPD Zustimmung.

© dapd

Parteireform: SPD will ihren Kanzlerkandidaten lieber selbst wählen

Ein bisschen Amerika weht durch die SPD. Die Parteispitze will ihren Kanzlerkandidaten durch alle Bürger wählen lassen. Viele Landesverbände haben für die Idee nur eines übrig: Ablehnung.

Der Parteichef persönlich hat sich schon vor Monaten dafür eingesetzt. Jetzt ist ihm seine Generalsekretärin gefolgt. Auch sie hat sich dafür ausgesprochen, den nächsten Kanzlerkandidaten – aber auch Kandidaten beispielsweise für Bundestags- oder Landtagsmandate – per Urwahl, an der sich auch Nicht-Mitglieder beteiligen können, wählen zu lassen. Das Problem ist nur: Die Partei scheint wenig begeistert von dieser Idee zu sein. Einige bekunden ihren Unmut nur hinter vorgehaltener Hand. Andere sind weniger zimperlich. So hat die hessische SPD bereits angekündigt, den Vorschlag, der nach dem Willen der Parteiführung auf dem Bundesparteitag der SPD im Dezember beschlossen werden soll, nicht mitzutragen. "Die SPD Hessen wird den Vorstoß dafür im Präsidium wohl nicht mittragen können, weil wir das für den dezidiert falschen Weg halten", sagte der Generalsekretär der hessischen SPD, Michael Roth, dem Tagesspiegel.

Es könne nicht sein, dass die Parteimitglieder nur noch die Kärrnerarbeit erledigen sollen, sagt Roth. Und weiter: "Warum soll man noch Mitglied einer Partei werden und einen Beitrag dafür zahlen, wenn man dafür nur die Mühsal und die Arbeit vor Ort exklusiv hat." Außerdem glaubt er nicht, dass man jemanden in die SPD lockt, nur weil er einen Kandidaten für ein Amt mitbestimmen darf. Nahles hatte in der "Süddeutschen Zeitung" eine solche Urwahl mit Beteiligung von Nicht-Mitgliedern vorgeschlagen. Diese sollten sich registrieren und auch an den Kosten einer solchen Wahl beteiligen. Die Wahl von Parteivorsitzenden solle aber den Mitgliedern vorbehalten bleiben.

Die hessische SPD sei ebenfalls dafür, die Partei zu Ent-Ritualisieren, zu Ent-Bürokratisieren, "aber von einer faktischen Entwertung der Mitgliedschaft halten wird nichts", sagte Roth, der auch Mitglied der organisationspolitischen Kommission der SPD ist, die am Dienstag getagt hat und eine Parteireform erarbeiten soll. Die Freude über den Vorstoß von Nahles war da nicht groß. "Dass man einen solchen Vorschlag, der einen heiklen und sensiblen Punkt der Parteiarbeit betrifft, aus der Zeitung erfahren muss, ist ärgerlich", sagte Roth. Satzungsänderungen, glaubt der Hesse, würden nicht weiterbringen, "wir müssen in unserem Erscheinungsbild, in unserem ganzen Auftreten einladender zu werden."

Der Vorschlag so genannter Vorwahlen geht auf die Praxis in den USA zurück, wo Präsidentschaftskandidaten ebenfalls von Nicht-Parteimitgliedern mit ausgewählt werden. "Man kann aber nicht einfach eine Struktur aus Amerika auf unsere übertragen", sagte Roth. In den USA gebe es nur zwei Parteien, die einen ganz andere Funktion hätten als in Deutschland. "Dort sind es letztlich lockere Plattformen, bei denen Vorwahlen durchaus sinnvoll sind. Bei uns spielen Parteien historisch und verfassungsrechtlich eine andere Rolle - das muss man berücksichtigen."

Ablehnung auch in anderen Landesverbänden

Und die Hessen sind nicht die einzigen, die wenig Sympathien für den Vorschlag haben. Auch in Schleswig-Holstein regt sich Unmut. "Bestimmte Wahlen müssen den Mitgliedern vorbehalten sein, denn das ist der benennbar größte Mehrwert einer Mitgliedschaft in der SPD", sagte SPD-Landeschef Ralf Stegner dem Tagesspiegel. Zwar habe man in Schleswig-Holstein gute Erfahrungen bei der Einbindung von Nichtmitgliedern gemacht. So habe man beispielsweise einen Bürgerparteitag mit Nicht-Mitgliedern abgehalten und das Regierungsprogramm mit Bürgern entwickelt. "Aber wir im Norden wissen auch: Diese guten Erfahrungen sind nicht 1:1 auf andere Ebenen übertragbar. Es ist etwas anderes, ob man einen Landratskandidaten oder einen Kanzlerkandidaten aufstellt", sagte Stegner.

Auch in einigen ostdeutschen Landesverbänden ist die Freude über die Ideen der Parteiführung nicht groß, den Kanzlerkandidaten von allen Bürgern wählen zu lassen. Christoph Matschie, thüringischer SPD-Landesvorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident, sagte dem Tagesspiegel: "Ich bin skeptisch, was die Einbindung von Nicht-Mitgliedern bei solch wichtigen Personalentscheidungen angeht. Denn warum soll man da noch Mitglied der SPD werden?" Einen Spitzenkandidaten per Urwahl zu küren sei ein interessantes Modell, das er selbst mitgemacht habe, als er zum Spitzenkandidat gewählt worden war. "Nur dieses Instrument für Nicht-Mitglieder zu öffnen, halte ich für schwierig." Grundsätzlich sei die SPD immer dann attraktiv, wenn sie inhaltlich erkennbar sei und Vertrauen besitze, "eine Parteireform kann diesen Grundsatz nicht ersetzen". Eine Einbeziehung von Nicht-Mitgliedern bei langfristigen Sachentscheidungen sei zwar sinnvoll. "Aber eine Partei muss auch aufpassen, dass sie ihre kurzfristige Entscheidungsfähigkeit und ihre schnelle Reaktionsfähigkeit behält. Hier hat Basisdemokratie ihre Grenzen, diese Erfahrung mussten auch die Grünen machen", sagte Matschie.

Weitere Vorschläge für eine umfassendere Parteireform

Doch eines eint alle: der Wunsch nach einer Parteireform. Denn die Fakten liegen auf der Hand. Die SPD ist mit derzeit knapp über 500.000 Mitgliedern nur noch halb so groß wie in den Siebziger Jahren. Auch wird es immer schwieriger, politisches Personal zu rekrutieren. Die Wahl- und Umfrageergebnisse der SPD deuten auch nicht auf eine starke Verankerung der SPD in verschiedenen gesellschaftlichen Milieus hin. Im Gegenteil. Deshalb gibt es bereits Eckpunkte für einer Parteireform, die dem Tagesspiegel vorliegen. Eine Urwahl unter Beteiligung von Nicht-Mitgliedern steht zwar auch darin, aber es ist nur einer von vielen Punkten. Und auch keiner, der bereits abgesegnet ist.

Ziel der Reform sei unter anderem eine "Erweiterung der Beteiligungsmöglichkeiten in der SPD" und die "Ansprache neuer Zielgruppen". So soll beispielsweise die Wahl von Vorsitzenden stärker von allen Mitgliedern erfolgen, und nicht mehr wie bisher üblich von gewählten Delegierten auf einem Parteitag. Auch Sachentscheide sollen stärker von Mitgliedern getroffen werden - auf allen Gliederungsebenen und nicht nur auf Bundesebene. Die Beteiligung von Nicht-Mitgliedern wird ebenfalls in verschiedenen Punkten angeschnitten. So sollen beispielsweise Bürgerparteitage regelmäßiger stattfinden, an denen nicht nur Mitglieder teilnehmen können, sondern auch Nicht-Mitglieder. Auch in Arbeitsgruppen und Themenforen sollen sie mitwirken können - mit vollen Mitgliedsrechten.

Die Ortsvereine stehen ebenfalls im Zentrum der Reformvorschläge. Diese sollen Mitgliederbeauftragte ernennen, die auch geschult werden sollen und sich dann um Belange der Mitglieder kümmern. Ihnen zur Seite soll eine bundesweite Servicestelle stehen. Ortsvereine sollen von Verwaltungsaufgaben entbunden werden - beispielsweise Kassenführung und Erstellung von Rechenschaftsberichten. Auch die Zusammenlegung verschiedener Ortsvereine wird diskutiert. Und das Leistungsprinzip wird ebenfalls in die Reformvorschläge eingearbeitet. So sollen besonders aktive und innovative Kreisverbände durch Mittel aus einem beitragsfinanzierten Innovationsfonds unterstützt werden.

Auch die Frauen in der SPD sollen organisatorisch gestärkt werden. Beispielsweise indem mindestens 40 Prozent der SPD-Direktkandidaten bei der nächsten Bundestagswahl Frauen sein sollen - auch in aussichtsreichen Wahlkreisen, wie es in dem Eckpunktepapier heißt. Reformiert werden soll auch die Parteispitze. So lautet ein Vorschlag, den Parteivorstand von derzeit 45 Mitgliedern auf 20 zu verkleinern und das Präsidium von 17 auf neun zu reduzieren.

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