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Michael Müller (M, SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, Frank Henkel (l, CDU), Berliner Innensenator, und Mario Czaja (r, CDU), Berliner Gesundheitssenator, am 02.09.2015 bei einer Pressekonferenz in Berlin.

© picture alliance / dpa

Stasi-Vergleich gegenüber Berlins Senatskanzlei: Wie die Observierung eines Senators die Koalition zu sprengen droht

Der Stasi-Vergleich gegenüber der Senatskanzlei wegen der Observierung eines Senators führt auf eine Fallhöhe, von der aus nur noch der ehrenvolle Absprung möglich ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Eigentlich ist es Stoff für eine bitterböse Satire über den kleinkarierten Politikbetrieb eines Stadtstaates mit Wachstumsschmerzen: Pepitapolitik in Reinkultur – auch wenn der Anzug des Senators, der in der aktuellen Episode im Mittelpunkt steht, dunkelblau war, der Schlips gedeckt, das Hemd weiß. So jedenfalls vermerkt es penibel das „Protokoll“, mit dem die Sprecherin des Regierenden Bürgermeisters, zugleich Chefin des Presse- und Informationsamtes, einen Untergebenen beauftragt hatte – beobachten sollte er eine Veranstaltung zur Flüchtlingspolitik.

Dass es bei dem Abendeinsatz („19 bis 21.45“) nicht um eine allgemeine Einschätzung der Stimmung ging, wie die Senatssprecherin später behaupten sollte, ist schon am Titel zu erkennen: „Auftritt des Senators für Gesundheit und Soziales“ steht über dem Bericht. Kaum zufällig gehört er der Partei des Koalitionspartners an, man könnte auch zustandsgemäß sagen: des Koalitionsgegners. Und ebenso wenig zufällig handelt es sich um jenen Senator, dem der Regierende Bürgermeister gerade öffentlich sein Misstrauen erklärte. So jedenfalls konnte es verstanden werden – jetzt muss es wohl so verstanden werden.

Der Inhalt des fünfseitigen Protokolls selbst birgt keinen Sprengstoff, mal abgesehen von der Beschreibung des „vorwiegend ergrauten, gutbürgerlichen Wilmersdorfer Publikums“, dem der Senatsschreiber „manifeste negative Emotionen“ bescheinigt. Doch gemach, es kam nicht zum Äußersten – dank der „ruhigen und sachlichen Darstellungsweise“ des Senators, der im Übrigen „auf das schlesische Herkommen seiner Familie“ verwies und „den urkatholischen Großvater, der nie verstanden habe, warum andere Geburtstag feierten, da er nur seinen Namenstag beging“. Gut zu wissen! Da haben sich die Überstunden im Öffentlichen Dienst doch mal so richtig gelohnt. Offen bleibt nur, wen der Protokollant hier eigentlich auf den Arm nimmt.

Protokoll einer zerrütteten Koalition

Nein, problematisch ist hier etwas anderes: Das klandestine Vorgehen und der observierende Charakter sind Ausdruck eines lauernden Kontrollverhaltens in der Senatskanzlei. Aufgeschrieben wurde hier de facto das Protokoll einer zerrütteten Koalition. Es gehört zwar zu den Aufgaben des Presseamtes, die Politik des Senats zu kennen, um sie vermitteln zu können – auch wenn das manchmal unmöglich ist. Und es spricht deshalb grundsätzlich nichts dagegen, öffentliche Auftritte seiner Mitglieder zu besuchen. Das hier allerdings geht weit darüber hinaus: Hier wurde heimlich mit zweifelhaften Methoden nach Munition gesucht – wenn auch nicht gefunden.

Dennoch ist die Sache explosiv. Bisher war das Motto der CDU: Bloß nicht provozieren lassen! Diesmal ist das anders. Der Stasi-Vergleich mag emotional verständlich sein, vor allem aus Sicht des betroffenen Senators, politisch aber führt er auf eine Fallhöhe, von der aus eigentlich nur noch der ehrenvolle Absprung möglich ist. Weiter so mit der „Stasi“, aus Verantwortung fürs Land Berlin? Das wird zu einer harten Prüfung. Eins steht jedenfalls fest, spätestens jetzt: Der Koalitionsvertrag gehört in die Altpapiertonne. Denn auf Seite 5 lesen wir da: „SPD und CDU stellen sich den Herausforderungen. Beide werden vertrauensvoll und fair zusammen arbeiten.“ Da sind wir dann wieder bei der Satire. Denn eigentlich müsste da stehen: Berlin wird von einem Paradoxon regiert.

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