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Frank-Walter Steinmeier.

© Mike Wolff

Steinmeier-Interview: "Die Zweifel sind verschwunden"

"Das bekannte Koch-Kellner-Beispiel taugt nicht mehr". Der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier spricht im Interview über die Rente mit 67, die Ursachen für den Wirtschaftsboom – und seine Rolle in der Partei.

Herr Steinmeier, sprechen wir mit dem letzten Reformer der SPD?

(lacht) Was die Bereitschaft zur Modernisierung von Staat und Gesellschaft angeht, hält die gesamte SPD jeden Vergleich aus – mit den Regierungen vor uns und erst recht mit der nach uns. Wobei man die schwarz-gelbe Chaostruppe ja eigentlich gar nicht als Regierung bezeichnen kann.

Die Rente mit 67 war eines der zentralen Reformprojekte der SPD-Regierungsjahre. Warum will Ihre Partei die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters bis zum Jahr 2029 jetzt nicht mehr mittragen?

Ich verstehe ja, dass Sie nach Monaten des Streits zwischen Union und FDP nun nach Ärger in der SPD suchen. Wenn Sie aber genau hinschauen, müssen Sie zugeben: Wir sind schon viel weiter. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist notwendig, kann aber nicht abgekoppelt von der arbeitsmarktpolitischen Lage gesehen werden. Da sind Sigmar Gabriel und ich uns einig. Deshalb geht es in der aktuellen Debatte einzig und allein darum, wann die ersten Schritte unternommen werden und wie man die Situation am Arbeitsmarkt verbessern kann. Diese Diskussion ist völlig berechtigt. Wer will, dass die Menschen in Zukunft länger arbeiten, muss Ihnen auch die Möglichkeit dazu geben. Deshalb steht auch im Gesetz, dass die Regierung die Erwerbsquote für ältere Menschen in diesem Herbst prüfen muss, bevor der Einstieg in die Rente mit 67 erfolgen kann.

Für die SPD ist die Antwort doch klar: Die Rente mit 67 muss ausgesetzt werden.

Was den Anteil der Beschäftigten zwischen 55 und 60 Jahren angeht, sind wir in den letzten Jahren weiter vorangekommen, als ich gedacht hatte. Bei den 60- bis 64-Jährigen muss mehr getan werden. Mit Blick darauf werden wir auf dem Parteitag im September entscheiden, wann der Einstieg in eine längere Lebensarbeitszeit beginnt.

Die SPD hat verinnerlicht, dass an der Rente mit 67 kein Weg vorbeiführt?

Die SPD hatte in ihren Regierungsjahren Mut zu Entscheidungen, auch in schwierigsten Situationen. Ohne diesen Mut sähen Arbeitsmarkt, Sozialsysteme und Wirtschaft heute anders aus. Ich wünschte mir, dass die heutige Regierung auch nur ein Quäntchen dieses Mutes hätte.

Noch einmal: Sind Sie sicher, dass die meisten in der SPD die Reform nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben wollen? SPD-Vizechef Klaus Wowereit fordert eine Rückkehr zur Rente mit 65.

Wir müssen an dem Kompromiss noch arbeiten. Mit Sicherheit wollen die, die jetzt an einem Vorschlag sitzen, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht ins Unendliche verschieben. Das wäre auch falsch. Über den Einstieg 2012 kann man mit Blick auf den Arbeitsmarkt sprechen. Aber den Zielkorridor 2029 sollten wir nicht aus den Augen verlieren.

Wie soll das gehen, wenn man den Beginn verschiebt? Später in die Reform einsteigen, sie dann aber in größeren Schritten durchführen?

Das wäre eine denkbare Möglichkeit.

Was muss geschehen, damit mehr Ältere Arbeit bekommen?

Staat und Wirtschaft sind in der Pflicht etwas für die Erhöhung der Beschäftigungschancen für Ältere zu tun. Dazu muss es effiziente Arbeitsmarktprogramme für Ältere geben. Die SPD hat mit dem Beschäftigungsprogramm "50 Plus" Voraussetzungen für mehr Jobs für Ältere geschaffen. Leider knüpft diese Bundesregierung da nicht an. Im Gegenteil: Die notwendigen Mittel der Bundesagentur für Arbeit werden beschnitten. Da muss die Bundesregierung eine Kehrtwende machen: Ich fordere Frau Merkel auf, jetzt einen Pakt mit der Wirtschaft zu schließen, um im kommenden Aufschwung mehr Ältere in Arbeit zu bringen und nicht wieder einfach nur abzuwarten.

Herr Steinmeier, ist Ihnen der Gedanke gekommen, dass Sie in der SPD vor allem dazu gebraucht werden, die Abkehr von der Reformpolitik zu bemänteln?

Nein. Die SPD steht zu ihren Erfolgen aus den vergangenen elf Regierungsjahren. Da weiß ich die große Mehrheit der Fraktion und der Partei an meiner Seite. Vielleicht noch mehr als vor einem Jahr. Meine Kandidatur zum Fraktionsvorsitzenden war sicher nicht für jeden eine Selbstverständlichkeit, der ein oder andere wird gezweifelt haben. Deshalb habe ich die 88 Prozent bei meiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden vor allem als Verpflichtung verstanden, viele noch zu überzeugen. Wenn ich jetzt, nach beinahe einem Jahr, zurückschaue, dann kann ich feststellen: Die Zweifel sind verschwunden. Ich habe mit der Fraktion die Regierung in den entscheidenden Fragen gestellt. Wir sind eine schlagkräftige Opposition. Und wir diskutieren heute über alle Teile der Fraktion hinweg sehr viel intensiver als das noch vor Jahren der Fall war. Wir sind gut miteinander unterwegs.

Die Rente mit 67 ist nicht das einzige Beispiel. Als Kanzlerkandidat waren Sie gegen die Einführung einer Vermögenssteuer, in Ihrer Regierungszeit wurde der Spitzensteuersatz gesenkt. Heute debattiert die SPD über dessen Anhebung auf 50 Prozent. Warum machen Sie das alles mit?

Sie zeichnen ein Zerrbild. Die SPD war und ist nicht der Meinung, nur der Staat sei gut, der den Bürgern die höchsten Steuern abnimmt. Wir stehen für auskömmliche Einnahmen, die es staatlicher Politik erlauben, nicht nur den Nachtwächter zu spielen, sondern die Entwicklungschancen des Landes, zum Beispiel Bildung, zu garantieren. Das war immer unser Maßstab. Es geht darum, auch in Krisenzeiten die Funktionsfähigkeit des Staates zu erhalten. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache.

Die Steuereinnahmen steigen rascher als gedacht, weil die Wirtschaft kräftig wächst.

Wir dürfen doch nicht so tun, als seien die Folgen der Krise schon bewältigt. Wenn das Wachstum stabil bleibt und die Einnahmen steigen, werden wir das berücksichtigen. Vor allem werden wir verhindern, dass die Regierung Mehreinnahmen gleich wieder an die eigene Klientel rauswirft.

Ihr Fraktionsvize Hubertus Heil hat vorgeschlagen, den Spitzensteuersatz zu heben und dafür die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten. Einverstanden?

Ich halte das, auch unter Wachstumsgesichtspunkten, für einen bedenkenswerten Vorschlag. Deshalb wird er in unsere Überlegungen eingehen.

Das starke Wirtschaftswachstum könnte die Koalition früher oder später aus ihrem Imagetief herausholen. Ist die SPD darauf vorbereitet?

Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Die Wähler wissen: Ohne die SPD hätte es diesen Aufschwung nicht gegeben. Die Wähler wissen auch, dass Union und FDP mit der Entwicklung wenig zu tun haben. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise Ende 2008 und 2009 hat die FDP gegen alle Aktivitäten der Krisenintervention gestimmt. Die Union im Kabinett hat gezaudert und gezetert und am Ende nölend mitgetragen, was wir an Konjunktur- und Arbeitsmarktprogrammen vorgeschlagen haben. Heute wissen wir, dass diese Interventionen, die wesentlich von SPD-Ministern erarbeitet wurden, uns über die Krise getragen haben. Und das Beste ist: Der Aufschwung geht nicht am Arbeitsmarkt vorbei! Nur diese Bundesregierung kann noch verhindern, dass die Arbeitslosigkeit im Herbst unter die drei Millionen Marke fällt.

Rot-Grün erlebt derzeit eine Wiedergeburt in den Umfragen. Ist es Zeit, ein neues gemeinsames Projekt zu starten?

1998 haben wir noch von einem rot-grünen Projekt gesprochen. So bescheiden bin ich heute nicht mehr. Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb hat Rot-Grün Offenheit, Bereitschaft und vor allem Kraft gezeigt, unser Gemeinwesen auf Zukunft vorzubereiten. Ich sehe diese Kraft noch nicht erschöpft und bleibe deshalb ein unerschütterlicher Fan eines solchen Bündnisses.

SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangt, die Grünen müssten sich zwischen Union und SPD als Partner entscheiden. Ist das klug?

Sigmar Gabriel hat auf die politische Konkurrenz hingewiesen und bei den Grünen für eine strategische Partnerschaft mit der SPD geworben. Anders konnten die Grünen das doch gar nicht verstehen.

Die Grünen bewegen sich in den Umfragen inzwischen im 20-Prozent-Bereich. Wie soll die SPD damit umgehen?

Das bekannte Koch-Kellner-Beispiel taugt nicht mehr. Die Grünen sind ernstzunehmender Partner, aber auch Konkurrent - gerade in urbanen Milieus. Die SPD muss auch um diese Wähler werben.

In Berlin werden Renate Künast große Chancen zugeschrieben, Klaus Wowereit im Amt des Regierenden Bürgermeisters abzulösen. Können Sie sich vorstellen, dass die SPD in der Hauptstadt als Juniorpartner in eine grün-rote Koalition zieht?

Das kann ich mir nicht vorstellen, weil die geschätzte Kollegin Künast gegen Klaus Wowereit nicht gewinnen wird. Klaus ist schließlich einer der besten Wahlkämpfer in Deutschland.

Das Interview führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov.

ZUR PERSON

Der Mann hinter Gerhard Schröder

FWS, wie Frank-Walter Steinmeier von Vertrauten genannt wird, kam mit dem Altkanzler 1998 ins Kanzleramt und war dort lange Jahre Schröders Amtschef. Die Agenda 2010, das in der SPD so ungeliebte Reformprojekt, ist wesentlich durch Steinmeier geprägt worden.

Der Kanzlerkandidat

Nach vier Jahren als Vizekanzler von CDU-Regierungschefin Angela Merkel griff Steinmeier 2009 selbst nach dem höchsten Regierungsamt. Seine Partei verlor die Wahl deutlich.

Der Fraktionschef

Nach der Niederlage im September 2009 hat Steinmeier den Vorsitze der SPD-Bundestagsfraktion übernommen. Zunächst schlug ihm bei den Abgeordneten Skepsis entgegen. Er gilt als überzeugter Reformer, während sich weite Teile der Partei von der Regierungspolitik vergangener Jahre entfernen wollen, und er war bis dato als zupackender Debattenredner nicht aufgefallen. Nach einem Jahr im Amt hat die Zufriedenheit mit ihm deutlich zugenommen.

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