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Tunesien: Mit Alpenziegen und Kakteen gegen die Folgen des Klimawandels

Der Klimawandel stellt Entwicklungsländer wie Tunesien vor große Probleme. Deutsche Experten setzen bei der Beratung auf überraschende Ideen.

Die Frau sitzt auf einem großen Stein, sie hält einen langen Ast in der rechten Hand und rückt mit der linken ihr Kopftuch zurecht. Um sie herum grasen Ziegen. Es sind kleine, drahtige Tiere, die mit kleinen Sprüngen auch die steile Böschung erklimmen. Die Hirtin schenkt ihnen keine Aufmerksamkeit, sie schaut einigen weißen Pick-ups zu, die an ihr vorbeidonnern und eine Staubwolke hinter sich lassen.

Die Wege abseits der Hauptstraßen bestehen im Zentrum Tunesiens nur aus Schotter und Sand. Sie verlaufen zum Teil so steil, dass die Fahrer das Gaspedal ganz durchdrücken müssen, um mit heulendem Motor nach oben zu kriechen. Die Wege sind eher für den Esel gemacht, auf denen junge Männer zu ihren Herden reiten.

Die Gegend um die Stadt Kairouan gehört zu den wenig entwickelten Regionen im Land. Fast alle Familien leben dort von der Landwirtschaft. Sie bauen Gemüse und Getreide an oder züchten Schafe und Ziegen. Die Bauern sind die größte Stütze der tunesischen Wirtschaft. Doch das Leben der Landwirte wird immer schwerer, die Arbeit härter. Die Niederschlagsmenge nimmt ab, der Grundwasserspiegel sinkt, die Anbauflächen schrumpfen durch Erosionen und Versteppung – Tunesien ist vom Klimawandel besonders betroffen. Und an vielen Orten verschärft der Mensch die Probleme noch.

Auch in einem kleinen Dorf, rund eine Autostunde von Kairouan entfernt, sind die Folgen fehlenden Umweltbewusstseins der Menschen zu sehen. Die Hänge der Berge sind kahl, kein Baum oder Strauch wächst dort. Schuld sind die Bauern, die dort Brennholz schlugen und ihr Vieh frei weiden ließen. Denn die Ziegen dort, Bohere-Ziegen heißen sie, erklimmen nicht nur die steilsten Berghänge, sie können auch auf Bäume klettern. Dort fressen sie die Blätter, Triebe und die Rinde ab – bis die Pflanzen eingehen.

Die kleine Pick-up-Karawane hält vor einem kleinen Dorf. Die Autos bringen Gäste aus Deutschland zu den Viehhirten. Entwicklungshelfer von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) stellen Journalisten ihre Projekte vor. Eines davon beschäftigt sich mit Ziegen aus fernen Regionen und klingt zunächst ziemlich kurios.

Abdelmajid Jemail von der GTZ und seine Kollegen wollen die Bauern dazu bringen, ihre Viehzucht umzustellen. Sie sollen Ziegen züchten, die nicht auf Berge und Bäume klettern können.

Ziegen sind in Tunesien nicht nur Nutztiere, sie sind eine Geldanlage. Das Vermögen einer Familie drückt sich auch in der Größe der Herde aus. Gemessen daran ist Brahim Meffa ein armer Mann: Der grauhaarige Viehhirte besitzt nur drei Tiere. Er wartet seit Stunden auf die Gäste aus Deutschland, trägt seinen Sonntagsanzug und ein Kopftuch wie die Nomaden in der Sahara.  Seine Tiere laufen frei herum, suchen in der Umgebung des Dorfes nach Futter. "Ich hoffe, dass Gott wieder mehr Regen schickt und es hier wieder grüner wird", sagt Meffa. Vor 50 Jahren hätten hier noch viele Bäume gestanden.

Nun liegt die Landschaft karg vor ihm. Hirtenhunde bellen, zwei Esel schreien, und in der Ferne zieht eine Ziegenherde vorbei. Meffa sagt, dass die Menschen hier schon immer die Bohere-Ziege gehalten haben, doch seit Kurzem brechen die Bauern mit ihrer Tradition: In ihren Herden halten sie nun Ziegen, die doppelt so groß sind wie die tunesischen Tiere. Es sind Alpen- und Damaskusziegen, die die deutschen Entwicklungshelfer ins Land gebracht haben. Mancher Bauer kreuzt bereits die fremden Ziegenarten in den eigenen Bestand ein. Verdrängungskreuzung heißt das, es ist momentan das Zauberwort der regionalen Entwicklungshilfe.

Die Alpen- und die Damaskusziegen bringen zwei Vorteile mit sich: Sie sind zu schwer, um auf Bäume zu klettern. Den Bauern nützt sie außerdem, weil sie mehr Milch und Fleisch geben als die Bohere-Ziege. Meffa hält noch die kleinen Ziegen. Er und die meisten anderen Bauern waren zunächst skeptisch und schauten erst mal, ob die Ideen der Deutschen sich umsetzen ließen. Doch nun ist auch er überzeugt und will die neuen Ziegen haben.

Für die GTZ sind die Alpen- und Damaskusziegen nur ein Teil einer großen Strategie, um die Menschen in Zentraltunesien auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Abdelmajid Jemail von der GTZ zeigt auf einen Berghang, der weniger kahl ist als die anderen. Dort läuft ein Aufforstungsprogramm.

Außerdem haben die Entwicklungshelfer den Landwirten in Seminaren gezeigt, wie sie Nebenprodukte der Ernte als Viehfutter verwenden, mit weniger Wasser effektiver Bewässern, und wie sie besser Käse aus der Ziegenmilch herstellen können. Und sie haben Futterpflanzen in die Region gebracht, die dort bisher nicht genutzt werden. Die Bauern können diese zähen Gewächse und Kakteen um ihre Häuser herum anbauen, die Ziegen müssen dann nicht mehr das Land außerhalb der Dörfer abweiden.

Die deutschen Entwicklungshelfer machen viele kleine Schritte, um voranzukommen. Und manchmal reicht es schon, einfach Menschen zusammenzubringen, die vorher nie miteinander gesprochen haben. In Tunesien, wo der Präsident Ben Ali wie ein König herrscht, gleicht das schon einer Revolution. Denn das Land wird vollkommen zentralistisch regiert, entschieden wird von oben. Was die Menschen in der Provinz mit den Beschlüssen anfangen können, fragt in der fernen Hauptstadt Tunis keiner.

Maike Potthast von der GTZ spricht diplomatisch von großen Herausforderungen, vor denen sie und ihre Kollegen stehen, wenn sie versuchen, lokale Behörden in die Planung einzubeziehen. Dezentralisierung ist nicht nur im tunesischen Umweltministerium ein Fremdwort. Dort haben Potthast und andere GTZ-Mitarbeiter ganz oben im sechsten Stock ihre Büros. Sie beraten die tunesischen Beamten, wissen über laufende Projekte Bescheid und helfen beim Erstellen von Studien. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verteilt keine Millionenbeträge mehr an die Partnerländer. Es stellt deutschen Organisationen wie der GTZ Mittel zur Verfügung, damit diese Projekte umsetzen. Von 2006 bis 2011 stehen der GTZ beispielsweise 5,5 Millionen Euro zur Verfügung, um Tunesien dabei zu helfen, die Klimarahmenkonventionen umzusetzen.

Najeh Dali, tunesischer Generaldirektor für Umwelt, sagt, sein Land brauche weniger das Geld aus dem Ausland, sondern die Expertise. "Tunesien ist nicht schuld am Klimawandel, die Industrienationen sind die Verursacher", sagt er. "Unser Präsident ist sehr besorgt um das Klima. Vor fünf Jahren haben wir ein Programm für Klimaschutz gestartet."

Dali sitzt in einem Konferenzraum im Ministerium. Drei Porträts des Präsidenten schmücken die Wände. Mitarbeiter bringen Kaffee und Gebäck. Dali lässt bunte Prospekte verteilen, die Tunesien als Musterland des Umweltschutzes darstellen. Dass es den Provinzen oft schwerfällt, die Pläne aus der Hauptstadt vernünftig umzusetzen, verschweigt er lieber.

Deutlich wird das abermals in der Umgebung von Kairouan. Wenige Kilometer von den Ziegenhirten entfernt, steht Bouguerra Kaifoun vor einem tiefblauen See. Die Wasseroberfläche glitzert in der Sonne, rund um den See stehen kleine Plantagen mit Olivenbäumen. Vor einigen Jahren schlängelte sich dort wo heute der See liegt, meist nur ein kümmerliches Gerinnsel. Nur im Winter wenn der Regen fiel, wurde aus der Pfütze ein See. Im Sommer trocknete das Gewässer fast völlig aus.

Um den kostbaren Regen aufzufangen, ließ die tunesische Regierung 2002 dort einen kleinen Staudamm bauen. Doch von dem aufgefangenen Wasser in dem Stausee hatten die Bauern lange nichts. Kaifoun führt seine Besucher an das Ufer. Kleine Steine knirschen unter den Sohlen seiner Stiefel. Jahrelang schauten er und die anderen Landwirte auf den See und ärgerten sich, dass sie das Wasser nicht auf ihre Felder bekamen. Die Regierung hatte das Bauwerk in die Landschaft gesetzt, den Bauern aber keine Pumpen, Rohre und Schläuche gegeben. Um die nötige Technik zu kaufen, fehlte den Landwirten jedoch das Geld.

Das Problem der Bauern erreichte die Planer in den Ministerien lange Zeit nicht. Damit das Wasser auf die Felder gelangte wurden, mussten erst deutsche Berater und Beamte der lokalen Landwirtschaftsbehörde gemeinsam aktiv werden. Sie organisierten Treffen zwischen Entscheidern und den Leuten vor Ort. Die Bauern schlossen sich zusammen, es wurden Pumpen angeschafft, die sich nun alle Landwirte teilen. "Alleine sind sie nicht auf die Idee gekommen", sagt Potthast. "Sie haben gewartet, dass die Regierung etwas unternimmt."

Kaifoun zeigt auf eine Reihe Olivenbäume in der Ferne. Sie gehören ihm und seinem Bruder, der ebenfalls Bauer ist. Mit dem Wasser aus dem Stausee können sie nun die Bäume nun auch in Trockenzeiten bewässern. Die Oliven verkaufen sie bisher nur in Tunesien, aber auch einen Export können sie sich vorstellen. Momentan seien sie zufrieden. "Der Präsident hat uns das Wasser gebracht", sagt Kaifoun ergeben. "Die Regierung sorgt sich um uns." Bis die Menschen in Zentraltunesien sich selber aktiv um die Umwelt kümmern, scheint noch ein weiter Weg.

Quelle: ZEIT ONLINE

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