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Vereint in Brüssel: Der ungarische Regierungschef Viktor Orban (links) und sein britischer Amtskollege David Cameron.

© dpa

EU-Gipfel: Und alle Fragen offen

Beim EU-Gipfel standen keine echten Entscheidungen zum "Brexit" und zum gemeinsamen Grenzschutz an - aus gutem Grund. Beide Themen offenbaren die Fliehkräfte, die derzeit in der Gemeinschaft wirken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Die Europäische Union gilt weltweit als Modell, das Staaten außerhalb von Europa einen Weg zur Kompromissfindung aufzeigt. Allerdings hat das Krisenjahr 2015 in der Europäischen Union auch Spuren hinterlassen, welche die Strahlkraft der EU erheblich mindern. Am Ende dieses Jahres lässt sich das Fazit ziehen: Die Suche nach europaweiten Lösungen, mit der mehrere Dutzend Partner zufrieden sein können, war schon immer ein schwieriges Geschäft. Aber noch nie war es wohl schwieriger als heute. Das hat der aktuelle EU-Gipfel in Brüssel gezeigt.
Die Europäische Union gleicht am Ende eines denkbaren schwierigen Jahres, das vom Griechenland-Drama über die Flüchtlingskrise bis zur Herausforderung durch den islamistischen Terror etliche Prüfungen bereithielt, einer Gemeinschaft, die das Verbindende zwar beschwört, aber sich in Wahrheit mit dem Familienfrieden denkbar schwer tut.

Die Zauberformel für Großbritannien muss noch gefunden werden

Das zeigt sich bei zwei Punkten: der Diskussion über einen britischen „Brexit“ und einen europäischen Grenz- und Küstenschutz. Echte Entscheidungen standen dabei beim EU-Gipfel nicht an. Zum Glück, muss man wohl sagen. Denn derzeit liegen die Positionen der 28 Mitgliedstaaten in beiden Punkten noch so weit auseinander, dass eine Einigung - wenn überhaupt – erst im kommenden Jahr möglich sein dürfte.
Der Optimismus, den die Gipfelteilnehmer bei der Diskussion über den „Brexit“ an den Tag legten, wird getragen von der Hoffnung, dass das Diktum der Kanzlerin vom vergangenen Sommer („Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“) am Ende auch zu einer für alle Seiten tragfähigen Lösung führt. Trotz der allseitigen Willensbekundungen, es nicht auf einen „Brexit“ ankommen zu lassen, liegt der Teufel aber im Detail. Sollte der britische Premier David Cameron tatsächlich darauf beharren, dass EU-Ausländer in Großbritannien zunächst einmal von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden, dann ist dies möglicherweise nur durch eine Änderung der EU-Verträge möglich. Ein solches Mammut-Projekt wäre, so wird es in Berlin gesehen, aber erst nach 2017 möglich. Spätestens 2017 will Cameron aber über die EU per Referendum abstimmen lassen. Wie diese Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen wäre, bleibt vorerst offen.

Skepsis der Osteuropäer gegenüber einem gemeinsamen Grenzschutz bleibt groß

Auch beim zweiten Beispiel - der Diskussion über den europäischen Grenzschutz – werden die Fliehkräfte sichtbar, die derzeit in der EU wirken. In Brüssel und in Berlin sähe man gerne eine rasche Entscheidung über eine Verstärkung der Sicherung an den EU-Außengrenzen, die als eine der Vorbedingungen für eine mögliche dauerhafte Quotenlösung zur Verteilung der Flüchtlinge gilt. Doch vor allem in den osteuropäischen Mitgliedstaaten ist die Skepsis sowohl gegenüber einer Flüchtlings-Umverteilung als auch einem gemeinsamen Grenzschutz groß. Mit diesen beiden großen Herausforderungen – der Flüchtlingskrise und dem drohenden „Brexit“ – schleppt sich die EU nun ins neue Jahr. Ob es Europas Staatenlenkern 2016 gelingt, ihren Laden gewissermaßen zusammenzuhalten, wird zu einem großen Teil von Angela Merkel abhängen. Aber wie der Gipfel gerade gezeigt hat, beschränkt sich der Einfluss der Kanzlerin vor allem darauf, europäische Überzeugungsarbeit in London, Warschau oder Budapest zu leisten. Ob sie Früchte trägt, ist offen.

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