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Ein Hindernis für Schutzsuchende? Wohl kaum.

© Zoltan Mathe/ dpa

Flüchtlinge in Europa: Ungarn grenzt sich ab

Ungarn hat seinen Zaun an der Grenze zu Serbien fertiggestellt. Er soll Flüchtlinge stoppen. Doch lassen sich die Menschen dadurch aufhalten?

Ursprünglich war alles ganz anders geplant. Mit dem Bau des 175 Kilometer langen und vier Meter hohen Zauns an der serbischen Grenze wollte sich die ungarische Regierung bis Ende des Jahres Zeit lassen. Verschiedene Varianten sollten getestet werden, die Arbeiten ordnungsgemäß ausschrieben werden. Doch Ministerpräsident Viktor Orbán entschied kurzerhand, auf das lästige Verfahren zu verzichten. Bereits Ende August müsse der Zaun fertig sein, so der Premier im Juli. Die Armee wurde mobilisiert, Gefängnisinsassen und Langzeitarbeitslose – alle mussten wochenlang Stacheldrahtrollen schleppen, Zufahrten ebnen und Pfähle einstampfen.

Wenig später gab die Regierung jedoch zu, dass bis Anfang September lediglich eine niedrigere Sperranlage fertiggestellt werden kann, hinter der dann irgendwann der eigentliche Zaun errichtet werden soll. Die Zahl der Asylsuchenden stieg derweil ständig, weil die Nachricht von Orbáns Plänen die Runde in den sozialen Medien machte.

Überforderte Polizisten

Als Anfang vergangener Woche jeden Tag mehrere tausende Flüchtlinge ankamen, erwies sich der Zaun des rechtspopulistischen Premiers endgültig als Flop: An zahlreichen Stellen ist der Stacheldraht durchschnitten, beseitigt oder mithilfe von Decken so angehoben worden, dass Menschen darunter durchkriechen können. Wo Verbiegen nicht hilft, tut es ein einfaches Teppichmesser gegen Ungarns Millionenprojekt. Schließlich konnten in den letzten Tagen Schutzsuchende die Sperranlage auch einfach vermeiden, indem sie die Bahngleise entlang über die Grenze liefen – unter den überforderten Blicken der ungarischen Polizisten.

In Röszke, dem ersten Dorf auf der ungarischen Seite, verteilen Hilfsorganisationen und junge Budapester Lebensmittel und Kleider. Die Einreisenden, überwiegend Syrer, brauchen vor allem Wasser und Strom, um ihre Handys aufzuladen. Eigentlich müssten sie sich als Erstes registrieren lassen, doch viele vermeiden jeden Kontakt mit der ungarischen Polizei und laufen nach einer kurzen Pause einfach weiter über die Felder in Richtung Szeged. In der rund 15 Kilometer von der Grenze entfernten Großstadt warten die Flüchtlinge auf den ersten Zug nach Budapest. Die Behörden haben die Lage offensichtlich nicht mehr im Griff, selbst linientreue Medien sprechen mittlerweile offen von einem Versagen der Polizei.

Noch mehr Überwachung

Angesichts der chaotischen Szenen setzt Orbáns Kabinett jetzt auf weitere Verschärfungen des Strafrechts und auf noch mehr Überwachung. So soll eine neue, zunächst 2000 Mann starke Spezialeinheit ins Leben gerufen werden, um den Zaun zu bewachen. Damit greift die Regierung einen ursprünglich von der rechtsextremen Jobbik-Partei formulierten Vorschlag auf. Menschenrechtsorganisationen zweifeln allerdings sowohl die Legalität als auch die Effizienz dieses neuen Vorstoßes an.

Die Bearbeitung der Asylanträge müsse künftig innerhalb von acht Tagen erfolgen und mit einer Rückführung nach Serbien abgeschlossen werden, heißt es weiter. „In Serbien gibt es keinen Krieg, die illegalen Migranten haben keinen Grund, weiterzureisen“, so Regierungssprecher Zoltán Kovács. Laut einem am vergangenen Freitag präsentierten Gesetzentwurf des Innenministers sollen große Zeltlager direkt an der Grenze eingerichtet werden, die vom Militär bewacht werden – im Notfall unter Anwendung von Waffengewalt. „Das ist das Rezept für die Katastrophe“, kritisieren die Vertreter der Initiative „Migráns Szolidaritás“.

Täglich 2000 bis 3000 Schutzsuchende

Ungarns Justizminister László Trócsányi sagte am Wochenende in Berlin, bisher seien jeden Tag zwischen 2000 und 3000 Flüchtlinge über die grüne Grenze in sein Land gekommen. Ungarn habe eine doppelte Verantwortung, zum einen die Verpflichtung, dass die Regeln des Schengener Abkommens eingehalten würden, zum anderen die humanitäre Pflicht. Trócsányi trifft an diesem Montag nicht nur seinen Amtskollegen Heiko Maas (SPD), sondern auch den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU). Ungarns Justizminister machte deutlich, dass er sich gemeinsame Lösungen in der Flüchtlingspolitik wünscht. In der vergangenen Woche hatte er betont, dass sein Land eine neue europäische Migrationspolitik maßgeblich mitgestalten möchte. Ungarn wolle, dass seine Stimme Gehör finde, sagte er Medienberichten zufolge.

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