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Prinzipielle Erwägungen. Umweltschutz-Aktivisten protestierten vergangene Woche vor dem Bundestag gegen den Einsatz des Pflanzenschutzmittels Glyphosat.

© Rainer Jensen/dpa

Unkrautvernichter: Glyphosat vergiftet auch das Koalitionsklima

Die SPD entwickelt ein umweltpolitisches Fachthema zum koalitionären Grundsatzkonflikt - und lehnt die weitere Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat jetzt kategorisch ab.

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So viel lässt sich ziemlich sicher sagen: Mit der Wissenschaft hat der jüngste Konflikt der großen Koalition aus Union und SPD nichts zu tun. Dabei wird er vordergründig als Forscherstreit ausgetragen. Über mögliche Gesundheitsgefahren des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat streiten Wissenschaftler und internationale Organisationen seit Jahren. Am Donnerstag will die EU entscheiden, ob Europas Landwirte das Mittel vorläufig weiter spritzen dürfen. Bisher war die Bundesregierung dafür. Seit voriger Woche liegt ein Veto der SPD-geführten Ministerien auf dem Tisch. Seither entwickelt sich das Fachthema zum koalitionären Grundsatzkonflikt.

Die SPD-geführten Ministerien bleiben bei der Ablehnung von Glyphosat, auch nachdem eine UN-Studie das Herbizid jetzt als vermutlich nicht krebserregend einstuft. Die Ministerien unter SPD-Leitung würden weiterhin die Verlängerung der Zulassung des weltweit meistgenutzten Unkrautvernichtungsmittels in der Europäischen Union ablehnen, sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums am Dienstag. Die Welternährungsorganisation und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatten am Montag mitgeteilt, es sei unwahrscheinlich, dass der Glyphosat-Einsatz für Menschen ein Krebsrisiko darstelle. Kritiker teilen diese Einschätzung mit Verweis auf unzureichende Transparenz nicht.

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte am Donnerstag die Verlängerung des bis Ende Juni in der EU erlaubten Glyphosat-Einsatzes unter Hinweis auf ungeklärte gesundheitliche Gefahren abgelehnt. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) wirft Hendricks vor, die signalisierte Zustimmung zur Zulassungsverlängerung überraschend einzukassieren. Daraufhin hatte sich das Kanzleramt am Freitag eingeschaltet. In Regierungskreisen hieß es am Dienstag, wegen der verhärteten Fronten zeichne sich vorerst kein Kompromiss ab.

Ökologen wie konventionellen Landwirten geht es ums Prinzip

In der Sache gibt es eigentlich nichts Neues, das den Meinungswechsel im Wirtschafts- und Umweltministerium erklären könnte. Glyphosat, auch Kleingärtnern unter der Handelsmarke „Roundup“ vertraut, ist das weltweit meistverwendete Herbizid. Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft es seit vorigem Jahr als „wahrscheinlich krebserregend“ ein und sieht nach Sichtung der Forschungsliteratur harte Belege auch für genverändernde Wirkungen.

Diese Einstufung sagt allerdings nichts über die schädliche Dosis. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die EU-Lebensmittelbehörde EFSA sehen bei den Mengen, in denen Glyphosat-Reste in Lebensmittel geraten, keine Gefahren für Menschen. Diese Einschätzung bestätigte am Montag die gemeinsame Pestizid-Bewertungsstelle der WHO und der Weltagraragentur FAO: Auch sie hält eine Gefahr für normale Anwender und Konsumenten für unwahrscheinlich.

Den Streit zwischen den Interessengruppen befriedet das Votum so wenig wie den in der Regierung. Es geht längst zu vielen viel zu sehr ums Prinzip. Für Öko-Verbände stehen Glyphosat und sein Hersteller Monsanto für Agrar-Großindustrie ohne Rücksicht auf Folgen für die Umwelt; für die traditionelle Agrarwirtschaft steht die massive Kampagne gegen Glyphosat für den Versuch, einen Systemwechsel zu erzwingen. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, die Wissenschaft zu ihren Zwecken zu instrumentalisieren und nur die Befunde zur Kenntnis zu nehmen, die jeweils ins Weltbild passen.

Das alles, wie gesagt, ist so wenig neu wie Sorgen um die Artenvielfalt auf totgespritzten Feldern oder der Vorwurf der Öko-Szene, die amtlichen Bewertungsstellen seien allesamt industriehörig. Die Bundesregierung unter Federführung von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hatte sich gleichwohl auf einen Kompromiss geeinigt, der solchen Bedenken in Teilen entgegenkam. Er wurde der EU-Kommission im März übermittelt und ist in deren Entwurf mit eingegangen. So sollen die EU-Staaten bei ihren Anwendungsrichtlinien auf die Erhaltung der Artenvielfalt achten.

Wenn Deutschland sich enthält, ist die Mehrheit in der EU unsicher

Um so erstaunter waren Schmidts Experten, als vorige Woche eine knappe Mail den Kompromiss für gegenstandslos erklärte. Der Absender der Botschaft ließ erst recht aufmerken: Entschieden hatte den Kursschwenk demnach nicht das Umweltressort von Ministerin Barbara Hendricks, sondern das Wirtschaftsministerium – also SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Nun drängt die Zeit: Im Ständigen Ausschuss der EU soll am Donnerstag eine Entscheidung fallen. Dabei spielen auch die Ländervoten eine wichtige Rolle. Sollte das Bundeskabinett sich nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen, wird sich Deutschland der Stimme im Ausschuss enthalten. Damit ist eine Mehrheit für die Weiterverwendung von Glyphosat unsicher, denn Frankreich hat bereits sein Nein angekündigt.

Das Kanzleramt soll nun vermitteln. Die Erfolgschancen erscheinen gering. Hendricks stellt sich neuerdings auf den Standpunkt, zugelassen werden dürfe nur, was garantiert unschädlich sei. In der Union argwöhnt aber mancher, dahinter steckten nicht neue Einsichten, sondern die deprimierenden Umfragewerte der SPD. Beim Koalitionspartner, glaubt ein CDU-Mann, mache sich so eine Stimmung breit, keine irgendwie unpopulären Kompromisse mehr einzugehen.

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