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Landeshauptstadt: Alle für einen und zwei von der anderen?

Potsdams Sozialdemokraten werden wohl für den Koalitionsvertrag im Bund stimmen. Gewinner könnten zwei CDU-Frauen werden

Der Vertrag für die Große Koalition im Bund ist verhandelt – nun dürfen alle mitreden, zumindest bei den Sozialdemokraten. Dass die Genossen in Potsdam und im Landkreis Potsdam-Mittelmark bei der bundesweiten Basisbefragung dem Vertragswerk zustimmen werden, gilt nach einer Umfrage der PNN als ziemlich sicher.

Unsicherheit hingegen bei der CDU Potsdam. Dort macht man sich Hoffnung auf Historisches: Zwei Potsdamerinnen könnten Bundesministerin werden. Zumindest werden Kreischefin Katherina Reiche und die Wahlpotsdamerin Johanna Wanka in Berlin hoch gehandelt.

Wanka, einst Kulturministerin von Brandenburg und Niedersachsen und derzeit Bundeswissenschaftsministerin, könnte ihr Ressort behalten – wenn es der Union zugeschlagen wird. Reiche, bisher Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, könnte ihren Chef, Peter Altmeier, beerben.

Ob es so weit kommt, dass Potsdam die deutsche Stadt mit der höchsten Bundesministerdichte wird, wird sich erst später entscheiden. Denn der Koalitionsvertrag von Union und SPD lässt die Verteilung der Ministerien und den Zuschnitt der Ressorts offen. Die Festlegungen sollten erst nach dem bis Mitte Dezember geplanten SPD-Mitgliedervotum erfolgen. Am Regionalproporz innerhalb der Bundesparteien kann es zumindest nicht scheitern: Wanka, die einst auch Landeschefin der märkischen CDU war, ist nach ihrem Ausflug nach Hannover noch Mitglied im Landesverband Niedersachsen.

Bei dem SPD-Mitgliederentscheid werden nach Parteiangaben in Potsdam genau 768 und in Potsdam-Mittelmark rund 6500 Genossen befragt, ob sie dem Koalitionsvertrag zustimmen oder ihn ablehnen. Wie es hieß, sollen die SPD-Mitglieder zuvor in Regionalkonferenzen über die Vereinbarungen diskutieren können, bevor sie aus der Berliner SPD-Parteizentrale die Post für ihr Votum erhalten. In der Nacht zum Mittwoch hatten sich CDU, CSU und SPD auf den Koalitionsvertrag geeinigt.

Viele SPD-Mitglieder hatten das Papier dann auch am Mittwoch noch nicht vollständig gelesen – zum Beispiel Potsdams SPD-Chef Mike Schubert. Allerdings habe er den Eindruck, es seien eine Menge Punkte mit sozialdemokratischer Handschrift in dem Vertrag aufgenommen worden, sagte er in einer ersten Reaktion.

Eine Zustimmung zu dem Vertrag empfahl die Potsdamer Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein. „Gemessen an unserem Wahlergebnis haben wir bei der Koalitionsvereinbarung viel erreicht“, erklärte die Sprecherin der SPD- Landesgruppe Brandenburg im Bundestag. So würden Kommunen wie Potsdam von einer Entlastung in Höhe von insgesamt fünf Milliarden Euro profitieren.

Unsicher über ihr Votum ist Martina Wilczynski. „Da werden noch einige schwere Gedankenstürme auf mich zukommen, ehe ich mich entscheide“, sagte die in Potsdam lebende Vize-Bundesvorsitzende der Lesben und Schwulen in der SPD. Allerdings würde die SPD Kernanliegen wie einen Mindestlohn oder die doppelte Staatsbürgerschaft bei möglichen Neuwahlen „so sicher nicht mehr ausgehandelt bekommen“. Sören Kosanke, Chef des SPD-Unterbezirks Potsdam-Mittelmark, sagte: „Der Bauch möchte keine große Koalition, der Kopf sagt, Deutschland braucht eine stabile Regierung.“ Ebenfalls die Zustimmung zu dem Papier empfahlen Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs und Potsdam-Mittelmarks Landrat Wolfgang Blasig.

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs sagt zu den Ergebnissen des Koalitionsvertrages: "Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen werden wir in den nächsten Tagen parteiintern intensiv diskutieren. Nach den mir vorliegenden Informationen hat sich die SPD aber in wichtigen Fragen durchsetzen können. Der Koalitionsvertrag trägt die Handschrift der Sozialdemokraten. Deshalb werde ich einer Großen Koalition zustimmen."

Martina Wilczynski, stellvertretende Bundesvorsitzende der AG "Lesben und Schwule in der SPD - Schwusos":  " Ich selbst kann und möchte niemandem eine Entscheidung beim Mitgliedervotum empfehlen. Hier kann ich nur anraten dem sozialdemokratischen Herzen zu folgen. Am Ende haben sich im Koalitionsvertrag viele grundlegende sozialdemokratische Inhalte und Kernanliegen wiedergefunden. Wie eben der Mindestlohn, Mietpreisbremse, doppelte Staatsbürgerschaft, Finanztransaktionssteuer um nur einige Punkte zu nennen. Die wir bei möglichen Neuwahlen so sicher nicht mehr ausgehandelt bekommen werden."

Kathleen Krause, 42, stellvertretende Vorsitzende der SPD Potsdam: "Ich werde für den Koalitionsvertrag stimmen. Die wichtigsten Gründe für meine Entscheidung sind, dass endlich ein Bundesteilhabegesetz entwickelt werden soll, was als Bundesleistungsgesetz dann eine verlässliche Größe darstellt. Damit kommt der Bund seiner Verantwortung nach und entlastet die Kommunen um Milliarden. Auch dass es weitere Millionen für die Städtebauförderung geben wird, ist u.a. für Potsdam wichtig und von großem Interesse. Die Entlastung der Länder für die Krippen, Kitas, Schulen und Hochschulen in Höhe von insgesamt sechs Milliarden Euro sind beschlossen. Die Bahn wird nicht privatisiert, Fracking wird es in Deutschland nicht geben und ein nationaler Energieeffizienzplan wird kommen ebenso wie eine flächendeckende Internetversorgung. Viele Punkte können hier noch aufgezählt werden, die eine eindeutige SPD-Handschrift tragen, wie allein die Auszeit für Angehörige in der Pflege analog dem Modell bei Kinderkrankheit oder auch dass die Banken in Zukunft für Ihre Risiken haften und nicht der Steuerzahler, dass Wasser zur öffentlichen Daseinvorsorge gehört und in staatlicher Hand bleibt. Aus meiner Sicht ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und den gesetzlichen Mindestlohn für Ost und West hätte es und würde es ohne uns nicht geben."

Manja Orlowski, 37 Jahre, SPD Potsdam West, Landesvorsitzende derArbeitsgemeinschaft für Bildung in der SPD (AfB): "Ich werde dem Koalitionsvertrag zustimmen; wenn auch nicht mit wehenden Fahnen. Es schmerzt mich, dass die Abschaffung des Betreuungsgeldes nicht durchgesetzt werden konnte. Damit fehlt auf absehbare Zeit Geld, das für eine chancengerechte und familienfreundliche Kinderbetreuung bitter nötig wäre. Ein weiteres Investitionsprogramm kann über diese  rückwärtsgewandte Familienpolitik nicht hinweg trösten. Auch dass die  Herausforderung Energiewende nicht offensiver angegangen wird, finde  ich schade für unser Land. Gut ist, dass ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 jetzt in Deutschland Gesetz wird. Dafür haben wir gekämpft, genauso wie für vernünftige Konditionen bei der Leiharbeit und Werkverträge. Der Markenkern der SPD wird hier deutlich sichtbar in dem Vertrag, und das ist gut so. Auch die Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft waren überfällig, schön, dass das gelungen ist.  Ich hoffe, dass viele meiner Genossen das ähnlich sehen. Als Partei können wir durchaus darüber streiten, ob das reicht, was jetzt im Vertrag drin steht. Gewählt haben uns aber viele Menschen dieses Landes, und ich bezweifle, dass das Verständnis der Leute für eine Ablehnung der Vertrages durch uns groß wäre. Mögliche Neuwahlen sind keine Option für mich und ich denke, auch nicht für meine Partei."

Die Sprecherin der SPD-Landesgruppe Brandenburg im Deutschen Bundestag, Andrea Wicklein, begrüßt das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen: "Der Vertrag trägt eine klare sozialdemokratische Handschrift! Gemessen an unserem Wahlergebnis haben wir bei der Koalitionsvereinbarung viel erreicht. Die Situation von Millionen von Menschen in unserem Land wird sich Dank der SPD verbessern. Es wird einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn ohne Ausnahme geben. In Absprache mit den Gewerkschaften wird dieser in Stufen ab 1.1.2015 in ganz Deutschland gelten. Die 24 Monate Anpassung sind aus meiner Sicht gerade für Ostdeutschland vernünftig. Auch die Verbesserungen bei der Rente sind wichtig, insbesondere der Fahrplan die Ost-West-Angleichung. Unsere Kommunen werden von der vereinbarten Entlastung in Höhe von 5 Mrd. Euro profitieren. 6 Mrd. Euro werden für den weiteren Kitaausbau und für Verbesserungen im Bildungsbereich eingesetzt. Die Erhöhung der Mittel für die strukturschwachen Regionen kommt insbesondere Brandenburg zu Gute. Auch die Vereinbarung beim Lärmschutz werden die Bürgerinnen und Bürgern, die verstärkt durch Schienen-, Straßen- und/oder Fluglärm betroffen sind, entlasten."

Robert Crumbach, 51, Potsdamer, Landesvorstand zweier SPD-AGen: "Ich stimme zu. Weil ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8.50 Euro verbindlich vereinbart ist."

Potsdam-Mittelmarks sozialdemokratischer Landrat Wolfgang Blasig empfiehlt eine Zustimmung: „Wir dürfen nicht vergessen, mit welchem Wahlergebnis die Parteien in die Koalitionsverhandlungen gegangen sind“, so Blasig. Angesichts dessen sei es ein Erfolg, dass es der SPD gelungen ist, eine Reihe ihrer wesentlichen Forderungen im Vertrag zu platzieren. Blasig nannte als Beispiel die doppelte Staatsbürgerschaft und den Mindestlohn. Zudem sei derzeit keine Alternative zu einer Großen Koalition erkennbar. „Allerdings weiß ich nicht, ob die vom designierten Kooperationspartner eingebrachten Vorschläge für eine Pkw-Maut und eine erhöhte Mütterrente wirklich gute Ideen sind“, so der Landrat.

Sören Kosanke, Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Potsdam-Mittelmark, sagte: „Der Bauch möchte keine große Koalition, der Kopf sagt, Deutschland braucht eine stabile Regierung.“ Kosanke würdigte besonders, dass - anders als im Koalitionsvertrag der letzten Regierung - verbindliche Vereinbarungen und nicht nur Prüfaufträge unterzeichnet wurden. "Unsere Knackpunkte sind drin." Die Regelungen zum Mindestlohn und zur Rente seien gerade für Brandenburg und die Neuen Länder wichtig. Schwierig werde, beim Mitgliederentscheid das Quorum von 20 Prozent zu erreichen. "Die Gegner einer Großen Koalition werden bestimmt ihre Stimme abgeben." Die Gefahr bestehe darin, dass die Befürworter und die Wankelmütigen nicht abstimmen.  Er rechne am Ende aber mit einer deutlichen Zustimmung der Basis, sagte Kosanke.

David Kolesnyk, 23 Jahre, Vorsitzender der Jusos Potsdam und Mitglied im Vorstand der SPD Potsdam Zum Koalitionsvertrag: Schade ist, dass eine Reform des BAföG scheinbar nicht geplant ist, da hierzu kein einziges Wort enthalten ist. Die Regelung zum Doppelpass ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibt die Frage, wieso jemand, der noch als Kind hierher kam, weiterhin zur Entscheidung gezwungen werden soll. Im Bereich Arbeit und Soziales gibt es Fortschritte. Es gibt also negatives und positives. Es gilt die Diskussionen der kommenden Tage abzuwarten und damit auch die Zeit, bis man alles gelesen hat. Ob ja oder nein, am Tag der Veröffentlichung ist da noch ein Fragezeichen.

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