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Ein italienischer Polizist steht am Hafenkai, als das Rettungsschiff „Iuventa“ der Berliner NGO „Jugend Rettet“ einläuft.

© Bellina Francesco/AFP

Potsdamer Seenotretter vor Gericht: Oberbürgermeister solidarisiert sich mit „Iuventa“-Crew

Seit fast sieben Jahren geht Italien juristisch gegen die teils aus Potsdam stammende Besatzung des Rettungsschiffs „Iuventa“ vor. Nun steht eine Entscheidung bevor. 

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Am 2. August 2017 wurde das Seenotrettungsschiff „Iuventa“ von den italienischen Behörden beschlagnahmt. Der Vorwurf gegen die auch zum Teil aus Potsdam stammende Besatzung: Zusammenarbeit mit Schleppern. Seitdem wird gegen sie ermittelt, das Vorverfahren im sizilianischen Trapani läuft seit fast drei Jahren. Nun könnte die Entscheidung fallen, ob gegen die Crew ein Hauptverfahren eröffnet wird. Am Mittwoch sollten die Plädoyers beginnen, der Richter könnte am Samstag seinen Beschluss fällen.

Sollte es zu einem Hauptprozess kommen, drohen den Seenotretterinnen und -rettern bis zu 20 Jahre Haft wegen „Beihilfe zu irregulärer Einwanderung“. Die Beschuldigten sprechen von Beginn an von einem politisch motivierten Verfahren.

Die „Iuventa“ der Berliner Organisation „Jugend Rettet“, die im Sommer 2016 erstmals in See stach, war eines der ersten privaten Rettungsschiffe auf dem Mittelmeer. Zwischen Juli 2016 und ihrer Beschlagnahmung half die Crew nach eigenen Angaben mehr als 14.000 Geflüchteten aus Seenot, die nach Europa gelangen wollten. Für die Arbeit erhielten die Crew-Mitglieder 2019 den von der Stadt Potsdam gestifteten Max-Dortu-Preis für gelebte Demokratie und Zivilcourage. Daran erinnerten am Mittwoch auch Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und die Stadtverwaltung in zwei gleichlautenden Solidaritätseinträgen bei X, vormals Twitter: „Lebensrettung ist kein Verbrechen.“ Der Hashtag dazu lautete #freeiuventa.

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) überreichte den Max-Dortu-Preis 2019 an die Crew-Mitglieder der „Iuventa“ Antonia Nagel, Clemens Debus und Sascha Girke (v.l.).
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) überreichte den Max-Dortu-Preis 2019 an die Crew-Mitglieder der „Iuventa“ Antonia Nagel, Clemens Debus und Sascha Girke (v.l.).

© Varvara Smirnova

Nach fast fünf Jahren Ermittlungen begannen die Vorverhandlung gegen die „Iuventa“-Crewmitglieder am 21. Mai 2022 auf Sizilien. Im Juli 2023 entschied das Kassationsgericht in Rom, das Vorverfahren auf fünf Gerichtsstandorte aufzuteilen, da nicht alle Anklagepunkte in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft von Trapani fielen. Von anfangs 21 stehen dort aktuell noch zehn Personen vor Gericht. Darunter sind vier deutsche Angeklagte, die zur Crew der Iuventa gehören. Andere fuhren Rettungseinsätze auf dem Schiff „Vos Hestia“ der Kinderhilfsorganisation „Save the Children“ und der „Vos Prudence“ von „Ärzte ohne Grenzen“.

Die Verteidiger von Menschenrechten sollten von Staaten unterstützt werden und nicht vor Gericht stehen.

Mary Lawlor, Sonderberichterstatterin für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen.

Unterstützt werden die Seenotretterinnen und -retter von Menschenrechtsorganisationen, die das Vorgehen der italienischen Justiz immer wieder kritisieren. Auch die Sonderberichterstatterin zur Lage von Menschenrechtsverteidigern beim UN-Menschenrechtsrat, Mary Lawlor, forderte jüngst von Italien die Einstellung des Verfahrens gegen die Seenotretter. „Die Verteidiger von Menschenrechten sollten von Staaten unterstützt werden und nicht vor Gericht stehen“, sagte sie in einem Video, das sie am Montag auf dem Internetdienst X verbreitete.

Auch heute geht die rechtsnationalistische Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gegen Seenotrettungsorganisationen vor und setzt ihre Schiffe fest. Doch auch weniger rechte Regierungen haben die Arbeit der Helferinnen und Helfern erschwert. Als die „Iuventa“ beschlagnahmt wurde, war der Sozialdemokrat Paolo Gentiloni (Partito Democratico/PD) Ministerpräsident in Italien. Der damalige Innenminister Marco Minniti (ebenfalls PD) hatte kurz zuvor die Seenotretter gedrängt, einen Verhaltenskodex zu unterzeichnen. Die meisten weigerten sich. Auf Gentiloni folgten im Amt Giuseppe Conte und Mario Draghi (beide parteilos) vor Meloni.

Das Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Seit 2014 sind den Vereinten Nationen zufolge mehr als 29.000 bei der Überquerung gestorben oder werden vermisst. Die Dunkelziffer könnte demnach deutlich höher liegen. (mit epd)

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