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„Kinder der Sonne“ in der Regie von Bettina Jahnke.

© Thomas M. Jauk

Spielzeitauftakt am Hans Otto Theater: Von Schattengewächsen und Sonnensuchern

Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ ist psychologisch fein gespielt, aber wer hier Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit sucht, sucht umsonst.

Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, vor dem Hintergrund einer dräuenden Pandemie: Gut nachvollziehbar, warum Potsdams Intendantin Bettina Jahnke Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ an den Anfang der neuen Spielzeit stellt. Die Entscheidung dafür stand fest, bevor Russland im Februar in die Ukraine einfiel, und ist doch am Rande auch eine Geste gegen das, was Jahnke „Bilderstürmerei“ nennt. Einen Boykott russischer Werke in Zeiten, da Russland einen Angriffskrieg führt, lehnt sie ab.

Gorki schrieb „Kinder der Sonne“ 1905, im Jahr der Russischen Revolution, und bezieht sich auf eine Cholerapandemie 1892 an der unteren Wolga. Gorki beschreibt eine zweigeteilte Gesellschaft, heruntergebrochen auf einen Nukleus. Einerseits ist da der betuchte Zirkel um den Wissenschaftler Pawel Protassow. Andererseits all die, die nicht dazugehören. Das Personal, das „einfache Volk“, später genannt: „die Meute“. Zuletzt dann: „die Tiere“.

Oben und unten, Sonne und Schatten

Erst einmal aber ist hier alles lange Zeit sehr licht und leicht, und ganz schön konventionell. Ab der ersten Minute wird Klaviermusik auf die Bühne gespielt, Protassows Zirkel trägt helle, fließende Gewänder. Nur der bullige Arbeiter Roman (René Schwittay) in dunklen Lederklamotten stört die Idylle mit seinem Akkubohrer. Oben und unten, Sonne und Schatten, Dunkel und Licht - das sind die wenig subtilen Gegenpole, mit denen Gorkis Text arbeitet, und Jahnkes Regie schließt sich dem an. Man kann die selbst ernannten „Kinder der Sonne“ und die Schattengewächse prima auseinanderhalten (Kostüme Ivonne Theodora Storm).

Die heile Weile Protassows ist eine ziemlich wackelige Angelegenheit, das suggeriert bereits die Bühne (Juan León). Metallgerüste ragen in den Raum wie Reste eines entkernten Gebäudes. Fünf Birkenstämme, blätterlos. Ein paar Tische. An einem sitzt Protassow (Philipp Mauritz). Er sitzt da wie ein Oberschüler am Chemiebaukasten. Mal qualmt es, mal erhebt er sich kurz, um huldvolle Sätze zu sprechen. Dem Schlosser Jegor (wunderbar knarzig: Jörg Dathe) etwa, der seine Frau prügelt, sagt Protassow: „Sie sind ein Mensch, ein vernunftbegabtes Wesen, das Leuchtendste, das Herrlichste, was die Welt zu bieten hat!“ Dann verschwindet er wieder im Chemiebaukasten.

Die Sonnenanbeter sind da, nur die Sonne will nicht so recht scheinen

Im Stück wird Protassow verehrt wie ein Guru, er gilt als Lichtbringer, intellektuelles Zentrum. Seiner Schwester Lisa hilft er aus der Depression, der Tierarzt Tschepurnoi hat für ihn den Wodka aufgegeben. Dessen Schwester Melanja ist Protassow ganz und gar verfallen und auch seine eigene Frau bleibt bei ihm, obwohl er sie kaum mehr wahrnimmt. So wie dieser Protassow aber angelegt ist, als flüchtiger, komischer Kauz, Typ wirrer Professor und immer schon nicht mehr ganz da, kommt das ganze Konstrukt ins Wanken: Die Sonnenanbeter sind da, nur die Sonne scheint nicht so recht.

Umso mehr Gewicht bekommt Protassows Entourage. Franziska Melzer als seine Schwester Lisa, psychisch erkrankt, spürt als Einzige die Kluft zwischen dieser, ihrer Welt und der „da draußen“. Mit dem Tierarzt Tschepurnoi diskutiert sie, worum es dem Stück geht, die Natur des Menschen. Er ist veränderbar, sagt Lisa, „man muss nachsichtiger sein, freundlicher“. Tscherpurnoi erwidert: „Die Menschen sind roh und gewalttätig. Das ist ihre Natur.“ Während sie reden, bricht draußen die Cholera aus. Sie reden weiter.

Das große Aha-Erlebnis bleibt aus

Wie Melzer das spielt, zwischen Spott und Hundekläffen, Ernst und aufkeimender Verzweiflung - das ist eindrücklich. Auch Paul Wilms’ Tierarzt darf nicht nur Spötter und Großkotz sein, sondern ehrlich in Lisa verliebt. Und hoffnungslos allein sowieso. Einer, der Großes will, irgendwas - „bloß mir fällt nichts ein“. Stattdessen träumt er von Schweinen, die er vom Eis holt, und die dann keiner braucht. Die Haltung, mit der Nadine Nollaus Melanija ihrer Scham trotzt, ist herzzerbrechend. Und Jakob Schmidt, neu im Ensemble, darf in einer Doppelrolle zeigen, dass er neoliberale Arroganz (als Hausbesitzer) ebenso kann wie ausgehungertes Proletariertum.

All das ist psychologisch fein gearbeitetes Schauspiel. Das große Aha-Erlebnis aber bleibt aus, da kann es am Ende, nach zwei langen, sehr introspektiven Stunden mithilfe der Bürgerbühne als „Meute“ auf der Bühne noch so laut „Peng“ machen. Wie umgehen mit einer Gesellschaft, die infolge einer Pandemie gespalten und ermattet ist? Wer darauf hier eine Antwort sucht, sucht umsonst. Was bedeutet es, Mensch zu sein? Dazu hat „Kinder der Sonne“ einiges zu sagen.

Wieder am 18.9. um 17 Uhr sowie am 23. und 24.9. um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater Potsdam

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