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Brandenburg: Putzige Plage

Sie sind niedlich und klug, aber sie räubern Vogelnester ebenso aus wie Bungalows. Zigtausende Waschbären leben schon in der Mark

Von Sandra Dassler

Annenwalde/Potsdam - „Sie haben wieder nur eine einzige Nacht gebraucht, um alles zu vernichten“, sagt Christa Kothe. Ein Jahr lang hat die Hobby-Winzerin mit ihrem Mann die Weinlese im uckermärkischen Annenwalde vorbereitet: zwischen den Stöcken gemäht, das Laub wegen des vielen Regens dreimal geschnitten – und den elektrischen Zaun von zwei auf drei Etagen erhöht. Den Zaun hatten die Kothes um den von ihnen angelegten nördlichsten Weinberg Brandenburgs errichtet, weil 2005 ihre gesamte Ernte von Waschbären gefressen wurde.

„Ein Waschbären-Experte hatte uns das geraten“, erzählt Christa Kothe: „Er sagte auch, dass Abwehrmaßnahmen nur kurze Zeit helfen, weil die Waschbären so schlau sind, dass sie sich immer etwas Neues einfallen lassen.“ So war es dann auch: 2006 ließen sich die Kleinbären von dem Elektrozaun abschrecken, in diesem Jahr gruben sie sich einfach darunter durch und vernaschten die reifen roten Regent-Trauben aller 520 Rebstöcke.

„Wenn es nur das wäre“, sagt Wolfgang Bethe, der Präsident des brandenburgischen Landesjagdverbands. „Aber Waschbären fressen auch mit Vorliebe die Eier von Wasservögeln und Bodenbrütern wie Lerchen. Weil sie hervorragende Kletterer und Schwimmer sind, keine natürlichen Feinde haben und geschickt mit den Vorderpfoten umgehen können, gibt es kaum Schutz vor ihnen. Hinzu kommt ihre hohe Affinität zu menschlichen Siedlungen. Zwar greifen Waschbären Menschen nicht an, aber sie können Krankheiten übertragen und sehr lästig werden.“

Das mussten in den vergangenen Jahren viele Haus- und Bungalowbesitzer in Brandenburg leidvoll erfahren. In einem Ortsteil von Ludwigsfelde beispielsweise siedelten sich Waschbären in einer Kleingartenanlage an. „Die haben nicht nur überall im Haus ihre bestialisch stinkenden Exkremente hinterlassen, sondern auch den Kühlschrank geöffnet und geleert sowie die Inneneinrichtung verwüstet“, erzählt ein Bungalowbesitzer.

Im Kreis Märkisch-Oderland war es zwischen Umweltschützern und Anglern fast zu Handgreiflichkeiten gekommen: Jahre lang hatten die Tierfreunde die Angler verdächtigt, Vogelnester zu zerstören, dann stellte sich heraus, dass Waschbären die Täter waren. An manchen Seen der Mark wurde die gesamte Kormoranbrut von den räuberischen Säugern vernichtet.

Dass der Waschbär keine natürlichen Feinde hat und deshalb nach Ansicht vieler Experten die einheimische Fauna ziemlich durcheinanderbringt, liegt daran, dass er aus Nordamerika stammt und erst seit rund 70 Jahren in Deutschland vorkommt. 1934 wurden 40 Kilometer vom hessischen Kassel entfernt die ersten Tiere ausgesetzt, heute gilt Kassel als Waschbärenhauptstadt Europas.

Die Population in Brandenburg soll ihre Existenz hingegen einer Bombe oder Granate zu verdanken haben, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs eine Pelztierzuchtfarm in Wolfshagen bei Strausberg zerstörte. Die entkommenen Waschbären vermehrten sich zunächst relativ unbemerkt. 1971 wurde erstmals ein Tier gefangen, 1982 waren es 39, 1989 schon 98. Ab Mitte der 90er Jahre stieg die Zahl gefangener oder geschossener Tiere sprunghaft an: von 209 im Jahr 1994 auf 1497 im Jahr 1999. Experten führen das unter anderem auf die Zerstörung von Pelztierfarmen durch Tierschützer zurück. 2005 und 2006 wurden jeweils mehr als fünfeinhalbtausend Waschbären zwischen Uckermark und Lausitz zur Strecke gebracht. Im Landwirtschaftsministerium geht man davon aus, dass mittlerweile mindestens vier- bis fünfmal so viele Tiere hier leben. Mehr als 25 000.

Waschbären sind ungefähr so groß wie Katzen, haben einen gestreiften, buschigen Schwanz und eine dunkle Gesichtsmaske. Weil sie so treuherzig aus ihren Knopfaugen blicken, erliegen viele der Versuchung, sie zu füttern. Doch spätestens, wenn sich die Tiere auf Böden oder in Kellern ansiedeln, Lärm und Dreck machen und den Hund oder die Katze beißen, ist Schluss mit Lustig. Helfen kann dann meist nur noch ein Anruf beim Ordnungsamt oder bei der Jagdbehörde.

Waschbären dürfen in Deutschland seit den 50er Jahren gejagt werden. Da sie nachtaktiv sind und die Jäger ungern auf sie schießen, weil sie damit ihre eigentliche Beute – Wildschweine und Rehe – vertreiben würden, werden die meisten in speziellen Fallen gefangen. „Oft sitzen da Tiere drin, die uns um Nahrung bettelnd ihre Pfötchen entgegenstrecken“, sagt ein Jäger: „Da wissen wir, dass sie wahrscheinlich schon Kontakt mit Menschen hatten.“

Getötet werden die gefangenen Waschbären dann trotzdem – ein Vorgang, den Ursula Stöter grausam findet. Die 52-Jährige aus der Nähe von Neuruppin nimmt sich seit Jahren verwaister Waschbären an. Gerade hat sie ein nur 400 Gramm wiegendes Tierbaby mit der Flasche groß gezogen. „Die Tiere müssen doch eine Chance bekommen. Ich bin auch dagegen, dass sie von Menschen gehalten oder gezüchtet werden. Aber jedes Jahr werden Tausende überfahren und ihre Zahl reguliert sich auch auf natürlichem Weg.“

Das sehen viele anders. Auf der Golfanlage Kalin bei Nauen beispielsweise muss die ganze Nacht ein Angestellter Auto fahren. Mit dröhnendem Motor und Scheinwerfern hält er die Waschbären von der Zerstörung des Rasens ab. „Die pulen sonst Engerlinge unter den Grasnarben hervor, sagt Greenkeeper Peter Conzelmann: „Die sind für sie eine Delikatesse“.

Genau wie die Trauben auf Christa Kothes Weinberg. „Nächstes Jahr werden wir den Elektrozaun 50 Zentimeter tief in die Erde setzen“, sagt die Winzerin: „Ich befürchte nur, die kleinen Biester lassen sich wieder etwas Neues einfallen.“

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