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Brandenburg: Rechtsextremismus: Noch ein Abschied vom Sozialismus

Das hat schon Züge einer Lebensbeichte. Er habe jahrelang den Rechtsextremismus in seinem Land verharmlost, gesteht Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe in einem "Zeit"-Interview: Er habe es "einfach nicht wahrhaben" wollen, habe geglaubt, dass die DDR-Schulen die ostdeutsche Jugend zum Antirassismus erzogen habe.

Das hat schon Züge einer Lebensbeichte. Er habe jahrelang den Rechtsextremismus in seinem Land verharmlost, gesteht Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe in einem "Zeit"-Interview: Er habe es "einfach nicht wahrhaben" wollen, habe geglaubt, dass die DDR-Schulen die ostdeutsche Jugend zum Antirassismus erzogen habe. Das Eingeständnis muss Stolpe schwer gefallen sein. Vor Tagen äußerte sich Stolpe noch ganz anders. Da stellte sich der Regierungschef noch hinter seinen Innenminister Jörg Schonbohm, stellte sich gegen die Vorwürfe von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Schönbohms Ausländerbehörde unterstütze indirekt die Gewalttaten von Rechtsradikalen, indem die Opfer auch noch des Landes verwiesen werden. Das sei "ein Vorwurf gegen das ganze Land", befand Stolpe verärgert - und jeder im Lande verstand: ein Vorwurf gegen Stolpe selbst.

Ob die Vorwürfe gegen Jörg Schönbohm berechtigt waren, war für den Ministerpräsidenten nicht entscheidend. Es geht um das Land, Stolpes Land. Schaden vom Lande Brandenburg fern zu halten, den roten Adler stolz steigen lassen, das hat der Landesvater in den elf Regierungsjahren als seine Aufgabe gesehen. Was wirklich ein Schaden für das Land ist, das hat der in der Wolle gefärbte Konsensmensch Stolpe zuweilen nicht so genau gefragt. Die traurige Spitzenposition des Landes bei rassistischen Gewalttaten hat Stolpe bislang von seinem "verständnisvollen Ansatz" nicht abgebracht. Jede Kritik von außen empfand er als Angriff auf die Einheitsfront der Brandenburger, egal, ob sie harsch oder verständnisvoll vorgetragen wurde, egal, ob sie von Parteifreunden oder von politischen Gegnern kam.

Manfred Stolpe führt das Land seit über zehn Jahren als große Konsens-Veranstaltung. Er hat die Brandenburger gegen den kalten Wind der deutschen Vereinigung abgeschirmt, ihnen ein eigenes Wir-Gefühl gegeben, und auch die PDS ganz still eingebunden in das System Stolpe. Das Wir-Gefühl war so stark, dass für die Märker das Armenhaus Brandenburg heimeliger blieb als die Perspektive eines gemeinsamen Landes Berlin-Brandenburg.

Das Land Brandenburg, das ist für Manfred Stolpe wie eine große Familie. Jeder Angriff von außen ist ein Angriff auf die ganze Familie. Und eine Familie wird verteidigt, komme was wolle - und mag es auch um die schwarzen Schafe gehen. Der oft beschworene "Brandenburger Weg" hat viel vom Muff einer Wohngemeinschaft, einer sozialistischen Wärmestube eben, wie der Berliner CDU-Fraktionschef Landowsky das Land einst ätzend karikierte. Der Patron Stolpe hielt immer seine Hand über die Märker, egal, wie schwer die Vorwürfe waren. Das hat seinen Preis gehabt und das macht seine Schuld aus. Wo er Klartext hätte reden müssen, hat er jahrelang geschwiegen oder verharmlost. Der notorische Konsens-Mensch Stolpe hat oft genug einem zweifelhaften Volksempfinden nachgegben, wo er sich hätte distanzieren müssen. Als seine Brandenburger in Lauchhammer gegen den Zuzug von Asylbewerbern auf die Barrikaden gingen, hat Stolpe um Verständnis geworben. "Das differenzierte Herangehen an Vorurteile, das Um-Verständnis-Werben" sei objektiv eine Unterstützung für Rechtsextreme gewesen, stellt Stolpe nun fast resigniert fest.

Möglich, dass Stolpe sein erstmaliges Eingeständnis, jahrelang einen falschen Weg gegangen zu sein, als Befreiung erlebt. Vielleicht war es nur einem Sozialdemokraten vom Schlage eines Wolfgang Thierse - wie Stolpe ein Ostdeutscher, ein Kirchenmann und ein Moderator - möglich, Stolpe zu diesem Sinneswandel zu bewegen. Für Manfred Stolpe aber ist mehr damit verbunden: das Ende eines politischen Konzepts. Sein Politikstil, der so sehr seiner Persönlichkeit entspricht, hat das Land geprägt. In Brandenburg herrscht nicht mehr der sozialdemokratische Friede, die Konflikte sind in der Koalition mit der CDU härter geworden. Der große Konsens hat tiefe Risse bekommen.

Brandenburg, die "kleine DDR", wo die allein regierende SPD jahrelang Konflikte mit Geld entschärfte, hat überlebt. Und Stolpe auch. Sein Eingeständnis war längst überfällig und kann für Brandenburg nur hilfreich sein. Für Stolpe aber markiert es einen bleibenden Bruch. Der Herbst des Patriarchen ist angebrochen. Mit Stolpes Eingeständnis ist die Frage seiner Nachfolge auf der Tagesordnung.

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