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Schorfheide: Unter Strom

Unterirdische Leitung belastet nach Ansicht des Energiekonzerns die Natur stärker und käme viel teurer.

Angermünde – Während in Berlin niemand auf die Idee käme, eine 380-Kilovolt-Stromleitung quer durch die Innenstadt, den Tiergarten und das Regierungsviertel zu bauen, kann dieses Vorhaben in der Schorfheide wohl nicht mehr aufgehalten werden. Das riesige Waldgebiet nördlich der Großstadt dehnt sich zwar auf einer 130 000 Hektar großen Fläche aus. Doch die Zahl der betroffenen Bewohner hält sich in engen Grenzen. Deren Gewicht war kürzlich im Bundestag und Bundesrat trotz der Unterstützung durch die Landesregierung einfach zu gering, um eine unterirdische Stromtrasse durchzusetzen. Unter Berlin gibt es einen solchen Tunnel für die Leitung zwischen den Umspannwerken Marzahn und Mitte schon seit 1999. Auf zwölf Kilometern unterquert er die Stadt.

„Das hätten wir uns auch für das so wertvolle Biosphärenreservat Schorfheide gewünscht“, sagt Günter Hälsig, Abteilungsleiter Technischer Umweltschutz im Brandenburger Umweltministerium. Aber die entscheidenden Bundesgremien hatten lediglich vier Pilotprojekte beschlossen – drei in Niedersachsen und eins im Thüringer Wald. Die Mehrkosten tragen alle Stromkunden mit einem minimalen Aufschlag auf ihre Rechnungen. Auch brandenburgische CDU-Abgeordnete stimmten gegen die Aufnahme der Schorfheide in die Liste der Pilotprojekte, damit die Strompreise nicht noch weiter steigen. „Brandenburg allein kann die höheren Ausgaben für ein Erdkabel nicht tragen“, bestätigte Abteilungsleiter Hälsig.

Der Energiekonzern Vattenfall spricht von vier- bis zehnfach so hohen Kosten für ein Erdkabel im Vergleich zu einer Freileitung. Tatsächlich klingt der Begriff „Erdkabel“ angesichts der Dimension verniedlichend. „Wir brauchten hier zwar nicht einen begehbaren Tunnel wie unter Berlin“, sagt Vattenfall-Sprecherin Meike Wulfers. „Aber die Röhre müsste mindestens 1,60 Meter unter der Erde liegen.“

Auf Bauzeichnungen ähnelt diese Erdkabeltrasse einer unterirdischen Öl- oder Gaspipeline. Doch während die irgendwann einmal zuwächst und verschwindet, muss sie in der Natur wie eine breite Straße ständig frei gehalten werden. Alle 600 bis 900 Meter sind Öffnungen für Wartungsarbeiten vorgesehen. Außerdem zählt Vattenfall die Absenkung des Grundwassers und die Austrocknung des Waldbodens durch die Wärmeabgabe der Stromleitung als Nachteile auf. Erdkabel hätten eine maximale Lebensdauer von 40 Jahren, während Freileitungen 80 bis 120 Jahre stehen könnten.

Für die Bürgerinitiative „Schorfheide unter Strom“ spielen höhere Kosten keine entscheidende Rolle. Sie fürchtet gesundheitliche Gefahren durch Abstrahlungen der Stromleitung und eine nachhaltige Störung des Artenreichtums. „Gerechnet auf 40 Jahre, gleichen sich die Ausgaben beider Systeme aneinander an“, sagte Sprecher Thomas Pfeiffer. Die 115 Kilometer lange Freileitung habe einen jährlichen Energieverlust im Wert von 18,2 Millionen Euro, rechnete er. Bei der Erdleitung liege der Wert bei 7,4 Millionen Euro. Komme die Freileitung, sei dieser Teil der Schorfheide kein Naturschutzgebiet mehr. „Da findet kein sanfter Tourismus mehr statt.“

„Pro Kilometer Freileitung kommen jährlich 400 bis 700 Vögel um“, sagte Eberhard Henne, Ex-Leiter des Biosphärenreservates und zeitweiliger Brandenburger Umweltminister. Bereits jetzt gibt es Freileitungen in der Schorfheide. Sie wurden aber vor fünf Jahrzehnten gebaut, als Umweltschutz keine Rolle spielte. Vattenfall hat zugesagt, beim Bau der neuen Trasse die alten Leitungen abzubauen. Wann die ersten Bagger anrücken, steht nicht fest. Zunächst wird das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen. Gegen das könnte die Bürgerinitiative dann klagen.

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