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Brandenburg: Sehnsucht nach Regine

Premiere der Hildebrandt-Biografie. Den Käufern fehlt die populäre Politikerin

Von Sandra Dassler

Berlin - Nachsichtig blickt Willy Brandt auf seine Enkel herab. Die stecken mal wieder im realpolitischen Schlamassel und brauchen dringend ein wenig sozialdemokratische Ur-Identität. Da kommt die erste Biografie von Regine Hildebrandt gerade recht. Und so sind zur Premiere des Buches am Dienstagabend nicht nur Hunderte Leser in die SPD-Bundeszentrale geeilt. Auch Manfred Stolpe und Matthias Platzeck haben zu Füßen der übergroßen Brandt-Statue Platz genommen. Und während der ehemalige brandenburgische Landesvater als Zuhörer kommt und deshalb nichts sagen muss, erinnert sein Nachfolger während der Podiumsdiskussion daran, dass Hildebrandt den Beginn der von Kanzler Gerhard Schröder eingeleiteten Reformen verteidigt hatte.

Im Lande freilich nahmen sie die legendäre brandenburgische Sozialministerin anders wahr. „Wenn Regine noch lebte, hätte sie den Politikern richtig die Meinung gegeigt“, sagt eine Frau, die extra aus Cottbus angereist ist. „Sie hätte Hartz IV nie gutgeheißen – die wusste genau, wie es den kleinen Leuten geht.“ Der Untertitel der Biografie greift diese Wahrnehmung des Volkes bewusst auf: „Ich seh doch, was hier los ist“. Auf den gut 300 Seiten der Biografie, für die der Autor Hans-Dieter Schütt auch bislang unveröffentlichtes Material aus dem Familienarchiv und aus Gesprächen mit Prominenten nutzte, werden vor allem Geschichten erzählt. Episoden, die typisch waren für die in Berlin geborene Biologin, die nach 1989 zur beliebtesten Politikerin Ostdeutschlands wurde. Die Zuschauer mögen diese Geschichten. Sie lachen herzlich, als Platzeck vom ersten Arbeitsbesuch der leidenschaftlich Vogelstimmen imitierenden Sozialministerin erzählt: „Sie sind doch das Umweltministerium: Ich mach’ Ihnen mal die Goldammer.“

„Es war diese Unbekümmertheit um Konventionen, die Authentizität im Privaten wie im Politischen, die Regine Hildebrandt so menschlich machten“, sagt Ingrid Mogel aus Friedrichshain, und zieht Fotos aus ihrer Tasche. „Das war kurz vor ihrem Tod in der Samariterkirche. Unglaublich, welche Energie sie selbst da noch ausstrahlte.“ Luise Oesterreich aus Buckow hat gerade die Biografie gekauft: „Regine Hildebrandt fehlt uns allen total“, sagt sie.

Das findet auch Lothar Michalski – aber das Buch wird er nicht erwerben. Der Pankower hat Vorbehalte gegen den Autoren: „Schütt war Chefredakteur der FDJ-Zeitung Junge Welt. Muss ausgerechnet so einer über Frau Hildebrandt schreiben?“ Der Autor kennt die Vorwürfe. Er könne seine Vergangenheit nicht ändern, sagt er. Und er verstünde, dass manche damit Probleme hätten: „Gerade beim Schreiben dieses Buches tat es mir ja selbst weh zu erkennen, wie die Machthaber, zu denen ich mich zählen muss, verhinderten, dass Menschen wie Regine Hildebrandt in der DDR ihr Talent entfalten konnten.“

Regine Hildebrandts Ehemann Jörg hat keine Probleme mit Hans-Dieter Schütt: „Meine Frau hat ihn geschätzt – trotz seiner Vergangenheit. Und überhaupt: Es fragt doch auch keiner danach, dass jetzt eine ehemalige FDJ-Sekretärin Bundeskanzlerin wird.“ Der Satz hätte auch von Regine sein können.

Die Biografie Regine Hildebrandt „Ich seh doch, was hier los ist“ erschien im Kiepenheuer-Verlag und kostet 19,90 Euro.

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