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Brandenburg: Smartes Schwergewicht

Als plumper Straßenpoller oder kantige Parkbank ist Beton allgegenwärtig. Das Designstudio „Metrofarm“ baut aus dem grauen Werkstoff elegante Möbel

Der bunte Schmetterling über dem Eingang des Plattenbaus erinnert noch an die Zeit als Kindergarten. Inzwischen ist der Wohnblock in Berlin-Mitte Spielfläche von Kreativbüros. Zu ihnen zählt auch das Designteam „Metrofarm“, das dort auf 160 Quadratmetern sein Büro hat und edelgraue Möbel aus Beton entwirft. Ihre in diesem Jahr auf der Mailänder Möbelmesse präsentierten und für den Nachwuchsförderpreis „Design Report Award 2006“ nominierten Einrichtungsobjekte überzeugten vor allem mit schlichtem Purismus.

Ein rohes Baumaterial wie Beton in Innenräumen einzusetzen, ist nicht jedermanns Sache. Der als kalt, seelenlos und anonym gebrandmarkte Werkstoff garantiert zwar einen modern-avantgardistischen Look. Dennoch scheint es fast absurd, zentnerschweren Beton ausgerechnet für den Bau von Möbeln zu verwenden, die doch gelegentlich umgestellt werden wollen. Wenn allerdings der 26-jährige Jan Müller, der gemeinsam mit der Grafikerin Julia Böttcher und drei Mitarbeitern das Designstudio „Metrofarm“ betreibt, von Beton spricht, wird seine Stimme beinah zärtlich: Das strenge Material verfüge über eine schöne Haptik, färbe sich mit der Zeit dunkel und gewinne wie Holz oder Naturstein bei Gebrauch sogar noch an Charakter. Anders als bei Hightech-Kunststoffen braucht man bei diesem Werkstoff auch keine teuren Maschinen, um komplexere Entwürfe zu gestalten. „Nur etwas Zeit für den Bau der Formen“, meint Müller, dessen Begeisterung für Beton vor sechs Jahren mit einem Hocker und einem Freischwinger begann.

Mittlerweile gibt es neben verlässlich- stabilen Tischen und Bänken auch den Prototypen eines DJ-Pults. Mit einer Gussform aus Stahl werden die grazilen Betonbänke ab diesem Jahr erstmals in höheren Stückzahlen produziert. Einsatzgebiet sollen vor allem Privatwohnungen, Banken, Läden und Showrooms sein. Interesse zeigte kürzlich auch eine Universität in der Schweiz, die ihren Campus mit den Sitzgelegenheiten möblieren wollte, vor dem hohen Preis aber doch zurückschreckte.

Dass die „Metrofarm“-Designer, die in Berlin auch den so genannten Spiritroom des Sportartikelherstellers Nike ausstatten, mit ihren Betonentwürfen nicht gerade den Trend nach urbanem, hyperflexiblen Nomadentum bedienen, ist ihnen klar. Doch es sei falsch zu glauben, ihre Entwürfe seien unpraktisch und zu schwer, korrigiert Jan Müller. Denn die Bänke und Tische lassen sich in drei Teile zerlegen. Das mit schwarzem Linoleum bezogene Holzmittelteil ist von dem mit rostsicheren Edelstahlbewehrungen gefertigten Betonrahmen abschraubbar. So holt man sich beim Tragen keinen Kreuzschaden. Selbst für den „Ganzzustand“ ist keine Hebebühne nötig. 90 Kilo bringt der Tisch, 45 Kilo die Bank und 85 Kilo der Schaukelstuhl auf die Waage.

Beton im Interieurbereich scheint zwar noch ein provokantes Wagnis zu sein. Doch die Berliner Designer sind bei Weitem nicht die Einzigen, die den Werkstoff ästhetisieren. In Badezimmern und Küchen wird blanker Sichtbeton schon seit Jahren als minimalistisches Stilelement verwandt. Anders als in den siebziger Jahren, als verwegene Betondecken mit Holzstruktur die Partykeller zierten, unterstreicht man heute mit dem kargen Material lieber eine archaische Reduziertheit und spielt mit dem Kontrast zu anderen Materialien wie Holz, Glas, Metall oder Kunststoff.

Vor allem technologische Innovationen wie Glasfaserbeton, lichtdurchlässiger Beton oder ein selbst verdichtender Beton haben in den letzten Jahren die Anwendungsmöglichkeiten deutlich erweitert. Diese Entwicklung hat diverse Möbelbauer animiert, mit dem robusten, sowohl im Innen- als auch im Außenraum einsetzbaren Werkstoff Waschbecken, Fliesen oder Möbel zu entwerfen. Wegen der feinen, schönen Oberfläche bevorzugt Jan Müller für seine Entwürfe den selbst verdichtenden Beton. Gebaut werden die Möbel von dem Unternehmen Geithner-Bau, das die Beton-Stelen für das Holocaust-Mahnmal gefertigt hat.

Trotz der filigranen Gestalt der Möbel – die Schwere, meint Jan Müller, müsse man schon mögen. „Für Hektiker, die Angst haben, sich an etwas zu binden, sind die Betonobjekte nichts.“ Dass heute gerade hyperleichte, mit zum Teil unnötiger Multifunktionalität ausgestattete Möbel als smart gelten, versteht der Designer nicht. Seine Entwürfe wirken dann auch wie eine Gegenoffensive zum überladenen Klappmechanismus-Design: „Die können nichts, außer dass sie eben ein Tisch oder eine Bank sind.“

Ein wenig mehr können die handgemachten Beton-Accessoires, die ebenfalls bei „Metrofarm“ in Arbeit sind. Die Designer nennen sie „Nippes“ und wollen mit ihnen in den umkämpften Markt berlintypischer Souvenirs eindringen. So etwa mit einer Miniaturausgabe der Berliner Mauer, die auch als schlichte Buchstütze fungiert und in einem elefantengrauen Karton mit kleiner Spraydose verpackt wird, damit jeder zu Hause seine eigenen Mauer-Graffiti produzieren kann. Oder der faustgroße Betonbrocken, der an die Wackersteine von Kreuzberger-Mai-Autonomen erinnert, aber auch als Türstütze oder Briefbeschwerer taugt.

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