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Mittlerweile ohne Biathlon-Gewehr unterwegs. Magdalena Neuner, 29, war eine der erfolgreichsten Biathletinnen. 2012 beendete die zweimalige Olympiasiegerin ihre Karriere.

© Thomas Berns

Biathlon-Rekordweltmeisterin Magdalena Neuner: "Ich habe meine Entscheidung zu keiner Zeit bereut"

Magdalena Neuner spricht im Interview über ihr frühes Karriereende, Fans im Vorgarten, Doping in Russland – und die Biathlon-WM.

Von Johannes Nedo

Frau Neuner, vor fünf Jahren haben Sie Ihre Karriere beendet. Was vermissen Sie am Biathlon?

Es mag vielleicht etwas überraschend klingen: Aber ich vermisse am meisten meine Trainingskolleginnen – einfach das tägliche Treffen und den täglichen Austausch. Ansonsten ist es natürlich schön, große Erfolge zu feiern und Weltmeisterin zu werden. Aber das fehlt mir nicht mehr. Ich hatte das ja schon – und es wird mir immer in Erinnerung bleiben.

Verspüren Sie nicht die Lust, wieder ein Rennen zu bestreiten – nun, da am Donnerstag die WM in Hochfilzen beginnt?

Nein. Bei mir ist dann immer im Kopf, wie viel Vorbereitung es bedarf, um bei einer Weltmeisterschaft anzutreten. Es ist ja nicht damit getan, dass man einfach hinfährt und mitmacht. Und die Bereitschaft, so viel zu investieren, um wieder oben zu stehen, die habe ich nicht mehr. Vielleicht auch, weil ich nun einfach meine Familie habe.

Wann hatten Sie denn zuletzt ein Gewehr in der Hand?

Das war 2012 – bei meinem Abschiedsrennen auf Schalke. Ich habe zu Hause auch keine Biathlon-Waffe mehr. Aber Langlauf mache ich natürlich noch.

Sie sind also nicht mehr so nah dran am Biathlon.

Ich habe nun schon einen gewissen Abstand. Fünf Jahre sind ja auch eine wahnsinnig lange Zeit. Wobei ich neulich beim Weltcup in Ruhpolding war, und da ist schon vieles noch so wie immer. Aber da ich nun zweifache Mama bin und sich viel bei mir verändert hat, ist es für mich schon weit weg. Biathlon ist für mich eben nicht mehr so ein großer Teil meines Lebens.

Trauern Sie Ihrer Biathlon-Karriere gar nicht mehr nach?

Meine Entscheidung war sehr bewusst, ich habe sie auch zu keinem Zeitpunkt bereut. Ich entscheide immer viel aus dem Bauch und dem Herzen heraus. Ich höre in mich hinein und auf meine innere Stimme – das hat sich bei mir bisher immer ausgezahlt. Natürlich gibt es einzelne Punkte, die ich vermisse. Aber das Leben besteht eben aus Veränderung, und damit kann ich sehr gut umgehen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasse. Ich freue mich auch auf die WM und darauf, vor dem Fernseher mitzufiebern. Aber ich muss da nicht dabei sein.

Es gibt auch Biathleten wie Ole Einar Björndalen, der im Alter von 43 Jahren noch im Weltcup antritt. Oder Darja Domratschewa, die drei Monate nach der Geburt ihrer Tochter wieder einstieg. Können Sie das verstehen?

Das sind natürlich unterschiedliche Herangehensweisen an den Sport und auch unterschiedliche Familienkonzepte. Aber ich kann das schon nachvollziehen. Es ist eben schön, Erfolge zu feiern. Und ich merke das ja beim Langlaufen selbst auch: In mir ist immer noch dieses Feuer! Ich habe immer noch Bock zu laufen! Ich muss mich dann immer etwas zusammenreißen, dass ich nicht zu viel Gas gebe und gemütlich laufe. Und wenn das Feuer noch nicht aus ist, dann kann ich das verstehen.

Konnten die anderen Biathleten Ihren Rücktritt mit 25 nachvollziehen?

Mit den anderen Sportlern habe ich gar nicht so sehr darüber gesprochen. Manche waren vielleicht auch froh, dass ich aufgehört hatte (lacht). Aber die Biathleten, die mir nahe standen, haben es schon bedauert. Aus der Konkurrenten-Sicht ist es bestimmt anders.

Wie haben Sie sich auf Ihr Karriereende vorbereitet?

Es war ein langer Prozess, über fast zwei Jahre. Ich bin oft in mich gegangen und habe abgewogen, ob es das Richtige für mich ist. Ich habe mit meiner Familie und meinem Mentalcoach viel darüber gesprochen und versucht, mich auf die Zeit nach der Karriere vorzubereiten. Und so habe ich auch Entscheidungen getroffen, die nicht alle verstanden haben.

Welche waren das?

Als ich mein Karriereende schon zu Beginn meiner letzten Saison angekündigt hatte, sagten viele: „Bist du wahnsinnig?“ Aber ich wollte, dass sich alle darauf einstellen können. Denn ich wusste, dass es für viele meiner Fans sehr schwer wird. Und so wurde es eine schöne Abschiedstournee. Wenn ich jedoch nach meinem letzten Wettkampf gesagt hätte: So, Leute, das war es jetzt, dann wäre es viel krasser gewesen und es wäre noch viel mehr auf mich hereingeprasselt.

2007 holt Neuner bei ihrem WM-Debüt gleich den Titel im Sprint. Insgesamt wird sie zwölfmal Weltmeisterin - Rekord.
2007 holt Neuner bei ihrem WM-Debüt gleich den Titel im Sprint. Insgesamt wird sie zwölfmal Weltmeisterin - Rekord.

© dpa

Sie standen schon während Ihrer Karriere extrem im Fokus der Öffentlichkeit. Hat Sie das auch belastet?

Auf jeden Fall. Es war manchmal wirklich schwer für mich, von allen so vereinnahmt zu werden. Besonders all die neue Aufmerksamkeit nach meinen ersten Erfolgen 2007 war krass. Ich bin als normaler Mensch zur WM nach Antholz gefahren, und als ich zurückkam, konnte ich nirgends mehr hingehen, ohne mit jemandem über Biathlon reden zu müssen. Die Leute standen bei mir im Garten, haben durch die Fenster in unser Haus geschaut und wollten irgendwie ein Foto von mir erhaschen. Mancher Fan wurde sehr aufdringlich, es gab auch Stalker.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Da ist man am Anfang verzweifelt und weiß nicht, wie man damit umgehen soll. Ich musste das alles erst lernen. In den ersten Jahren war es für mich auch schwer, dem hohen Erwartungsdruck gerecht zu werden. Aber während der letzten Jahre meiner Karriere konnte ich es dann genießen, dass es so viele Menschen gab, die mich unterstützt haben. Ich hatte gelernt, dass all das Interesse einem nicht nur Energie nehmen muss, sondern man sich daraus auch viel Energie holen kann. So waren dann auch all die Dinge drumherum positiv für mich.

Sie sind noch immer für viele Sponsoren aktiv. Hat diese Sicherheit auch geholfen, vom Biathlon zurückzutreten?

Das war nicht so entscheidend. Ich wusste gar nicht genau, wie es nach der Karriere weitergeht. Ich hatte gehofft, dass der ein oder andere Sponsor mir erhalten bleibt, aber das konnte ich ja nicht erwarten. Ich dachte mir: Es wird schon irgendwie weitergehen, und ich finde sicher wieder etwas, das mir Spaß macht. Letztendlich haben dann die meisten meiner Sponsoren gesagt, dass sie mit mir weiterarbeiten möchten. Und jetzt habe ich ja auch mehr Zeit, all dem gerecht zu werden. Ich habe in den vergangenen Jahren einfach ausprobiert, welche Angebote und Auftritte zu mir passen. Ich bin da auch sehr konsequent und achte genau darauf, was wirklich zu mir passt. Ich mache nur noch Dinge, bei denen ich mich wohlfühle.

In welcher Fernsehsendung würden Sie denn auf gar keinen Fall auftreten?

Ich würde nie ins Dschungelcamp gehen. Oder zu Promi-Tanzshows. Das sieht vielleicht nett aus, aber das bin ich nicht.

Als Biathletin haben Sie alle überstrahlt. Ihre Nachfolgerinnen waren ständig den großen Vergleichen ausgesetzt.

Das tat mir auch sehr leid für sie. Gerade in den ersten Jahren ist mein Name ja noch oft gefallen und die Frage war: Was wird jetzt aus dem deutschen Biathlon? Das war für die jungen Athletinnen sicher eine große Belastung, ständig den Vergleichen ausgesetzt zu sein. Umso toller ist es, dass sie sich relativ schnell aus den großen Fußstapfen herausgekämpft und eigene Erfolge gefeiert haben.

Was trauen Sie ihnen bei der WM zu?

Die deutsche Mannschaft ist jetzt insgesamt sehr gut aufgestellt. Bei der WM sind die Frauen und Männer sicher für einige positive Überraschungen gut. Und Laura Dahlmeier ist ja nun ein echter Überflieger. Aber all das zu schaffen, ist wirklich schwierig. Denn die Leute erwarten ja, dass es immer so weitergeht.

Laura Dahlmeier dominiert die Konkurrenz fast so wie Sie früher.

Laura mag die Vergleiche mit mir gar nicht. Mir ging es damals ähnlich, als ich ständig mit Uschi Disl verglichen wurde. Ich konnte das dann schnell abschütteln, und so ist es auch bei Laura. Sie macht ihr eigenes Ding, ist ein total reifer Mensch und sie weiß, was sie will. Sie ist da konsequent – und das finde ich sehr schön.

Das Interesse am Biathlon ist derzeit enorm groß. Die TV-Einschaltquoten sind sehr hoch. Wird das so bleiben?

Biathlon ist einfach ein unglaublich faszinierender Sport – und diese Faszination wird es nicht verlieren. Deswegen hoffe ich, dass das Interesse auch in den nächsten Jahren groß bleibt. Es hängt natürlich auch immer mit dem Erfolg der deutschen Athleten zusammen.

Ein weiterer Faktor, der sich auf die Popularität auswirken kann, ist Doping. Die Diskussionen um gedopte russische Biathleten haben die vergangenen Wochen bestimmt. Hat Biathlon ein Doping-Problem?

Das ist schwer zu sagen. Ich war schockiert über all die Dopingfälle, die nun ans Licht gekommen sind. Und eigentlich war ich immer dagegen, einen Generalverdacht auszusprechen. Denn ich habe es schon erlebt, dass die deutsche Mannschaft ohne jeglichen Grund unter Generalverdacht gestellt wurde. Das ist ganz furchtbar für einen Sportler, wenn man verdächtigt wird, obwohl man sauber ist.

In welchem Zusammenhang war das?

Das war einmal bei Martina Beck und Andrea Henkel, die in einem seltsamen Artikel erwähnt wurden. Sie waren völlig fertig, bis sie ihre Unschuld beweisen konnten. Aber die Dopingfälle, die nun aufkommen, sind absolut frustrierend. Das schreit nach Konsequenzen und danach, dass der Weltverband IBU solche Nationen ausschließen muss, um den anderen Sportlern noch einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Die Funktionäre müssen das aufklären und für einen sauberen Sport sorgen – nur so kann Biathlon weiterhin beliebt bleiben. Denn die allermeisten Biathleten sind sauber und diejenigen, die den Sport kaputt machen, müssen bestraft werden.

War die IBU gegenüber Russland lange zu lasch?

Ich weiß es nicht. Aber es gab ja auch zu meiner Zeit schon immer wieder russische Dopingfälle. Wenn es sich bewahrheitet, dass eine ganze Nation konsequent gedopt hat, dann muss man diese auch hart bestrafen.

Besonders die Biathleten haben ja die IBU dazu gedrängt, strenger vorzugehen.

Das ist ein wichtiges Signal. Es zeigt, dass vor allem die Athleten an sauberem Sport interessiert sind. Und es ist immer besser, in die Offensive zu gehen. Überhaupt sollte man sich darauf besinnen, öfter auf die Athleten zu hören. Die Sportler haben ihre eigene Stimme und müssen nicht immer nur funktionieren.

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