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Wer hat den Ball zuletzt berührt? Der Datenscout im Stadion muss blitzschnell entscheiden und seiner Wahrnehmung trauen. Aber in der Zentrale sitzen noch zwei Mitarbeiter vor dem Fernseher, die seine Ansagen bei Bedarf korrigieren. Foto: dapd

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Sport: Das Zahlenspiel

Im Fußball gibt es unzählige Statistiken. Aber wie genau kommen sie zustande? Ein Stadionbesuch mit dem Datenscout.

Berlin - Wer heute im Fernsehen ein Fußballspiel sieht, bekommt die passenden Statistiken gleich mitgeliefert. Einblendungen zeigen die Anzahl der Torschüsse oder die Laufdistanz einzelner Spieler. So lässt sich zum Beispiel auch das Zweitligaspiel Hertha BSC gegen den FSV Frankfurt Mitte Dezember in Zahlen ausdrücken: Die Berliner hatten 62 Prozent Ballbesitz, schossen 14 Mal aufs Tor und brachten 495 von 589 Pässen zum eigenen Mann. Doch wo kommen diese Statistiken eigentlich her? Von Andreas Kovacs-Buranzis zum Beispiel: Der 25-Jährige ist Datenscout.

Bei Heimspielen sitzt der Mathematikstudent auf der Pressetribüne des Olympiastadions und redet pausenlos vor sich hin. In der Hand hält er einen Zettel mit den Aufstellungen, um seinem Kopf hängt ein klobiges Headset-Mikrofon, das er an ein Telefon angeschlossen hat. Während er das Spiel kommentiert, tippt am anderen Ende der Leitung ein Kollege im bayerischen Ismaning die Daten in den Computer. Zwei weitere Mitarbeiter in der Zentrale der Impire AG schauen derweil auf die Fernsehbilder des Zweitligaspiels und ergänzen die unmittelbaren Beobachtungen. Pro Spiel werden auf diese Weise rund 3000 Daten übermittelt.

Das Geschäft mit den Statistiken boomt. Vier Unternehmen erfassen die Daten der Bundesliga, am bekanntesten sind Impire, das aus der Ran-Datenbank hervorging, und der englische Anbieter Opta Sports. Das Recht, die Zahlen als offizielle Spieldaten anzupreisen, hat Impire bis Saisonende exklusiv, im Januar 2013 entscheidet die Deutsche Fußball-Liga neu, und die Zahl der Interessenten ist höher als beim letzten Mal. Wer die Liga bei Sky verfolgt, sieht Daten von Opta und Impire, die Öffentlich-Rechtlichen sowie Sport 1 verwenden nur Impire.

Zurück im Stadion. Kovacs-Buranzis muss schnell und exakt arbeiten, darum spricht er während des Spiels in Codewörtern: „Unser Code ist wie eine Fremdsprache. Aber man wird schnell sicherer, schließlich quassele ich 90 Minuten lang durch“, sagt er. Wenn Hertha einen Angriff der Frankfurter unterbindet, klingt das im schnellen Stakkato des Scout- Sprechs so: „Konrad. Kurz hoch. Görlitz. Boden. Ndjeng.“ Pausen gibt es selten. „Tore sind gut“, sagt Kovacs-Buranzis, „da kann man mal durchatmen.“

Zu den Abnehmern der Daten gehören neben Zeitungen, TV-Sendern und Sportwettenanbietern auch die Vereine selbst. Und wer noch mehr Genauigkeit wünscht, kann eine Nachbearbeitung anfordern – das kostet extra. Anhand des Videos werden die Daten dann noch einmal kontrolliert. Borussia Dortmund leistet sich dieses Paket häufiger. Der Meister lässt auch seine Spiele im DFB-Pokal und in der Champions League statistisch durchleuchten.

Für Laufwege und Sprints ist der Scout dabei nicht zuständig, diese werden halb automatisiert mit einer speziellen Software erfasst. Alle Daten zusammen ergeben bis zu 150 Einzelstatistiken zu Teams und Spielern.

Ein immenser Berg an Informationen, aber rechtfertigt der Nutzen den Aufwand? Jos Luhukay, Trainer von Hertha BSC, schränkt ein: „Natürlich sehe ich mir die Daten an, aber ich verlasse mich vor allem auf meine eigenen Eindrücke. Ich würde nie jemanden aus der Mannschaft nehmen, nur weil seine Zweikampfstatistik schlecht war.“

Die Daten sollen genau und objektiv sein, das ist der Anspruch, aber letztlich werden auch sie nur von Menschen ermittelt. „Gar keine Fehler zu machen geht bei der Fülle der Angaben nicht“, sagt Kovacs-Buranzis. Das meiste könnten aber die Mitarbeiter korrigieren, die in der Zentrale am Fernseher sitzen.

Die DFL will die Statistiken so einheitlich wie möglich haben, daher müssen die Scouts vor ihrem ersten Einsatz die Vorgaben pauken: Als Torschuss etwa zählt jeder Versuch eines Abschlusses. Doch als im Olympiastadion Peer Kluge schießen will, aber der Ball noch am Fuß abgegrätscht wird, ist das nicht so eindeutig. Kovacs-Buranzis muss sofort entscheiden: Torschuss, sagt er. „Ich muss 90 Minuten lang konzentriert sein, wie bei einer Klausur. Vor allem darf ich nicht zögern, dann käme ich gar nicht mehr hinterher.“

Beim Spiel Hertha gegen den FSV Frankfurt sind solche Aktionen die Ausnahme, „das Spiel war übersichtlich“, sagt der Scout zufrieden. Nach dem Abpfiff vergewissert er sich beim Schiedsrichter, ob er alle Gelben und Roten Karten mitbekommen hat, dann ist sein Arbeitstag nach rund fünf Stunden beendet. Zu Hause schaut er sich häufig die Wiederholung des Spiels an, das er zuvor kommentiert hat. Und sagt dabei gar nichts.

Der Autor ist freier Mitarbeiter von Impire.

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