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Neuseeland (in Schwarz) und Südafrika sind die dominanten Rugby-Teams der letzten zwei Jahrzehnte.

© AFP/Emmanuel Dunand

Gutes Rugby, schlechtes Rugby: Die durchwachsene Bilanz der WM in Frankreich

Nach dem WM-Sieg Südafrikas herrscht hierzulande eine neue Rugby-Euphorie. Doch das Turnier in Frankreich hat nicht nur die guten Seiten der Sportart gezeigt.

Eine kontroverse Meinung hatte man von Brian O’Driscoll vielleicht nicht erwartet, als man ihn kurz vor Anpfiff des WM-Finals um seinen Tipp fragte. Der frühere Kapitän Irlands gilt als beliebte Figur im globalen Rugby, und eben nicht als Polemiker. Und tatsächlich gab er die diplomatische Antwort: „Es ist unmöglich zu sagen, wer der Favorit ist. Ich will einfach, dass das Rugby gewinnt“, sagte O’Driscoll, der als Experte im britischen ITV auftrat. 

Im Spiel selbst gewann dann tatsächlich das Rugby. Am Ende eines langen, kräftezehrenden Turniers waren zwar weder Südafrika noch Neuseeland an der Spitze ihres Könnens, doch feinstes Drama lieferten sie am Sonnabend beim 12:11-Sieg der Springboks trotzdem. Das Finale war ein regelrechter Krimi mit Platzverweisen, Tragik und einem erstaunlichen Kampf der früh in Unterzahl geratenen Neuseeländer. Eine bessere Werbung für die Spannung dieser Sportart hätte es zwischen den alten Rivalen und zwei besten Mannschaften der Welt kaum geben können. 

Doch hat das Rugby auch die WM am Ende gewonnen? Wurde dieses Turnier, dem nicht nur im Gastgeberland Frankreich mit so viel Vorfreude entgegengefiebert wurde, tatsächlich den Erwartungen gerecht?

In Deutschland zumindest kann man das schon sagen. So viel Interesse und Begeisterung hat es hierzulande gefühlt noch nie gegeben bei einer Rugby-WM. Die Sportart hat in den letzten zwei Monaten sicherlich viele neue Fans dazugewonnen, was auch an den Live-Übertragungen im Fernsehen und per Livestream lag. Die Anbieter ProSieben Maxx und ran.de zeigten nicht nur die Spiele kostenfrei, sondern haben es dank ihrer Moderatoren und Experten auch geschafft, auf dem schmalen Grat zwischen Kenner und Kuriosität zu wandern.

Ob das Turnier ein Erfolg war, hängt von der Perspektive ab

Ob dies auch jenseits der deutschen Begeisterung ein erfolgreiches Turnier war, hängt aber wohl eher von der jeweiligen subjektiven Ansicht ab. Kritikpunkte gab es schließlich bei dieser WM genug. Die Tatsache, dass die vier besten Mannschaften der Welt alle schon im Viertelfinale aufeinander trafen, hat viele geärgert. Dass Frankreich (gegen Südafrika) und Irland (gegen Neuseeland) in diesen Spitzenspielen unterlegen waren, unterstrich die Überlegenheit der südlichen Hemisphäre über die großen europäischen Nationen.

Nicht nur im Nord-Süd-Vergleich war das aber ein Problem. Auch die Hoffnungen, dass 2023 zur WM der Kleinen werden würde, haben sich am Ende nicht erfüllt. Fidschi hat mit einem furchtlosen Durchmarsch ins Viertelfinale zwar begeistert, kam aber an abgezockten Engländern nicht vorbei. Portugal schaffte es trotz historischer Erfolge nicht in die K.-o.-Phase. Eine weitere Überraschungsmannschaft hätte dem Turnier wohl auch geholfen, doch mögliche Kandidaten wie Georgien und Japan haben am Ende eher enttäuscht. 

So werden die ohnehin sehr verfestigten Strukturen und Hierarchien des internationalen Rugbys weiterhin nicht aufgemischt, was man durchaus als verpasste Chance sehen muss. Die kleinen Nationen können zwar auf viele Erfolge verweisen, aber um langfristig eine Beitrittsperspektive bei den Six Nations oder dem Rugby Championship zu haben, muss man halt auf der größten Bühne liefern. 

20
Jahre ist es her, dass weder Südafrika noch Neuseeland Weltmeister im Rugby wurden.

So spannend das Finale auch war, darf man wohl auch hinterfragen, ob ein Duell zwischen Neuseeland und Südafrika an sich wirklich ein gutes Zeichen für den Zustand des Rugbys ist. Das ist zwar ein ikonisches Duell, das es seit dem berühmten Finale von 1995 nicht mehr gegeben hat. Und trotzdem war es auch ein Kampf zwischen den Dauerweltmeistern. Zwanzig Jahre ist es mittlerweile her, dass sich eine andere Mannschaft (England) den Titel holte.

Auch neben dem Platz war die letzte Woche des Turniers nicht nur eine Werbung für die Sportart. Die Vorfreude auf das Finale wurde zum Teil auch durch den vermeintlichen Skandal um den weißen Engländer Tom Curry getrübt, der sich im Halbfinale von seinem schwarzen südafrikanischen Gegner Bongi Mbonambi „rassistisch beleidigt“ fühlte.

Die Ermittlungen des Weltverbands wurden wegen mangelnder Beweislage schnell eingestellt. Die überhitzte mediale Debatte, die Currys Vorwürfe gerade in England auslösten, war aber so oder so unerquicklich. Sie hat am Ende nur gezeigt, dass sich der alte Eliten-Sport Rugby noch schwertut, eine erwachsene Diskussion über Rassismus und Machtverhältnisse zu führen.

Insofern kann man vielleicht am Ende nur eine durchwachsene Bilanz aus diesem Turnier ziehen. In Deutschland mag diese WM für viele neue Rugby-Fans ein Wendepunkt gewesen sein. Im Allgemeinen hat es aber nicht nur die guten, sondern auch die schlechten Seiten der Sportart gezeigt.

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