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Ein Lächeln für den Sport. Evi Sachenbacher-Stehle wurde zweimal Olympiasiegerin im Langlauf. Jetzt übt sie das Schießen.

© AFP

Biathlon: Was kommt nach Magdalena Neuner?

Magdalena Neuner hat am Sonntag ihr letztes WM-Rennen absolviert, sie beendet mit 25 Jahren ihre Karriere. Doch wer kommt nach ihr? Der Biathlonsport und sein Nachwuchsproblem.

Von Katrin Schulze

Die Hoffnung könnte man beinahe übersehen, so zierlich ist sie. Gerade 162 Zentimeter groß, schlank und drahtig. Doch mit ihrer unbekümmert-frechen Attitüde sorgt sie schon dafür, dass sie trotz des kleinen Größennachteils auffällt. Meistens sprudelt es nur so aus ihrem bayrischen Goscherl. Wie am vergangenen Donnerstag, als die Hoffnung mitten hinein platze in den Trubel der Biathlon-Weltmeisterschaft. Am Rand der Veranstaltung verkündete sie, im gehobenen Sportleralter noch einmal den Beruf wechseln zu wollen und spielte sich damit in den Vordergrund. Nebenbei verdutzte sie selbst ihren Trainer, um es harmlos zu formulieren.

Die Hoffnung trägt den Namen Evi Sachenbacher-Stehle.

Aus ihr, der hauptamtlichen Langläuferin aus Reit im Winkl, soll eine Biathletin werden. „Fakt ist, dass ich ab Frühjahr die Vorbereitung auf die kommende Saison fest in der Trainingsgruppe der Biathleten vornehmen werde“, berichtet Sachenbacher-Stehle nach der aus ihrer Ankündigung resultierenden Aufregung nun auf ihrer Homepage. „Bereits in diesem Winter habe ich mehrfach mit den Biathleten trainiert.“

Die hohen Herren des Deutschen Skiverbandes (DSV) hören das nur zu gerne. Sie wünschen sich, dass noch mehr Langläuferinnen zur Waffe greifen und, wenn dabei nicht allzu viel danebengeht, doch bitteschön in den Biathlonsport wechseln. Denn da, in der deutschen Kernwintersportdisziplin, lauert ein Problem. Nach dem Karriereende von Magdalena Neuner drohen die Erfolge und mit ihnen auch die Sponsoren und Fernseheinnahmen verloren zu gehen. „Wenn kein Deutscher mehr unter den Top 10 ist, dann lässt das Interesse nach und die Personen sind weniger populär. Außenwirkung und Markenwert könnten verloren gehen“, drückt es DSV-Präsident Alfons Hörmann aus. Mit Neuner verlasse „ein Weltstar des Sports die Bühne. Im Gesamtprodukt Biathlon hinterlässt sie ein riesiges Loch.“

In Wirklichkeit war das Loch abzusehen. Kati Wilhelm, Simone Hauswald und Martina Beck verließen den Biathlonsport nach den Olympischen Spielen 2010. Als einzige aussichtsreiche Kandidatinnen Plätze übrig blieben Andrea Henkel und Magdalena Neuner. Henkel fuhr in dieser Saison einen Sieg und einen dritten Rang ein, alle anderen derzeit im Weltcup startenden Frauen sind weitgehend hinterher gelaufen. Alle, bis auf Neuner natürlich. Die Oberbayerin ist den Konkurrentinnen zig Mal davon gelaufen, sie ist Rekord-Weltmeisterin und Doppelolympiasiegerin. Fürs Geschäft ist das prima, bloß hatte im Verband niemand einkalkuliert, dass die junge Frau schon mit 25 aufhören möchte, weil sie alles erreicht und vom Rummel lange genug hat.

Neuner ist niemand, der läuft und läuft und läuft. Und schon gar nicht lässt sie sich vom Verband herumschubsen – nicht nach alldem, was sie für ihn getan hat. „Wenn Magdalena eine Sache macht, dann zu einhundert Prozent“, sagt ihr Heim-Trainer Bernhard Kröll. „Wenn sie den Sport nicht mehr zu einhundert Prozent will, dann macht sie es nicht mehr.“

Jetzt sind die Langläuferinnen gefragt

Ein bisschen spät haben das auch die Verantwortlichen begriffen. Im Genuss der großen Erfolge und des Hypes um den Sport in Deutschland haben sie es verschlafen, im riesigen Schatten von Neuner talentierten Nachwuchs heranzuführen. Jetzt sagt Thomas Pfüller, der Sportdirektor des DSV: „Früher hatten wir Zeiten, wo vier auf das Podest laufen konnten und eine durchkam. Da wurden die Maßstäbe im Nachwuchs nicht mehr ganz so hoch angesetzt. Das holt uns jetzt ein“. Im Prinzip hat die Zukunft den Verband und die Biathleten jetzt schon eingeholt. Schwer vorstellbar, wie es gelingen soll, bis zur nächsten Saison eine schlag- und schusskräftige Athletin in die Spur zu zaubern.

Dabei geht es nicht darum, eine zweite Neuner zu züchten, so ein Ausnahmetalent gibt es laut Kröll ohnehin nur alle „10, 20 Jahre vielleicht einmal“. Die Biathleten suchen eher jemanden, der wenigstens die Chance besitzt, regelmäßig unter die ersten Drei zu kommen. Schaut man sich im Nachwuchs um, dann könnte das irgendwann vielleicht einmal Franziska Preuß sein, die kürzlich bei den Olympischen Jugend-Winterspielen drei Goldmedaillen gewann, sich mit ihren 17 Jahren aber auch maximal mittelfristig für Siege im Weltcup anbietet. Ansonsten ist so recht niemand in Sicht, auch nicht ein anderes Mädchen namens Neuner – Anna Neuner, 18, wurde nicht mit dem gleichen Talent bedacht wie ihre Schwester Magdalena.

Wieso sonst wohl ist der DSV auf die krude Idee mit der Umschulung gekommen? Anfang Januar trug es sich zu, dass Sportdirektor Pfüller erstmals mit dem Vorschlag lospolterte, die deutschen Langläuferinnen zum Biathlon zu schicken. „Denn mit Biathlon erwirtschaften wir unser Geld und nicht mit Langlauf“, sagte er damals. Der DSV ist tatsächlich ein Stück weit abhängig geworden vom lange Zeit erfolgsgarantierenden Biathlon.

Der Sport lebt von deutschen Sponsoren, die wiederum nur wegen der deutschen Erfolge gekommen sind. Keine andere Sportart des Winters wird so ausgiebig mit Werbepartnern und Fernsehzeit ausgestattet wie Biathlon. Und weil sonst nirgendwo so viel Ruhm und Reichtum zu ernten ist, eröffnet sich auch für die Athletinnen eine reizvolle Perspektive.

Die ersten Langläuferinnen wie Hanna Kolb und Denise Hermann werden deshalb nun im April erstmals zur Schießschule mit Biathlon-Bundestrainer Ricco Groß gebeten; alles auf freiwilliger Basis. Wer sich dabei so gut anstellt wie Kati Wilhelm, die es einst noch ohne Druck des DSV vom Langlauf zum Biathlon schaffte, wird in der nächsten Saison mit dem Gewehr auf dem Rücken im Weltcup starten. Soweit der Plan, von dem sie im Umkreis der Langläufer herzlich wenig halten. Als Aktionismus und Konzeptlosigkeit wird die Abwerbeaktion gewertet. Bundestrainer Jochen Behle findet bezüglich seiner einstigen Vorzeigeathletin, der zweimaligen Olympiasiegerin Evi-Sachenbacher-Stehle, sogar noch deutlichere Worte: „Weihnachten ist halt nur am 24. Dezember. Ich halte das für ein bisschen realitätsfremd.“

Tatsächlich hätte weder Jochen Behle noch sonst irgendjemand damit gerechnet, dass Evi Sachenbacher-Stehle jetzt die Erste ist, die dem Lockruf des Skiverbands und der Biathleten folgt. Dass sie sich als Erste an die an die Waffe begibt, um das Nachwuchsproblem in des deutschen Lieblingswintersports zu lösen.

Evi Sachenbacher-Stehle ist sechs Jahre älter als Magdalena Neuner.

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