zum Hauptinhalt
Mira Jeanne Maack bereitet sich derzeit auf die Paralympics in Paris im Sommer vor.

© imago images/camera4+/Tilo Wiedensohler

Zwischen Olympiatraum und Konkurrenzkampf: So ist das Leben auf der größten Elite-Sportschule

Auf dem Gelände des Sportforums befindet sich das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin. Wer dort zur Schule geht, hat meist einen großen Traum: Olympia. Ein Ortsbesuch.

Um 5 Uhr morgens beginnt Mira Jeanne Maacks Tag. Frühstück, eine Stunde Fahrtweg, dann ab ins Schwimmbecken. Um 9:50 Uhr geht es in den Unterricht, nach Schulschluss um 15:30 Uhr zurück zum Training. Danach fährt sie nach Hause, isst und geht so früh wie möglich ins Bett. Für viel mehr bleibt an so einem Tag keine Zeit.

Es ist kein gewöhnliches Leben, für das sich die 20-jährige Para-Schwimmerin entschieden hat. Während Gleichaltrige sich mit Freunden treffen, zieht Mira Jeanne Maack ihre Bahnen im Schwimmbecken. Während der Schulferien ist sie meistens im Trainingslager, steckt in den Vorbereitungen für Weltmeisterschaften oder Olympia. Maack ist Leistungssportlerin. Seit der sechsten Klasse besucht sie das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin (SLZB) – die älteste und größte deutsche Eliteschule des Sports.

Mitten auf dem Gelände des Sportforums Hohenschönhausen, der einstigen Olympia-Kaderschmiede zu DDR-Zeiten, verbirgt sich das Schulgebäude des SLZB. Umhüllt von drei Eissporthallen, zwei Turnhallen, einem Fußballstadion und weiteren Hallen und Freianlagen. Es ist kaum zu übersehen: Hier steht der Sport im Vordergrund.

Sportikonen Robert Harting und Jenny Wolf sind auf dem Boden der Schule verewigt

„Alle Schüler hier träumen von Olympia“, sagt Philipp Struwe, Lehrer und ehemaliger Schüler am SLZB. Beim Betreten der Schule ist das unschwer zu erkennen. Trophäen, Urkunden und Auszeichnungen hängen direkt neben dem Stundenplan. Auf dem Schulboden verewigt sind die Namen großer deutscher Sportler. Etwa von Diskuswerfer Robert Harting oder Eisschnellläuferin Jenny Wolf, die einst hier zur Schule gingen.

Die rund 1200 Schüler des SLZB haben sich für eine besondere Schullaufbahn entschieden. „Sie durchlaufen eine duale Karriere aus Schule und Leistungssport, haben teilweise 60-Stunden-Wochen“, sagt Struwe. Spätestens ab dem 14. Lebensjahr trainieren sie täglich, am Wochenende stehen Wettkämpfe an. Wenn nicht, wird meistens auch dann trainiert. Das SLZB ist eine Ganztagsschule, die Schüler sind somit einer doppelten Belastung ausgesetzt.

1200
Schülerinnen und Schüler besuchen in etwa das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin (SLZB).

„Teilweise kann das eine Menge Stress sein“, sagt Maack, „ich habe die ganze Zeit meinen Sport und muss gleichzeitig noch meinen Schulstoff schaffen.“ Zwar haben die Schüler auf der Sportschule weniger Hausaufgaben, kleinere Klassen und teilweise auch die Möglichkeit zu Einzelunterricht. Aber trotzdem ist der Druck groß.

„Um die duale Karriere der Schüler zu unterstützen, gibt es verschiedene Förderprogramme und Hilfsmittel“, sagt Struwe. Eine große Unterstützung bietet zum Beispiel die Möglichkeit, die Schulzeit zu strecken. Das tut auch Para-Schwimmerin Mira Maack. „Eigentlich würde ich in diesem Jahr mein Abitur machen“, erzählt die 20-Jährige, „aber da ich im Sommer bei den Paralympischen Spielen in Paris antrete, habe ich mich dazu entschlossen, mein Abi noch mal zu strecken.“ Insgesamt somit auf vier Jahre.

Mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten, wie die Schüler auch vom Trainingslager aus Hausaufgaben und Klausuren schreiben können, mit Online-Unterricht oder mit Hilfe der Trainer, welche die Klausuren zugeschickt bekommen. „Wichtig ist, viel in Kommunikation mit den Lehrern zu sein“, sagt Maack.

Ein „besonderes sportliches Talent“ muss bescheinigt werden

Doch nicht jeder hat das Zeug, das es braucht, um auf eine Elite-Sportschule zu gehen. Die Aufnahme am SLZB zum Beispiel erfolgt nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Infrage kommen die Schüler und Schülerinnen, die von einem Landestrainer ein „besonderes sportliches Talent“ bescheinigt bekommen. „Dafür gibt es spezielle Sichtungswettkämpfe“, sagt Struwe, „dabei wird nicht nur auf die sportliche Leistung, sondern auch auf das Umfeld des Athleten geachtet. Wenn die Eltern eines potenziellen Volleyballers nur 1,70 Meter groß sind, sieht es zum Beispiel eher schlecht aus.“ Ansonsten sind auch die Schulnoten und eine sportärztliche Untersuchung für die Bewerbung entscheidend.

Einmal auf der Schule, entscheiden jedoch nicht nur die Noten darüber, ob ein Schüler im neuen Schuljahr auf dem SLZB bleiben darf. Bestimmte Normen und Leistungen, variierend je nach Sportart, sind vom Landessportbund Berlin vorgegeben. „Wenn die sportlichen Leistungen über einen längeren Zeitraum nicht stimmen, entscheidet der Sport, dass man die Schule verlassen muss – so läuft das im Leistungssport“, sagt Struwe. Eine Ausnahme seien verletzte Sportler.

So läuft das im Leistungssport.

Philip Struwe, Lehrer und ehemaliger Schüler am SLZB

Dementsprechend groß ist der Druck, dem die Sportler ausgesetzt sind. Mitschüler sind Freund und Konkurrent zugleich, das kann eine große Herausforderung für eine Freundschaft sein, sagt auch Maack. „Man ist in einem dauerhaften Vergleich. Das kann Freundschaften manchmal schwierig machen.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Sportlerinnen und Sportlern habe Maack jedoch Glück, sagt sie. „Es gibt weniger Para-Sportler auf der Schule, mit denen ich mich direkt vergleichen kann.“

Auch Eisschnellläuferin Neele Göpelt spürt den Druck, der mit dem Leistungssport einhergeht. „Man hat immer im Hinterkopf, dass nur die wenigsten ganz oben ankommen“, sagt die 15-Jährige. Ihr ist es wichtig, auch andere Berufsoptionen in Betracht zu ziehen: „Ich hatte immer den Traum, Lehrerin zu werden.“ Viele ehemalige Schüler und Schülerinnen gehen aufgrund der Spitzensport-Förderungsprogramme auch zur Polizei oder zur Bundeswehr.

„Wenn man sich für den Leistungssport entscheidet, muss man sich bewusst sein, worauf man sich einlässt“, sagt Göpelt. Ein langer Alltag, wenig Zeit für Freunde, Trainingslager anstelle von Urlaub und Schulferien, das Sozialleben eingeschränkt auf die Menschen, die man aus der Sportschule kennt. Dafür braucht es eine Menge Ausdauerfähigkeit.

Physisch wie auch psychisch kann es eine ganz schöne Herausforderung sein, so einen Alltag zu bewältigen. Gerade deswegen sei mentale Unterstützung das A und O, sagt Lehrer Struwe. „Wir haben einen Sportpsychologen an der Schule, der regen Zulauf hat. Zu ihm können Schüler mit schulischen, aber auch sportlichen Problemen kommen, ob es Leistungsdruck im Sport oder Prüfungsängste sind.“

„Klar“, sagt Mira Jeanne Maack, „manchmal würde ich auch gerne mehr Freizeit haben, mich mehr mit Freunden treffen. Ich führe ein anderes Leben als die meisten in meinem Alter. Aber gerade das macht es besonders.“ Der Sport, das viele Reisen und die Selbstständigkeit, die sich Maack wegen des Leistungssports bereits im frühen Alter aneignen musste – das sind die Dinge, die sie an diesem Leben schätzt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false