zum Hauptinhalt
Integration

© Thilo Rückeis

Storkow: Monokulti in der Mark

Dem Integrationsprojekt „Friedensdorf Storkow“ gehen die Ausländer aus. Zum Bedauern der Anwohner.

Plötzlich ertönt lautstark eine kernige Frauenstimme: „Gehen Sie mal sofort von meinem Rasen runter!“ Eine Botschaft wie der Hieb einer Bärentatze. Hannelore Welder war mal Grundschullehrerin. Jetzt wacht sie, tief versunken in ihrem Polstersessel, über die Außenanlagen des „Friedensdorfes“. Dabei ist die betagte Dame gar nicht so kratzbürstig, wie ihre Stimme vermuten lässt. Über das Leben und die Menschen hier weiß sie nur Gutes zu erzählen. „Die helfen alle.“

Das Friedensdorf Storkow ist eine Siedlung aus kleinwüchsigen Reihenhäusern, die sich um eine große Grünanlage gruppieren. Jedes Haus sieht anders aus, die Freifläche geht ohne Zaunhindernisse vom Ziergarten der Familie Welder in eine Rennstrecke für Bobbycars über, auch ein Volleyballfeld und ein Bolzplatz befinden sich hier zwischen den Gärten. Die alternative Wohngemeinschaft für 80 Menschen wurde 1993 gegründet, um das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in einer modellhaften Siedlung zu praktizieren. Ostdeutschland erlebte damals eine Welle rechter Gewalt gegen Asylbewerber. Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck gehörte zu den Initiatoren, die Robert-Bosch-Stiftung gab Geld, Ministerpräsident Manfred Stolpe übernahm die Schirmherrschaft.

14 Jahre danach gibt es das Friedensdorf immer noch, alle Wohnungen sind vermietet, allerdings vorwiegend an Einheimische. Das Multikulti-Projekt leidet unter akutem Ausländermangel. Der Trägerverein des Friedensdorfes hat den Gründungspassus, dass mindestens 40 Prozent der Bewohner Ausländer sein müssen, aus den Statuten gestrichen.

Erst gingen die bosnischen Nachbarn, bei denen Frau Welder öfter eingeladen war. Sie wurden in ihr Heimatland zurückgeschickt. Dann zogen die beiden vietnamesischen Familien aus, weil es zwischen ihnen zu einem blutigen Eifersuchtsdrama gekommen war. Die kolumbianischen Asylbewerber wurden abgelehnt und versuchten ihr Glück in Spanien. „Es ist eine Schande, wie die Regierung mit den Ausländern umgeht“, empört sich Frau Welder.

Friedensdorf-Sozialarbeiterin Ute Ulrich tröstet sich mit dem „Drei-SäulenModell“, auf dem das Projekt basiere. Eine steht für das Zusammenleben von Behinderten und Nichtbehinderten, die zweite für das von Alten und Jungen und die dritte eben für Deutsche und Ausländer. Die dritte Säule sei zwar angeknackst, aber nicht völlig weggebrochen. Jedes Jahr gibt es ein internationales Workcamp für Jugendliche. Wenn an der Storkower Europa-Gesamtschule globale Fragen behandelt werden, lädt das Friedensdorf die Schüler ein. Dann erzählt ihnen Alvaro, Oberhaupt der letzten kolumbianischen Familie im Dorf, von der Diktatur in seiner Heimat.

Alvaro, ein hagerer Heilpädagoge, beteuert, dass alle „sehr nett“ zu ihm seien. Wenn er krank sei, fahre ihn jemand zum Arzt. Wenn er eine Bewerbung schreibe, brauche er nur zwei Häuser weiter zu klingeln, schon werde Korrektur gelesen. Inzwischen werde er auch außerhalb des Friedensdorfes gegrüßt. Unangenehme Begegnungen mit rechten Wegelagerern? Negativ. Vor kurzem hat die NPD einen Ortsverband in Storkow gegründet. „Das sind hier acht Leute, vier davon kenne ich“, erklärt Frau Ulrich ganz ruhig. Die Rechten würden sehr zurückhaltend agieren, nicht mehr so aggressiv wie in den 90er Jahren. Drei Gründe, warum Ausländer das Friedensdorf meiden, hat Ute Ulrich ausfindig gemacht: die schlechte Verkehrsanbindung, das Fehlen einer Community mit Landsleuten und Ethno-Kneipen und die wenigen Jobs. Die Storkower Möbelfabrik Viva hat gerade Insolvenz angemeldet.

Johann-Christoph Tiedeke ist einer der wenigen, die seit Gründung des Dorfes hier wohnen. Er sagt: „Storkow ist der einzige Ort in der Mark, der sich am eigenen Schopf aus dem rechten Sumpf herausgezogen hat.“ Anfang der 90er Jahre hatten Neonazis beschlossen, das örtliche Asylbewerberheim anzuzünden. Die Information sickerte durch, erst rückte die Polizei an, später kamen politisch engagierte Bürger, um die Heimbewohner zu schützen. Tiedeke machte auch mit, er war damals der Ortspfarrer.

Als bosnische und deutsche Jugendliche zusammen am Friedensdorf bauten, gab es noch mal Rangeleien mit rechten Störern, seitdem ist Ruhe, sagt Tiedeke. Nährboden gebe es in Storkow kaum. Sein Lackmustest für Toleranz sind die ausländischen Schüler, die in Storkow auf die „Europa-Schule“ gehen, Polen, Chinesen, Afrikaner. „Die sind alle in Gastfamilien untergebracht. In anderen Städten Brandenburgs suchen sie solche Familien vergeblich“, behauptet er.

Drei kleine Mädchen fahren ihre Puppen an diesem Tag spazieren, ein paar Jungs sitzen am Bolzplatztor und quatschen. Der Kinderanteil im Friedensdorf ist überdurchschnittlich, ebenso die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, die sich ein Reihenhäuschen im Grünen zu marktüblichen Preisen nicht leisten könnten.

Hannelore Welder fühlt sich immer noch gut aufgehoben im Friedensdorf, auch ohne Ausländer, aber mit ihnen war es reizvoller. Die Bosnier, Vietnamesen und Kosovaren haben öffentlich gelebt, vor dem Haus gesessen, zusammen gegrillt und ihre Kinder später ins Haus geholt. Die Deutschen sitzen in ihren Wohnzimmern und lesen ein Buch. Es ist eine schöne, ruhige Idylle. Vielleicht ist sie aber auch ein bisschen sehr ruhig.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false