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Da liegt einiges vor ihm. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

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Energiewende: Sein nächster Dreh

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD): Am Erfolg der Energiewende hängt alles. Auch für ihn. Wie er sein Ressort umbaut und schlagkräftiger macht. Und gegen wen er sich dabei durchsetzen muss.

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Die Ansage war an Deutlichkeit nicht zu überbieten: Vor „wichtigen Aufgaben“ und „neuen Herausforderungen“, stehe das Ministerium, teilte Sigmar Gabriel  seinen Mitarbeitern vergangene Woche in einem Brief mit. Mehr als 100 neue Mitarbeiter aus dem Umweltministerium würden das Haus demnächst verstärken und weitere 25 aus dem Verkehrsministerium. Einzige Aufgabe: die Energiewende.

Seit der Minister für Wirtschaft und Energie im Januar seine Pläne für die Reform der Fördersysteme für Wind-, Solar- und Biomassenstrom vorgestellt hat, tobt hinter den Kulissen ein Kampf der Interessen, wie es ihn in der Geschichte der deutschen Wirtschaft selten gegeben hat. Es geht um Marktanteile, um Milliarden und um die Zukunft des Industrielandes Deutschland.

Sigmar Gabriel weiß das sehr genau. Den ersten Feldzug hin zum deutschen Ökostromland hat Gabriel clever eingefädelt. Anfang Januar trafen sich die Energiestrategen seines und des Umweltministeriums. Unter dem neuen Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) wurde die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vorbereitet. Zwei Tage Intensivklausur, zwischendurch Abstimmung mit der Kanzlerin und vor allem: Blockierer wurden ausgeschaltet. Die Industrieabteilung des Wirtschaftsministeriums war nicht eingeladen. Detlev Dauke, bis dato Energie-Abteilungsleiter, wurde abgesetzt, obwohl noch kein Nachfolger in Sicht ist. Dauke, einst Intimus von CSU- Mann Michael Glos, fiel in der Vergangenheit mit Argumentationspapieren zur Verlängerung der Atom-Laufzeiten auf. Jetzt hat ihn Gabriel in die Abteilung VI versetzt: IT- und Kommunikationspolitik. Als das „Eckpunktepapier“ vier Tage vor dem Kabinettsbeschluss in Meseberg bekannt wurde, war klar: Die Überrumpelungsstrategie war aufgegangen, partiell zumindest. Die Industrieverbände waren überrascht, der BDI brauchte tagelang zum Sortieren, überrumpelt stolperten die Lobbyisten von Lob bis hin zu erster Kritik.

Wessen Interessen vertritt Gabriel?

Jetzt aber muss Gabriel die Stellungen auch halten und sein Gesetz durch Bundestag und Bundesrat bringen. Mittlerweile haben alle Seiten sein Konzept studiert und ausgerechnet, was es sie selbst kosten wird. Die Ökostromanbieter, die weniger Geld bekommen, die Industrieunternehmer, die mehr bezahlen sollen und vor allem die Landespolitiker, deren Wähler das alles sind. Und nicht zu vergessen: Die Bundestagsabgeordneten, die auch um ihr Geld und ihre Stimmen fürchten. Denn, so berichtet einer aus der Union, der auf Gabriels Seite steht, hinter vorgehaltener Hand: Beinahe jeder Abgeordnete ist irgendwie mit dem Ökoboom verflochten. Entweder hat er selbst Windräder oder Fondsanteile, profitiert von Aufträgen der Branche oder wird massiv von den betroffenen Unternehmen in seinem Wahlkreis unter Druck gesetzt. „Eigentlich“, sagt der Mann, „müsste die Hälfte des Bundestages der Abstimmung wegen persönlicher Betroffenheit fernbleiben.“

Auch aus Brüssel droht Gabriel Ungemach. Einer, der seit langem in Berlin im Verdacht steht, die Interessen der Energiekonzerne zu vertreten, ist EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU). Seit seinem Amtsantritt hat er keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Atomenergie für den richtigen Weg aus der Klimakrise hält. Immer wieder hat er versucht, Atomkraftwerke durch eine Brüsseler Hintertür in die Vergütungssysteme der Erneuerbaren zu zwingen – und scheiterte regelmäßig am deutschen Widerstand. Parallel dazu verfolgt er eine Strategie, die nationalen Fördersysteme für erneuerbare Energien zu zerschlagen.

Druck aus Brüssel

Zusätzlich Druck auf die Bundesregierung hat die Eröffnung des Vertragsverletzungsverfahrens wegen der Industrieausnahmen im EEG durch Oettingers Kollegen, Industriekommissar Joaquin Almunia, ausgelöst. Gelingt es Gabriel nicht, seine Reform bis zum Sommer europarechtskonform durchzubringen, darf die zuständige Bundesbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), für 2015 gar keine Industrieausnahmen von der EEG-Umlage mehr genehmigen. Für die betroffenen energieintensiven Unternehmen wäre das der Super-GAU. Und für Sigmar Gabriel auch.

Deshalb hat Gabriel eine Taskforce zur Abwehr der Angriffe aus Brüssel gebildet. „Schlagkraft und Reaktionsmöglichkeiten“, heißt es in einer Hausverfügung Gabriels, sollen für die Bundesregierung unter Führung des Referatsleiters Sven Kaiser erhöht werden. „Hierzu strafft die Task Force die Abstimmungsprozesse zwischen den Ressorts zu allen relevanten Dokumenten.“ Der Sonderstab setzt sich aus Beamten des Wirtschafts- und Umweltministeriums sowie des Kanzleramts zusammen. Die Mitarbeiter des Umweltministeriums und selbst der Taskforce-Beauftragte des Kanzleramtes, Christian Konow, müssen sich Gabriels Haus unterordnen.

Schließlich hängt für Gabriel vom Gelingen der Operation auch ab, ob er politisch überlebt, weil er seine Wähler weiterhin vor allem in der Industriearbeiterschaft sieht. Warum sonst hätte er sich mit Yasmin Fahimi eine ehemalige Funktionärin der IG Bergbau, Chemie, Energie als Generalssekretärin in die Parteizentrale der SPD geholt? Fahimi ist übrigens die Lebensgefährtin des IG BCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis.

Kein Tag vergeht, an dem sich Gabriel nicht mit Beteiligten an der EEG-Reform trifft. Manchmal, wie an diesem Dienstag, sogar bis tief in die Nacht. Nachdem er zum Abendessen vor deutschen Mittelständlern spricht, muss er ab viertel vor zehn noch Ökostromer überzeugen.

Dieser Text erschien in der neuen Beilage "Agenda" des Tagesspiegels. Die "Agenda" erscheint jeden Dienstag in Sitzungswochen des Deutschen Bundestages in der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegels sowie im E-Paper und liefert politischen Hintergrund aus dem Innenleben der Macht. Ausgewählte Texte lesen Sie auch hier.

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