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Brandenburg: Der Junker und der Kommunist

Eine ungewöhnliche politische Freundschaft: Carl-Hans Graf von Hardenberg und der Arbeiter Fritz Perlitz bekämpften sich in den 30er Jahren in Neuhardenberg. 1944 trafen sie sich im Konzentrationslager wieder.

BRANDENBURG

Die Häscher kamen aus dem nahen Berlin und kannten sich aus. Als drei Beamte der Gestapo am Abend des 24. Juli 1944 in Neuhardenberg eintrafen, führte sie ihr Weg direkt in das Schinkel-Schloss. Dort saß, fünf Tage nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, die Familie Hardenberg bei ihrem letzten gemeinsamen Abendessen. Die Beamten wandten sich an den groß gewachsenen Mann mit lose herabhängendem Arm. „Sind Sie Graf Hardenberg-Neuhardenberg?“ „Ja.“ „Dann sind wir gezwungen, Sie zu verhaften.“ An das, was danach geschah, erinnerte sich der Graf anderthalb Jahre später: „Ich erwiderte, dass ich zu ihrer Verfügung stände und mich nur von meiner Frau verabschieden wollte. Dann ging ich in den Gartensaal, umarmte meine tapfere Frau und betrat, gefolgt von einem Beamten, die Bibliothek. Meinen Revolver hatte ich seit Jahren immer schussbereit bei mir. Ich wusste, dass alles darauf ankam, schnell zu handeln. Ich schoss mich zweimal hintereinander in die Brust.

Szenen wie diese haben sich nach dem 20. Juli 1944 an verschiedenen Orten in Deutschland abgespielt. Verschwörer, die sich am Attentat auf Hitler beteiligt hatten, versuchten, sich ihrer Verhaftung durch Selbstmord zu entziehen.

Durch eine Reihe von Zufällen überlebte der 1891 geborene Carl-Hans Graf von Hardenberg den Selbstmordversuch. Schwer verletzt wurde er ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Dort traf er auf einen alten Widersacher: auf den Arbeiter und Kommunisten Fritz Perlitz. Und das Unvorstellbare geschieht: die beiden werden Freunde, über die Klassenunterschiede und ideologischen Barrieren hinweg.

Graf Hardenberg und Fritz Perlitz waren sich 1931 zum ersten Mal begegnet: Perlitz hatte als kommunistischer Agitator aus dem benachbarten Fürstenwalde einen Landarbeiterstreik organisiert, der sich gegen Hardenbergs Beschluss richtete, Brandenburgs Landarbeitern keine Sozialabgaben mehr zu zahlen. Fritz Perlitz erinnerte sich 1966: „Hardenberg forderte Polizei und Gendarmerie an. 31 Landarbeiterfamilien wurden brotlos und verloren ihre Wohnungen.“

Die Ideale der beiden Männer sind zu dieser Zeit diametral entgegengesetzt: Während Perlitz für den Kommunismus und das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen kämpft, ist Hardenberg als preußischer Protestant und Offizier jenem traditionellen Staatsideal verpflichtet, das sein Vorfahre, der Staatskanzler und Reformator Hardenberg, einst mit begründete. Und als größter Grundbesitzer Brandenburgs verteidigt er handfeste wirtschaftliche Interessen.

Als sich die beiden in Sachsenhausen wiedertreffen, sitzt Fritz Perlitz als Spanienkämpfer und Antifaschist ein. Er soll im Auftrag der illegalen kommunistischen Lagerleitung den Grafen „umdrehen“ und für die Sache der Kommunisten gewinnen. Doch aus der unfreiwilligen Kooperation wird eine Männerfreundschaft auf Leidenszeit. Perlitz pflegt den schwerkranken Bettnachbar Hardenberg und rettet wiederholt sein Leben. Die eigene Todesgefahr stets vor Augen, diskutieren die beiden Männer Deutschlands Zukunft für die Zeit nach Hitler. Sie schmieden eine Allianz aus Konservativen und Kommunisten, die im deutschen Widerstand in dieser Form wohl einmalig war.

Zunächst überdauert diese Freundschaft auch das Ende der Hitler-Diktatur. Hardenberg und Perlitz überleben das Konzentrationslager. Allerdings haben sich die Machtverhältnisse umgekehrt: Perlitz ist seit 1946 SED-Kreissekretär und damit der neue Herr über Neuhardenberg und das Schinkel-Schloss. Hardenberg, der nach seiner Enteignung im selben Jahr in Westdeutschland lebt, nimmt es hin und vertraut ihm.

Doch 1949 begeht Perlitz einen Verrat im Namen des Proletariats: Er lässt Neuhardenberg in Marxwalde umbenennen.

Für Hardenberg ist die Tilgung seines Namens ein weiterer Schicksalsschlag. Er zieht sich in den Kreis der Familie zurück. 1958 stirbt er. Sein Wunsch, in Neuhardenberg beerdigt zu werden, lehnt der Marxwalder Bürgermeister Karl Linse mit der Begründung ab: „Wir haben die Junker und Großgrundbesitzer davongejagt und wollen weder sie noch ihre Asche wiederhaben.“

Perlitz und der Graf haben sich nach der Enteignung nicht wiedergesehen. Junker und Kommunist wurden wieder, was sie von Anfang an gewesen waren – ein ideologisches Gegensatzpaar.

Fritz Perlitz gilt nach dem Krieg in der DDR einige Jahre als Vorzeigemann. Schulen und Straßen werden nach ihm benannt. Aber politisch hat er seit den 50er Jahren immer weniger zu sagen. Eine neue Generation von Genossen bestimmt die Geschicke der DDR. 1972 stirbt er hoch geehrt in Potsdam.

1989 wendet sich das Blatt erneut. Während Perlitz durch die Demontage der DDR posthum aller Würden beraubt wird und sein Andenken verblasst, wird die Lebensleistung des preußischen Widerständlers Hardenberg in der Bundesrepublik immer häufiger gewürdigt.

Mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod geht auch Hardenbergs letzter Wunsch in Erfüllung: Zum hundertsten Geburtstag 1991 wird seine Urne nach Marxwalde überführt, das gleichzeitig in Neuhardenberg zurückbenannt wird.

Heute Nachmittag, um 14 Uhr, hat auf Schloss Neuhardenberg der Dokumentarfilm „Der Junker & der Kommunist“ von Ilona Ziok und Thymian Bussemer Premiere. Weitere Aufführung am Sonntag, 20. Juli, 17 Uhr, Schloss Neuhardenberg. Eintritt sechs Euro, ermäßigt 4, 50 Euro.

Thymian Bussemer

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