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Brandenburg: „Die PDS ist müde geworden“

Fraktionschef Lothar Bisky über die Gysi-Delle, die Opposition in Potsdam, einen schwer angreifbaren Kanzler und Stoiber als Hoffnungsträger

Der Einzug der PDS in den Bundestag ist ungewiss. Die PDS könnte an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wo sehen Sie die Ursachen für das Stimmungstief, in dem sich die PDS befindet?

Sie liegen zum Teil außerhalb der PDS: Die Medien spitzen den Wahlkampf auf SPD und Union, auf deren Spitzenkandidaten zu. Grüne, FDP, aber auch die PDS sind im Wahlkampf nur Anhängsel, die Garnitur. Die Flutkatastrophe hat Schröder zusätzlichen Aufwind gebracht. Es gibt aber Ursachen, die bei der PDS selbst liegen.

Welche sind das?

Die PDS hat es nicht verstanden, das Ost-Thema so zu präzisieren, dass es im Wahlkampf eine Rolle spielt. So kommt es, dass die PDS im Osten – in ihrer ureigenen Domäne – plötzlich nachlässt. Das ist ein Drama.

War die PDS zu sicher, was ihre Wählerklientel in Ostdeutschland angeht?

Sie war zu unsicher, die richtigen Profile zur richtigen Zeit zu präsentieren. Ich sage das nicht besserwisserisch. Aber die PDS hätte zwei, drei eigene Themen zuspitzen können. Jetzt haben wir die Situation, dass Gerhard Schröder plötzlich das Kriegs-Thema für sich besetzt und nach links schwenkt. Und dass die Ostthemen mit Manfred Stolpe und Lothar Späth ironischerweise mit zwei Persönlichkeiten besetzt sind, bei denen man zweifeln kann, ob sie für Ostinteressen stehen. Und wo es auch in der PDS heimlichen Respekt für sie gibt, obwohl beide immer eine westgefilterte Ostdeutschland-Politik betrieben haben. Das macht es für die PDS schwer.

Kann sie das Steuer noch herumreißen?

Ja, aber wir müssen uns anstrengen. Nach einer Umfrage meinen immerhin 31 Prozent der Westdeutschen und 65 Prozent der Ostdeutschen, dass die PDS in den Bundestag gehört. Wir müssen in den wenigen Tagen, die noch bleiben, deutlich machen: Wenn wir draußen sind, werden die Ostthemen nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Hat sich die PDS nicht früh genug auf das Duell Schröder-Stoiber eingestellt?

Das schon. Aber Schröder ist für die PDS auch schwerer angreifbar als früher, weil er jetzt den Frieden und das Linke, die soziale Gerechtigkeit entdeckt hat – das Gegenteil seiner bisherigen praktischen Politik. Die PDS hat nicht rechtzeitig eine Gegenstrategie entwickelt. Jetzt ist es zu spät. Der Osten findet im Wahlkampf faktisch nicht statt, nicht einmal bei den Fernsehduellen.

Manche meinen, dass man Schröder wählen sollte, um Stoiber zu verhindern?

Das sind typische Konstellationsdebatten. Ich halte sie in Wahlkämpfen für zweitrangig. Ich neige auch zu der Meinung, dass das rot-grüne Projekt fortgesetzt werden sollte. Aber das ist nicht wahlentscheidend. Wahlentscheidend ist, ob die Menschen im Osten glauben, dass die Ostthemen nur durch den Druck der PDS im Bundestag erfolgreich verhandelt werden können oder nicht.

Hat der Rücktritt Gregor Gysis als Berliner Wirtschaftssenator der PDS geschadet?

Er hat unbestritten zu einer „Gysi-Delle“ in der Wählergunst der Partei geführt, die schwer auszugleichen ist. Aber man kann nicht alles auf Gregor Gysi schieben. Die PDS hat es nicht geschafft, ihr Niveau bundesweit zu halten. Wir lagen in Umfragen einmal bei acht Prozent.

Auch Brandenburgs PDS ist derzeit von ihrem Wahlziel für die Bundestagswahl weit entfernt. Sie will 25 Prozent der Stimmen erreichen, dümpelt aber bei 17 Prozent. Was ist der Grund für die Schwächephase?

Die hängt mit der Situation der Gesamtpartei zusammen. Wir haben das bundespolitische Profil nicht deutlich machen können. Der Absturz darf nicht schöngeredet werden. Wir liegen erstmals in der Geschichte der PDS Brandenburg nach den Prognosen hinter den Umfragen für Landtagswahlen zurück. Das heißt, dass wir in Brandenburg mehr als ein Stück Mobiliar der Landespolitik gelten, denn als ein notwendiges Korrektiv im Bund. Ich hoffe, dass wir im Endspurt noch auf über 20 Prozent kommen. Sonst wird die PDS im Bund nicht vertreten sein.

Welche Fehler hat die Landespartei gemacht?

Es ist ihr wie der Bundespartei nicht gelungen, deutlich zu machen, wie wichtig diese Bundestagswahl für die PDS ist. Wir haben kommunal- und landespolitische Probleme nicht ausreichend mit der Bundestagswahl verbunden. Es wird ungenügend begriffen, dass Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen eine Einheit bilden. Rutscht die PDS im Bund ab, würde sie auch in Ländern und Kommunen abrutschen.

Die SPD liegt nach den Umfragen mit 43 Prozent auf dem Niveau der letzten Bundestagswahl. Hat die Machtübergabe von Stolpe an Platzeck dazu beigetragen?

Der Generationswechsel, das Hochwasser, die Renaissance des Deichgrafen – das alles mag dazu beigetragen haben. Allein damit ist das Hoch aber nicht zu erklären. An dem Ergebnis hat auch die Ablehnung Stoibers im Osten großen Anteil.

Auch die Schwächephase der PDS, die als Opposition in der Landespolitik kaum Akzente setzt?

Wir befinden uns nicht gerade in einer Phase der Stärke, und wir müssen uns neuen Fragen stellen, das ist völlig klar. Die Wirklichkeit hat sich so verändert, dass wir neue Alternativen entwickeln müssen. Uns fehlen Leute, die mit äußerstem Fleiß, ausgehend von einer präzisen Analyse der Situation, passgenaue Politik formulieren.

Teilen Sie die Kritik an PDS-Landeschef Ralf Christoffers, der in seinem Thesenpapier eine vereinigte Linkspartei befürwortet?

Die Debatte mag ja sinnvoll sein, aber kurz vor der Bundestagswahl ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Was eine vereinigte Partei angeht: Ich persönlich bin strikt dagegen. Wenn man das anstrebt, darf man auch niemanden vorwerfen, dass er Schröder wählt. Er nähme ja nur vorweg, was die PDS strategisch für das nächste Jahrzehnt anstrebt.

Also schadet das Anbiedern an die SPD?

Bei Ralf Christoffers ist es keine Anbiederung. Das Papier war nicht das klügste zum klügsten Zeitpunkt. Wir haben das diskutiert und zu den Akten gelegt.

Welche Konsequenzen hätte es für die PDS, wenn sie den Einzug in den Bundestag verfehlen würde?

Es bestünde die Gefahr, dass wir dann in die Rolle einer Regionalpartei zurückgeworfen werden. Ich fürchte, dass dann die Stunde der Besserwisser kommt. Wenn wir nicht in den Bundestag kämen, müssten wir untersuchen, warum wir bundesweit nicht akzeptiert werden. Das könnte man nach zwölf Jahren nicht als Ausrutscher abtun.

Und wenn Stoiber die Wahl gewinnt?

Wir hätten im Osten einen Auftrieb. Aber er wäre mir unangenehm, weil Stoiber die Fortsetzung des Kalten Krieges wäre.

Würde eine große Koalition auf Bundesebene die Chancen für Rot-Rot in Brandenburg verschlechtern?

Nein, es gäbe für die PDS einen schönen Wahlkampf 2004, weil man SPD und CDU vorführen könnte. Die großen Parteien könnten sich nicht mehr gegenseitig für Versäumnisse verantwortlich machen.

Landeschef Christoffers wollte die PDS zur zweitstärksten Kraft im Lande machen, tatsächlich wird der Abstand zur CDU aber größer. Sinken die Chancen für Rot-Rot im Land?

Nein, ich sehe diesen Zusammenhang nicht. Die Wähler hätten damit keine Schwierigkeiten. Die PDS bekäme ein strategisches Problem, wenn wir im Land unter 18 Prozent rutschen würden. Dann würden wir landespolitisch an Bedeutung verlieren.

Es entsteht der Eindruck, dass die PDS in zwölf Jahren Opposition müde geworden ist .

Ja, das stimmt, wir sind müde geworden. Und deshalb ist die Analyse nötig, was landespolitisch auf die Tagesordnung gehört, nachdem wir uns viele Dinge abschminken können, die wir zu Recht gefordert haben. Wir müssen umdenken.

Was heißt das konkret?

Angesichts der Haushalts-Dramatik geht es um die Kernfrage: Was kann sich das Land noch leisten, wie kann man dessen Potenziale mit immer weniger Mitteln freisetzen? Da sind neue Antworten nötig.

Mit dem Ziel einer profilierteren Opposition?

Ja, aber was mich erschüttert, ist die resignative Akzeptanz in Ostdeutschland. Die Leute akzeptieren, was geworden ist, finden sich damit ab. Sie glauben, dass auch die PDS sie nicht herausholen wird. Da Oppositionspolitik zu entwickeln, ist unheimlich schwer.

Interview: Michael Mara, Thorsten Metzner

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