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Brandenburg: Ein Herz für jeden Baum

Naturschützer klagen, seit Jahren würde mehr gefällt als gepflanzt. Nun fordern sie einen Alleenfonds

Unterwegs auf der L222 im Ruppiner Land, zwischen Gransee und Menz. Ein Straßenschild weist nach links – zwei Kilometer bis Rauschendorf, ein Örtchen mit knapp 500 Einwohnern. Ein Abstecher dorthin lohnt. Des Weges wegen: Die Strecke führt durch eine Allee aus 80 bis 90 Jahre alten Linden. Die Linden sind rundherum sonnenverwöhnt, ihre Kronen streben in die Breite und vereinen sich zum mächtigen, grünen Laubdach. Die Blätter zappeln im leichten Wind, Sonnenstrahlen blinzeln auf den dunklen Asphalt. Im Juni kommt die Blüte mit dem unverwechselbar intensiven Lindenduft.

Gut 12 000 Straßenkilometer Alleen hat Brandenburg. Seit Jahren streiten Naturschützer und die Landesregierung um die Frage, ob der praktizierte Alleenschutz ausreicht, um den Bestand der vielen, landeskulturell bedeutsamen Baumreihen dauerhaft zu sichern. Bereits im September 2000 schlossen sich regionale Umwelt- und Verkehrsverbände, grüne Politiker und Bürger zur Schutzgemeinschaft Brandenburger Alleen zusammen. Zwei Monate später verabschiedeten die brandenburgischen Ministerien für Umwelt und Verkehr einen gemeinsamen Runderlass zur langfristigen Sicherung der Alleen. Darin wurden Maßnahmen zur Erhaltung und Erneuerung der Brandenburger Alleen konkret gemacht. Doch der Konflikt zwischen Landesregierung und Naturschützern ist damit nicht aus der Welt geschafft.

Eine Momentaufnahme zum Alleenschutz. Stand Mai 2003: Von 1991 bis 2002 fielen in Brandenburg rund 75 000 Alleebäume der Säge zum Opfer. 73 000 Bäume wurden neu gepflanzt. Im Brandenburger Verkehrsministerium rechnet man gleich weitere 7000 Bäume dazu, „die garantiert gepflanzt werden“, so der Verkehrsministeriumssprecher Lothar Wiegand. Diese Bäume gelten im Ministerium als „ausführungsreif geplant“.

Doch die Alleenschützer vermuten, dass die Straßenbauämter es nicht so genau nehmen mit dem gesetzlichen Auftrag des Alleenschutzes. Die Gesamtbilanz, sagen sie, schön und gut. Doch seit 1995 wurden kontinuierlich mehr Bäume gefällt als gepflanzt, es ergibt sich ein Minus von fast 7500 Bäumen. „Wir stellen fest, dass auch nach dem Runderlass aus dem Jahr 2000 weniger Bäume gepflanzt werden“, sagt der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Roland Vogt, einer von acht Sprechern der Schutzgemeinschaft Brandenburger Alleen. „Der Bestand ist dauerhaft gefährdet“, bilanziert Vogt ein Pflanzdefizit.

„Unredlich“ nennt das Verkehrsministerium diese Sichtweise. Zu einem Zeitpunkt X könne immer ein rechnerisches Defizit konstruiert werden. „Entscheidend ist“, so Ministeriumssprecher Lothar Wiegand, „was unter dem Strich steht. Da können wir nachweisen, dass wir unsere Verpflichtung einhalten.“

Die Naturschutz-Lobby bleibt dabei: Der Bestand der landschaftsprägenden „grünen Tunnel“ sei gefährdet. Sie fordern nun einen Alleenfonds nach mecklenburg-vorpommerschen Vorbild, in den für jede einzelne Baumfällung ein zweckgebundener Betrag für Neupflanzungen einzuzahlen ist. Bisher gibt es in den Straßenbauämtern nur einen einzigen Topf sowohl für Fällungen als auch für Nachpflanzungen. Die Schutzgemeinschaft Brandenburger Alleen glaubt, dass die Straßenbauämter zu viel der knappen Mittel für Fällungen ausgeben, es bleibe zu wenig für Ersatzpflanzungen. „Wir haben es mit Behörden zu tun, die den Alleenschutz bei verkehrlichen Baumaßnahmen manchmal sogar als Gefahr sehen“, sagt Roland Vogt.

Ein Alleenfonds müsse auch deshalb her, weil der Alleenschutz unter dem Haushaltsvorbehalt der Landesregierung stehe, so Vogt. Die knappen Kassen ließen befürchten, dass Mittel für Nachpflanzungen gestrichen würden. Das Problem der angespannten Landesfinanzen ist auch dem Verkehrsministerium bewusst. „Wir können nicht garantieren“, sagt Lothar Wiegand, „dass nicht die Entscheidung irgendwann ansteht: Bäume oder Blindengeld? Wenn diese Alternative im Raum stünde, müsste politisch eine Priorität gesetzt werden.“

Mirco Stodollick

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