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Brandenburg: Frankfurt, ein Märchen

Claus-Dieter Steyer

Für das Wort „Wunder“ gab es im zurückliegenden Jahrzehnt nur selten einen Anlass in Brandenburg. Gerade in der Wirtschaft war eher von bösen Pleiten, unerfüllten Träumen und bitteren Enttäuschungen die Rede. Die Chipfabrik am Rande von Frankfurt (Oder) stand dabei symbolisch für verschleudertes Geld von Steuerzahlern und Aktionären, auf einer Linie mit Cargolifter und dem sich bis heute nur langsam aufrappelnden Lausitzring. Mit diesen und anderen Großprojekten hatte sich Brandenburg bundesweit blamiert. Vor allem der Niedergang einer riesigen Halle für den Bau großer Luftschiffe zu einem tropischen Freizeitpark brachte dem Land Hohn und Spott ein. Das gleiche Schicksal wäre der nie in Betrieb genommenen Frankfurter Chipfabrik beschieden gewesen. Schließlich gab es hier Ideen für eine Spielbank oder eine große überdachte Achterbahn. Dass es nun ganz anders kam, kann getrost als Wunder bezeichnet werden.

Denn ausgerechnet das von Negativschlagzeilen aller Art heimgesuchte Frankfurt befindet sich im regelrechten Solarfieber. Mehrere tausend Frauen und Männer könnten künftig in der Chipfabrikhalle und in zahlreichen weiteren Gebäuden Scheiben und Platten zur Nutzung der Sonnenenergie produzieren. Angetrieben von den hohen Preisen für Öl, Gas und Kohle erlebt die Branche derzeit unglaubliche jährliche Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent.

Nun hätten sich die Unternehmen aus Hamburg, Arizona, München oder Tokio allerdings auch am anderen Oderufer ansiedeln können. Schließlich locken dort niedrigste Löhne und geringe Steuerabgaben. Doch sie bauen ihre Hallen auf deutscher Seite. Qualifiziertes Fachpersonal und eine verlässliche Politik seien ausschlaggebend gewesen, hieß es auf dem von Interessenten regelrecht bestürmten Jobforum am Sonnabend in der Grenzstadt.

Hinter vorgehaltener Hand erzählten die westlichen Firmenchefs sogar von ihrer Sorge, nicht genügend Fachpersonal für ihre Expansionen zu finden. Schließlich hatten sie von massenhafter Abwanderung und geistiger Ödnis im Osten gelesen. Doch darauf reagierten sie mit einer heutzutage ebenfalls wundersam erscheinenden Entscheidung: Sie lassen bei den Einstellungen sämtliche Altersgrenzen fallen. Ältere Bewerber sind sogar gefragter als Berufsanfänger. Gerade Frankfurt (Oder), wo einst 8000 Menschen im Halbleiterwerk arbeiteten, bietet ein großes Reservoir an erfahrenen Kräften.

Außerdem dürfte die Stadt mit ihren plötzlich so vielen Jobs jetzt Menschen aus allen Teilen Deutschlands und selbst vor Jahren ausgewanderte Frankfurter wieder anziehen. Ungeahnte Perspektiven für eine eigentlich schon abgeschriebene Stadt.

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