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Brandenburg: Fremde Wut

„Die sind nicht von hier“, heißt es in Wittenberge über die Störer des Kanzler-Besuchs

Wittenberge - Die Sprecherin der Stadt Wittenberge kann beim Abheften der Zeitungsartikel über den Besuch des Kanzlers am Dienstag nur den Kopf schütteln. „So eine Chance kommt doch so schnell nicht wieder“, klagt Christiane Schomaker. „Wir hätten so gut dastehen können – und haben jetzt den Ruf einer Chaotenstadt, wo die Leute den Kanzler mit Eiern bewerfen.“ Es sei schlimm, welches Bild jetzt in Deutschland über Wittenberge vorherrschen dürfte.

Nicht nur die Rathausspitze sorgt sich um das Image der Stadt. Viele Einwohner können sich den wütenden Empfang für den Bundeskanzler nicht erklären, der doch gekommen war, um den für 76 Millionen Euro modernisierten Bahnhof zu eröffnen. „Das können keine Wittenberger gewesen sein. Die schmeißen nicht mit Eiern oder Steinen“, heißt es in Kneipen, Geschäften oder auf den Parkbänken. Und tatsächlich kennt niemand hier die wutschnaubenden Männer in vorderster Reihe der Anti-Hartz-Protestierer vom Dienstag, deren Foto anderntags im Tagesspiegel und vielen anderen Zeitungen abgedruckt war. Ob auf der Bahn- noch der Wilhelmstraße im Zentrum der Stadt, in Cafés oder im Kulturhaus, vor dem PDS-Büro oder an der Hafenpromenade – mit diesen Gesichtern wusste kein Wittenberger etwas anzufangen. Auch die Lokalredaktion des „Prignitzer“ musste die Suche erfolglos abbrechen, desgleichen der „Wochenspiegel“. Selbst auf der Polizeiwache hatte die drei Herren zuvor nie jemand gesehen. Einzig ein Zeitungshändler erkannte weiter hinten auf dem Foto einen Rentner aus seiner Nachbarschaft – „warum der gegen Hartz IV demonstriert, ist mir aber schleierhaft“.

Dabei ist Wittenberge wirklich nicht groß. Von 38 000 Einwohnern im Jahre 1990 sank die Zahl auf heute etwas mehr als 20 000. Die Erklärungsversuche der Wittenberger decken sich, zumal auch die auf dem Foto an den Plakaten erkennbaren Parteien nicht weiterhelfen konnten: „Zugereiste“, heißt es, „irgendwoher von den Dörfern“ oder „mit Absicht von weit her in Marsch gesetzte Protestierer“.

Das Berufliche Bildungszentrum in Wittenberge, das Kanzler Schröder nach der Bahnhofseröffnung besuchte, schickte bereits ein Entschuldigungsschreiben mit der Überschrift „Sorry, Kanzler!“ nach Berlin. Das Zentrum war für 3,2 Millionen Euro ausgebaut worden; die Kanzler-Visite sollte die Krönung von 14-jähriger Arbeit sein. „Diese Bürger am Bahnhof stehen nicht für die gesamte Wittenberger Bevölkerung“, schrieb das Bildungszentrum.

Für die Suche nach der Frau, die das Ei geworfen hat, ist der Bundesgrenzschutz zuständig, weil die „Sachbeschädigung“, wie es ein BGS-Sprecher formulierte, auf Bahngelände passierte. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung eingeleitet, verfolgt wird die Tat aber nur, wenn Schröder Strafantrag stellt. Das fragile Geschoss hatte einen Begleiter des Kanzlers getroffen.

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