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Brandenburg: "Hetzjagd-Prozess": War das Urteil viel zu milde?

Skandalurteil oder angemessene Bestrafung junger Gewalttäter? In Politik und Medien sind nach dem Urteil im "Hetzjagd-Prozess" sehr konträre Reaktionen zu vernehmen.

Von Frank Jansen

Skandalurteil oder angemessene Bestrafung junger Gewalttäter? In Politik und Medien sind nach dem Urteil im "Hetzjagd-Prozess" sehr konträre Reaktionen zu vernehmen. Die Kritiker monieren vor allem das in ihren Augen überaus milde Strafmaß - nur drei der elf Angeklagten hat das Landgericht Cottbus am Montag zu Jugendstrafen ohne Bewährung verurteilt. Gestern meinte indes der designierte Justizminister Niedersachsens, der Kriminologe Christian Pfeiffer, "ich verstehe sowohl das Strafmaß als auch die Differenzierung in Mitläufer und führende Köpfe". Das Urteil gebe kaum Anlass, es von außen zu kritisieren.

Moralisch betrachtet ist die Kritik verständlich. Der grässliche Tod von Farid Guendoul, der im Februar 1999 auf der Flucht vor den elf jungen Männern nach dem Sprung in eine Glastür verblutete, scheint mit drei relativ geringen Haftstrafen, sechsmal Bewährung und zwei Verwarnungen kaum gesühnt. Aber krankt das Urteil an inneren Widersprüchen, die in der von den Brüdern des toten Algeriers angekündigten Revision eine Rolle spielen könnten? Einige Punkte sind zumindest irritierend.

Da ist zum Beispiel die unterschiedliche Bestrafung der beiden Rädelsführer. Alexander B. (21) erhielt zwei Jahre Jugendstrafe ohne Bewährung. Das Gericht bescheinigte ihm, er bewege sich weiterhin in rechtsradikalen Kreisen. Der zweite Anführer in der Hetzjagd-Nacht, Steffen H. (18), kam mit 18 Monaten auf Bewährung davon. Obwohl er der fahrlässigen Tötung Guendouls schuldig ist, der gefährlichen Körperverletzung begangen an Guendouls Begleiter Khaled Bensaha, der Nötigung, Volksverhetzung, Beleidigung und der Sachbeschädigung in zwei Fällen. Außerdem wurde ihm, der Prozess lief schon, der Führerschein abgenommen, weil er zweimal betrunken mit einem Moped fuhr. In der letzten Silvesternacht beteiligte sich H. an einem Neonazi-Umzug in Guben, die Polizei nahm ihn in Gewahrsam.

Die Strafkammer erkannte "schädliche Neigungen". Steffen H. erschien zur Urteilsverkündung wieder mit Glatze und in schwarzen Stiefeln mit weißen Schnürsenkeln, einem Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene. Dennoch hielt das Gericht dem Skinhead vor allem sein Schlusswort zugute. Da hatte H. zugegeben, er habe "Mist gebaut" - schuldig sei er aber nicht.

Nächster Punkt: Alle elf Angeklagten haben sich laut Gericht an der Nötigung gegenüber den drei Afrikanern beteiligt: Als die Clique auftauchte, mussten die Asylbewerber fliehen. Sämtliche Angeklagten sind auch der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von Khaled Bensaha schuldig, obwohl der Begleiter von Farid Guendoul "nur" von einem Angeklagten getreten wurde. Doch im Fall der fahrlässigen Tötung Guendouls hat das Gericht drei Angeklagte freigesprochen. Diese hatten während der Verfolgung aller drei Afrikaner im Auto der Clique gesessen.

Formaljuristisch ist die Argumentation der Kammer so zu erklären: Bei Nötigung und Körperverletzung reicht der gemeinsame Tatentschluss. Im Fall der fahrlässigen Tötung muss jeder Täter auch einen eigenen Beitrag leisten - wie das Hinterherlaufen. Trotzdem bleiben Zweifel. Zumal einer der vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochenen Angeklagten, Marcel P., eine rechtsextreme Musikkassette mitgebracht hatte, die in einem Wagen abgespielt wurde und die Lynch-Stimmung anheizte.

Bleibt die Frage, warum die Kammer nicht einige oder alle Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt hat. Dieser Tatbestand ist mit drei bis zehn Jahren Haft zu ahnden. Bei fahrlässiger Tötung beträgt die Höchststrafe fünf Jahre. Laut Kammer haben die Verfolger von Guendoul zwar aufgegeben, bevor er in die Glastür sprang und sich die Schnittverletzungen zuzog. Doch findet sich in der Urteilsbegründung ein interessanter Hinweis: Guendoul habe vor dem Verblutungsschock "wegen schnellen Laufens hohe Pulsfrequenzen" gehabt. Das heißt: Hätte der Algerier nicht so panisch vor der Clique flüchten müssen, wäre das Blut weniger schnell aus der Knieschlagader ausgetreten und somit die Zeit für eine Rettung etwas länger gewesen. Ein Bewohner des Plattenbauaufgangs band auch Guendouls Bein ab, doch die Hilfe kam zu spät. Auch dafür könnten die Verfolger verantwortlich gemacht werden. Darauf hat die Strafkammer jedoch verzichtet.

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