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Brandenburg: Ich bin doch nicht blöd!

Sandra Dassler über die „Verödung“ der Randregionen und warum sie trotzdem dort wohnen bleibt ANGEMARKT Es ist nicht zu leugnen – Brandenburg verblödet. Und es kommt noch schlimmer: Entgegen diverser Meldungen der letzten Tage hat die Geistesschwäche anscheinend inzwischen die Peripherie des Landes verlassen und fast die Berliner Stadtgrenze erreicht.

Sandra Dassler über die „Verödung“ der Randregionen und warum sie trotzdem dort wohnen bleibt

ANGEMARKT

Es ist nicht zu leugnen – Brandenburg verblödet. Und es kommt noch schlimmer: Entgegen diverser Meldungen der letzten Tage hat die Geistesschwäche anscheinend inzwischen die Peripherie des Landes verlassen und fast die Berliner Stadtgrenze erreicht. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass uns ein Wissenschaftler aus Erkner eigentlich Altbekanntes als Neuigkeit servieren kann: den verstärkten Wegzug der Jungen und der gut Ausgebildeten aus den ländlichen Gebieten, den dramatischen Geburtenrückgang, den Männerüberschuss und natürlich auch die wachsende Arbeitslosigkeit.

Da wird das längst von allen guten Kindern verlassene Mütterchen aber staunen, wenn es vom Sohn aus Augsburg oder der Tochter aus Hamburg zurück nach Schwarze Pumpe oder Prenzlau kommt: Zu so was braucht man Wissenschaft? Dass Menschen sich aus dem Staub machen, wenn sie keine Perspektive sehen – das wussten wir doch schon in der DDR. Die hat Volkes Stimme schließlich nie anders übersetzt als mit „Der Doofe Rest“.

Aber im Ernst: Der Mann aus Erkner meint es ja sicher gut. Nur: die Beschreibung einer seit Jahren anhaltenden Entwicklung genügt nicht. Es reicht auch nicht, die Sachverhalte zu überspitzen – von wegen: „Die Klugen gehen, die Deppen bleiben.“ Das schlägt vor allem jenen Ostlern ins Gesicht, die sich trotz allem gegen die Landflucht entschlossen haben, die nicht nur ausharren, sondern sich engagieren. Oder jenen Westlern, die in den vergangenen Jahren gerade in die problematischen Gegenden gezogen sind, um dort Kinder zu unterrichten, Verwaltungen aufzubauen und Firmen zu gründen.

Auch bloße Appelle an die Landesregierung genügen da nicht. Konzepte müssen auf den Tisch, Vorschläge, wie dem Ausbluten der Randgebiete trotz leerer Kassen entgegenzuwirken ist. Das betrifft in erster Linie die fehlenden Arbeits und Ausbildungsplätze. Denn deswegen verlassen die Menschen ihre Heimat. Was ist zum Beispiel aus den Vorschlägen für Niedrigsteuergebiete geworden? Wo sind die Pläne für grenzüberschreitende Projekte nach der EU-Osterweiterung? Kann man von historischen Modellen wie beispielsweise der „Zonenrandförderung“ etwas lernen? Wie bekommen andere europäische Länder ähnliche Probleme in den Griff? Hier liegt ein weites Betätigungsfeld für die Wissenschaft, zumal die brandenburgische Landesregierung und Manfred Stolpe von Anfang an auf die so genannte dezentrale Konzentration setzten. Das hat freilich nicht gereicht, um die dramatische Entindustrialisierung abzufangen.

Das soll nicht heißen, dass die Politiker aus der Verantwortung entlassen werden können. Es ist bedauerlich, dass die Geschicke des Landes zunehmend von Menschen aus Potsdam geprägt werden, weil Politiker aus den Randgebieten weder in der Regierung noch in der Opposition eine entscheidende Rolle spielen. Da fehlt eine Lobby, die es versteht, die Vorzüge der ländlichen Regionen besser zu vermarkten. Schließlich gibt es eine ganze Anzahl keineswegs schwachsinniger Menschen, die im uckermärkischen Bauernhaus am Wochenende Kraft für ihren stressigen Job als Manager, Universitätsprofessor oder Chefarzt tanken.

Außerdem ist Brandenburg für Menschen mit offenen Augen und Herzen alles andere als öde. Die Viadrina in Frankfurt entwickelt sich zu einer geisteswissenschaftlichen Hochburg mit besonderem Augenmerk auf Osteuropa. Der Absatz von „Mineralquellen“ aus Bad Liebenwerda boomt – nicht nur in Berlin, der Spreewald hat sich dank des konsequent und gegen viele Widerstände durchgesetzten Prinzips des sanften Tourismus zu einem in Europa einzigartigen Erholungsgebiet entwickelt…

Sie merken schon, hier schreibt jemand, der dieses Land Brandenburg mag. Deshalb werde ich – trotz der Arbeit in Berlin – meiner Wahlheimat Cottbus nicht so schnell den Rücken kehren. Sie hat übrigens neben der innovativen Technischen Universität auch neun Museen, vier Theater und einen Park zu bieten, der in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen werden soll. Ganz abgesehen davon: Soll ich etwa ein Land verlassen, in dem es 20 Prozent Männerüberschuss gibt? Ich bin doch nicht blöd!

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