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Brandenburg: Kirchenleitung nach sexuellem Missbrauch in Erklärungsnot Bei der Debatte in der Potsdamer Erlöserkirche bedauern die Pfarrer ihr Schweigen

Potsdam. Der Verdacht des jahrelangen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen durch einen Angestellten der Potsdamer Erlöserkirche hat sich offenbar bestätigt.

Potsdam. Der Verdacht des jahrelangen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen durch einen Angestellten der Potsdamer Erlöserkirche hat sich offenbar bestätigt. Der Beschuldigte „leugnete zuerst die erschütternden Taten, gab sie aber dann doch zu“, sagte der geschäftsführende Pfarrer der Kirchengemeinde, Konrad Elmer-Herzig, gestern bei einer Gesprächsrunde, die eigens zu dem Thema nach dem Gottesdienst einberufen worden war.

Wie berichtet, hatte ein heute 30-jähriger Mann in der vergangenen Woche einen langjährigen Mitarbeiter der Kirche beschuldigt, ihn immer wieder sexuell missbraucht und ihm physische Gewalt angetan zu haben. Die Taten endeten vor 15 Jahren und sind damit strafrechtlich verjährt. Auf Beschluss des Gemeindekirchenrates musste der Mitarbeiter bereits seine Wohnung auf dem Kirchengelände verlassen. Außerdem erhielt er mit Ausnahme der Gottesdienste Haus- und Hofverbot. Besondere Brisanz erhält der Fall durch die Aussagen mehrerer Mütter, dass der Kirchen-Angestellte auch in den vergangenen Jahren mehrere Kinder des Kirchenkindergartens sexuell belästigt haben soll. „Er wurde immer wieder verteidigt und in Schutz genommen, der einzelne Vorfall bagatellisiert“, sagte Grit Poppe aus Potsdam. Sie habe ihr Kind 1997 aus dem Kirchenkindergarten genommen, als die sexuelle Belästigung bekannt geworden sei. Nun sehe sie sich bestätigt. Erst durch die Offenbarung des jungen Mannes würden die Verantwortlichen in der Kirchenleitung reagieren, beklagt die Frau. Besonders empört zeigten sich Gemeindemitglieder bei der Diskussion, als sie die Vergangenheit des „allseits beliebten“ Mitarbeiters erfuhren.

Schon vor etwa 20 bis 25 Jahren wurde der Mann wegen des sexuellen Missbrauchs von drei Kindern im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren zu einer Haftstrafe verurteilt. Das war der Kirchenleitung bekannt. „Der Prozess zu DDR-Zeiten war allerdings nicht fair“, erinnerte sich ein älterer Potsdamer. „Die Kinder hätten dem Angeklagten mit ihren Aussagen eins auswischen wollen, weil er ihnen kein Buntmetall für den Schrotthändler gegeben habe.“

„Trotzdem kann doch eine Kirchenleitung nicht versuchen, einen verurteilten Straftäter ausgerechnet in einem Kindergarten zu resozialisieren“, kritisierte eine Mutter unter Beifall. Pfarrer Martin Kwaschik rang angesichts der Vorwürfe sichtlich um Fassung. Im Gottesdienst vor rund 150 Gläubigen hatte er zuvor dafür um Beistand für Pfarrer, Opfer und Täter gebetet. „Die Geschehnisse tun mir leid, aber die Vorwürfe betrachteten wir als Gerüchte“, sagte Pfarrer Kwaschik. Die Kirchenleitung habe nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ keine radikalen Verbote für den Mann erlassen. Selbst Anzeigen bei der Polizei durch Eltern seien „aus Mangel an Beweisen“ eingestellt worden. „Wir haben nur die guten Seiten gesehen“, sagte Pfarrer Kwaschik. Heute sehe man das anders. Es sei für ihn furchtbar, die Lage nicht richtig eingeschätzt zu haben.

Dennoch gehen die Meinungen auseinander: Vor allem ältere Gemeindemitglieder verteidigten den Beschuldigten und zogen die späten Aussagen des 30-jährigen Mannes in Zweifel. Sie mussten sich von Fachleuten belehren lassen, dass sich Opfer sexueller Gewalt erst nach vielen Jahren oder auch gar nicht zu den ihr Leben zerstörenden Missbräuchen äußern. Superintendent Bertram Althausen warnte deshalb vor einer Verharmlosung der Geschehnisse.

Der Kirchenangestellte wohnt jetzt außerhalb von Potsdam und erhält Hilfe von der Kirche. Seine Gemeinde wolle er vorerst nicht sehen, ließ er ausrichten.

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