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Lepsius-Haus Potsdam: "Wir sind keine anti-türkische Einrichtung"

Johannes Lepsius hat 1915 als einer der ersten den Massenmord an den Armeniern dokumentiert. Der Bund will sein Gedenken mit finanzieller Hilfe für das Lepsius-Haus Potsdam fördern. Dagegen protestiert die Türkische Gemeinde mit einem Brief an Angela Merkel. Hermann Goltz vom Lepsius-Haus spricht im Interview mit Tagesspiegel.de über die Hintergründe des Streits.

Herr Goltz, der Bundestag hat ihrem Verein Lepsiushaus Potsdam im Jahr 2007 eine Fördersumme von 600.000 Euro zugesprochen. Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) reagiert jetzt darauf mit einem entrüsteten Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem sie ihr rät, von der Unterstützung Abstand zu nehmen. Haben Sie mit dieser Reaktion gerechnet?

Es ist keine Überraschung, dass so etwas kommt und es ist auch völlig klar, warum es jetzt kommt, weil jetzt die heiße Phase des Wahlkampfes beginnt. Dahin platziert man solche Themen, um möglichst viel erreichen zu können. Es ist ja lange Zeit ruhig um das Thema gewesen. Das liegt auch daran, dass sich der Bundestag deutlich positioniert hat. In der Armenienresolution von 2005 haben alle damaligen Fraktionen, sowohl die der Opposition als auch die der Regierungsfraktionen, unterschrieben: Das hat Angela Merkel getan, ebenso ein damals ziemlich unbekannter Abgeordneter Karl-Theodor zu Guttenberg, Franz Müntefering usw. Das Entscheidende dabei ist, dass diese Resolution nicht nur die Türken, sondern auch die Deutschen aufruft, die Rolle sowohl der Türkei als auch die unrühmliche Rolle Deutschlands bei der Vernichtung der Armenier im Ersten Weltkrieg zu untersuchen. Und in dieser Resolution steht auch – und das ist eigentlich der Anfang des Lepsiushaus-Projektes –, dass öffentlich an Leben und Werk des "Anwalts der Armenier", Johannes Lepsius, erinnert werden soll.

Die Türkische Gemeinde ist dennoch entrüstet?

Zunächst muss man aber sagen, es handelt sich bei dem Absender nicht um die Türken. Es gibt in Deutschland und in der Türkei Tausende Intellektuelle, denen klar ist, dass das Verbrechen an den Armeniern Völkermord gewesen ist. Es ist der Standpunkt einer bestimmten nationalistischen Gruppe, die versucht, die offizielle Meinung der türkischen Regierung auch in Deutschland durchzusetzen.

Repräsentiert der Brief also nicht die Meinung der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland?

Nein. Die Positionen sind völlig unterschiedlich. Bei den Protesten gegen das Lepsius-Haus haben wir immer wieder erlebt, dass die türkischen Vereine in ganz Deutschland von der türkischen Botschaft aufgefordert werden, zu protestieren. Da werden bestimmte Stichworte ausgegeben und dann schreiben die türkischen Vereinigungen oder deren Chefs mit mehr oder weniger Fantasie solche Briefe. Das ist eine klare, oft zentral gesteuerte Aktion, die überhaupt nicht die Position der gesamten türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland widerspiegelt.

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Prof. Dr. Dr. Hermann Goltz sitzt im Vorstand des Fördervereins Lepsius-Haus Potsdam e.V. und ist dessen 2. Vorsitzender. Er forscht und lehrt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Ostkirchenkunde und Orientalistik. -

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Was denken Sie, wie Angela Merkel reagieren wird? Könnte die TGD mit dem Brief Erfolg haben?

Die ganze Forderung ist etwas schief. Es geht nicht um die Bundeskanzlerin, die Fördergelder genehmigt, es ist vielmehr der Beschluss des Bundestages, des höchsten Souveräns unseres Landes. Der Förderverein Lepsiushaus hat 2007 einen Antrag an den Bundestag gerichtet. Der Haushaltsausschuss hat daraufhin die Unterstützung beschlossen. Wir sind uns mit dem Bundestag und der Bundesregierung einig: Das Lepsius-Haus ist keine anti-türkische Einrichtung. Johannes Lepsius selbst hat gesagt, das türkische Volk könne man nicht schuldig sprechen, sondern schuldig gesprochen werden müssten die damaligen Diktatoren und ihre Sondereinheiten, die die Vernichtung der Armenier durchgeführt haben. Und ganz entscheidend ist: Unsere Arbeit bedeutet keine Polarisierung Deutschland-Türkei oder Armenien-Türkei , sondern soll auf der Grundlage von Dialog mit dem Ziel der Versöhnung geschehen.

Die TGD sagt hingegen, der Ausbau werde „die Völkerverständigung zwischen Armeniern und Türken erschweren“.

Ja. Die Leute, die diesen Brief geschrieben haben, wollen einfach nicht das Faktum des Völkermordes an den Armeniern akzeptieren, obwohl es von international anerkannten Historikern unabhängig voneinander festgestellt worden ist. Wenn man Versöhnung haben will, geht das nicht, wenn man die schwierigen Punkte unter den Teppich kehrt.

Ihr Haus wurde nicht zum ersten Mal angegegriffen. Welcher Art waren die Angriffe in der Vergangenheit?

Der Vorstand des Lepsius-Hauses Potsdam ist z.B. vom türkischen Botschafter nach Berlin eingeladen worden. Dort ist es nicht zu einem Gespräch gekommen, sondern man hat uns gesagt, das Lepsius-Haus „gefährdet die Stabilität der Türkei“. Das ist eine wahnsinnige Übertreibung für unsere Institution. Es ist erstaunlich und für uns schon fast zu viel der Ehre, dass diese relativ kleine Institution eine solche Aufmerksamkeit von der türkischen Regierung erfährt. Es zeigt aber, was für ein Tabu-Thema der Völkermord an den Armeniern bis heute ist. Durch die Jahrzehnte hat sich nach der Vernichtung der Armenier in der Türkei etwas aufgebaut, man hat in bestimmten nationalistischen Kreisen der Türkei eine richtiggehende Weltverschwörungstheorie ausgebildet. Das Problem ist, dass man nun schon fast 100 Jahren dieses Thema verschwiegen hat. Ein türkischer Schüler weiß davon so gut wie gar nichts oder nur die Gegenbehauptung. Insofern kann man sich vorstellen, was es für ein schwieriges Unterfangen es ist, dieses Thema überhaupt anzusprechen, weil von vornherein gesagt wird, dass wir entweder etwas erfinden oder Feinde der Türkei sind.

Sie betonten, dass das Lepsius-Haus keine „anti-türkische Einrichtung“ sei. Wie kann man das der TGD verdeutlichen?

Zunächst indem die TGD nicht versuchen würden, unsere Arbeit zu verhindern, aber auch, indem wir sie zu unserer Öffentlichkeitsarbeit einladen und indem wir in unserem Lepsius-Haus ein offenes Gespräch führen. Wir sind ja keine geschlossene Gesellschaft, sondern wir haben ein Jahresprogramm, zu dem Deutsche, Armenier, Türken, Griechen und Araber herzlich eingeladen sind. Und wir sind nicht dogmatisch, sondern wir möchten etwas vermitteln und mit den verschiedensten Menschen und Gruppen darüber sprechen. Wir haben zum Beispiel den Dokumentarfilm „Asche und Phönix“ über Lepsius' Armenienhilfswerk gedreht. Zur Vorpremiere im Filmmuseum Potsdam im Juni kamen Deutsche, Armenier und Türken. Auch die türkischen Zuschauer waren sehr beeindruckt und erstaunt, weil sie die historischen Fakten und auch die heutige Situation der Debatte überhaupt nicht kannten. Ich denke, das ist eine Aufklärungsarbeit, die in der Zukunft wirklich zu einer Versöhnung führen kann.

Wie wird Ihr Haus nun auf den Brief der Türkischen Gemeinde reagieren?

Ich muss leider sagen, dass diese Angriffe unser täglich Brot sind. Ich denke, dass es wichtig ist, unsere Stimme in diese Debatte einzubringen. Ansonsten haben wir aber – das soll jetzt nicht abschätzig klingen – wichtigere Dinge zu tun, als uns nur mit diesen Angriffen zu beschäftigen.

Was soll mit dem Fördergeld geschehen?

Ein Teil des Geldes ist für den Innenausbau des Wohnhauses Johannes Lepsius’ gedacht. Das bezieht sich in erster Linie auf eine ständige Ausstellung zu Leben und Werk. Um die Öffentlichkeitsarbeit wissenschaftlich zu stützen, haben wir das Lepsius-Archiv installiert und soll es zusätzlich eine wissenschaftliche Forschungsbibliothek im Haus geben. Der andere Teil des Geldes ist für die laufende Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen. Wir wollen in unser Jahresprogramm viele Gesprächspartner einbeziehen – sowohl Deutsche als auch Armenier als auch Türken, aber zum Beispiel auch Griechen und Aramäer, d.h. die syrischen Christen, sodass eine facettenreiche Arbeit ensteht. Die Gelder, die wir vom Bundestag zugesprochen bekommen haben, sind in einer sehr sinnvollen Weise für alle diese Seiten angelegt.

Interview von Annegret Ahrenberg

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