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Potsdam: Gesammelte Erinnerungen ans "KGB-Städtchen"

Vor 15 Jahren zogen die russischen Truppen aus Potsdam ab – Hannes Wittenberg sicherte ihre Spuren.

Potsdam - Plötzlich krachten Schüsse. Leuchtraketen erhellten die Straßen des russischen Militärstädtchens Nummer 7 in jener Sommernacht vor 15 Jahren. Ganz wohl war den beiden Mauerstürmern ohnehin nicht gewesen, als sie mit einer Leiter bis zur Krone der Mauer um das damalige Sperrgebiet kletterten. Vorher hatten sie die Warnungen der Anwohner noch großspurig in den Wind geschlagen: „Wir haben 1994!“ Jetzt standen sie da im Dunkeln, sahen drei Gestalten in Uniform, und schon beim ersten Schuss sank ihr Mut gewaltig. „Wir haben uns versteckt“, erinnert sich Hannes Wittenberg, heute Stellvertretender Direktor des Potsdam Museums, und lacht. „Die haben wahrscheinlich aus Langeweile ihre Magazine leer geschossen“, vermutet er. Denn es waren die letzten Tage vor dem Abzug der russischen Truppen aus dem Sperrgelände, das beinahe 50 Jahre lang tabu für die Potsdamer war. Genau deswegen hatte Wittenberg damals mit Peter Herrmann, dem heutigen Leiter der Fotoabteilung des Museums, überhaupt die Nacht-Aktion gestartet. „Wir wollten Fotos machen von Soldaten auf dem Gelände.“ Die Neugier mischte sich mit der Ahnung, dass dieser Anblick bald ein Fall fürs Museum sein würde.

Rund 340 000 Soldaten mit 200 000 Angehörigen lebten Schätzungen zufolge 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR, etwa 30 000 waren es allein in Potsdam. Seit 1991 zog die Armee schrittweise ab. In Potsdam erfolgte die Übergabe der letzten früheren Militärgelände ans Bundesvermögensamt im August 1994.

Tatsächlich ist heute kaum noch nachvollziehbar, wie präsent die sowjetischen, später russischen Truppen im Stadtgebiet waren. Wittenberg hat deren Areale rot auf einem Stadtplan markiert. Neben dem „KGB-Städtchen“ gehörten dazu die Kasernen in der Pappelallee, in der Jägerallee und in Nedlitz, das Lazarett im Voltaireweg, der KGB-Fuhrpark in der Berliner Straße, die Druckerei der Zeitung „Erben des Sieges“ in der Zeppelinstraße, der Radiosender „Wolga“ in der Menzelstraße oder ein Lebensmittellager am Glienicker Horn.

Fast alle diese Gelände besichtigte Wittenberg mit Herrmann nach dem Abzug – mit Genehmigung des Bundesvermögensamtes. Es war nicht selten ein trostloser Anblick, der sich ihnen bot: Ganze Etagen in einem Haus im „KGB-Städtchen“ waren mit Müll gefüllt, Wohnungen und öffentliche Einrichtungen verwahrlost. Das Leben der Sowjetsoldaten in Potsdam war eine Art „Dauerprovisorium“, erklärt sich das Wittenberg. „Man wusste ja nicht, dass man 50 Jahre bleiben sollte.“

Auch haben wohl viele Soldaten an Heimweh gelitten. Wandgemälde mit Birkenwäldern und russischer Folklore zierten Speisesäle in der Garde-Ulanen-Kaserne, Bärenfelle hingen in den Wohnungen. „In einem Zimmer hatte jemand schwarze Flecken an die silbernen Heizungsrohre gemalt“, erzählt Wittenberg: „Die Rohre sollten Birken sein.“

Die Unterlagen und Fotos von den Ausflügen füllen zwei Aktenordner in Wittenbergs Büro in der Benkertstraße. Weitere 2000 Gegenstände aus dem Alltag der Soldaten lagern im Magazin des Potsdam Museums auf Hermannswerder.

Nur neun Quadratmeter misst der Raum, in dessen Regalen die Zeugnisse einer untergegangenen Welt aufbewahrt werden: Das Poster einer „Miss UdSSR“ in Uniform, militärisches Gerät, Kitsch wie Miniflugzeuge und Leninbüsten mit viel leuchtend rotem Acryl, die auf den Schreibtischen der Offiziere standen, und Plakate, auf denen erklärt wird, wie man Schuhe putzt oder sich wäscht. „Die Soldaten kamen ja aus den verschiedensten Sowjetrepubliken“, erklärt Wittenberg. Offenbar sprachen nicht alle perfekt Russisch, folgert er. 

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